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Politik

Lynchmorde unter den Augen internationaler Friedenstruppen

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Gewaltexzesse wie zu Kaiser Bokassas Zeiten, Hundertausende sind auf der Flucht, die internationale Friedensmission kann die Lage nicht wirklich beruhigen: Auch internationale Bemühungen lassen Zentralafrika nicht zur Ruhe kommen. (Foto: reuters)

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Eine trauernde Frau
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Es war ein blutiges Wochenende in Bangui, Zentralafrika. Begleitet von groß angelegten Plündereien fanden mindestens elf Menschen den Tod in einer nicht enden wollenden Spirale der Gewalt, darunter auch drei Lynchmorde. Hundertausende sind auf der Flucht. Über die Lage im Landesinnern herrscht weiter Unklarheit.

Zunächst wurden fünf Personen unter nicht näher bekanntgewordenen Umständen am Samstagabend getötet. Drei weitere starben in interkonfessionellen Konflikten. Zudem will Peter Bouckaert von Human Rights Watch einen weiteren Mord beobachtet haben. Ein Mensch wurde während des Eingreifens der afrikanischen Friedensmission MISCA von ruandischen Soldaten getötet. Die Soldaten hatten dabei in die Menge geschossen, als ein mutmaßlicher Mörder sein Opfer, muslimischen Glaubens, in ein Feuer werfen wollte. Die Menge fing darauf hin an zu schreien „Sie haben ihn getötet“ und „Ruander sind alle Moslems“.

Am Sonntagnachmittag wurde dann Jean-Emmanuel Ndjaroua ermordet. Er war Mitglied des provisorischen Parlaments gewesen und hatte die Gewalt gegen die „kosmopolitischen Teile der Gesellschaft“ verurteilt. Damit meinte er die Muslime, die sich seit Wochen auf der Flucht befinden.

Härteres Durchgreifen der Friedensmission

Die Situation in Bangui habe sich am Montag beruhigt, so Peter Bouckaert, Direktor für Krisensituationen von Human Rights Watch in Zentralafrika. Interimspremier André Nzapayeké hatte zuvor in scharfen Worten dazu aufgerufen, die Barbarei zu beenden.

Klare Worte kamen auch vonseiten des Misca-Kommandeurs, General Martin Tumenta Chomu aus Kamerun. Er bezeichnete die Regierungsarmee als Ex-Armee: „Ich fordere alle Gesetzlosen dazu auf, die Waffen niederzulegen, und alle Ex-FACA, in den Kasernen zu bleiben“, erklärte er am Samstag auf einer Pressekonferenz in Bangui und forderte damit Konsequenzen aus dem tragischen Lynchmord von vergangenem Mittwoch nach der Visite von Interimspräsidentin Samba-Panza.

Zu dem Lynchmord war es ausgerechnet im Anschluss an die feierliche Remobilisierung von Soldaten der zentralafrikanischen Armee gekommen. Am Mittwochvormittag bezichtigten der NZZ zufolge vor den Augen von Hunderten von Schaulustigen plötzlich Uniformierte einen Zivilisten, ein untergetauchter Seleka-Rebell zu sein. Der Muslim wurde niedergeschlagen und getötet, sein Leichnam wurde geschändet. An der Feier hatte neben der Regierung auch der Kommandant der französischen Interventionstruppe „Sangaris“ teilgenommen. Die französischen Marineinfanteristen, die zu seinem Personenschutz delegiert worden waren, sahen dem blutigen Treiben machtlos zu. Erst eine herbeigerufene Einheit der afrikanischen Interventionstruppe (Misca) konnte die Menge auseinandertreiben.

Die Friedenstruppen suchten daraufhin am Wochenende erstmals aktiv nach Waffen und beschlagnahmten diese in verschiedenen Wohnvierteln Banguis. Doch bis heute kam es zu keinen Verhaftungen im Zusammenhang mit den Morden. Die in der Kritik stehende Samba-Panza ließ über euronews verlauten, dass sie niemanden beschützen werde. Weiter sagte sie: „Alle diejenigen, die für die jetzige Situation verantwortlich sind, werden sich für ihre Taten vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte verantworten müssen.“

935 000 Menschen auf der Flucht ohne ausreichenden Schutz vor gewalttätigen Übergriffen

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt vor einem Scheitern des Friedenstruppen-Einsatzes in der Zentralafrikanischen Republik. Neun Wochen nach Beginn der französischen Militärintervention sei es noch nicht gelungen, die Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik zu stoppen. Der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius sagt im Gespräch mit dtj-online: „Den Friedenstruppen fehlt es außerhalb der Hauptstadt an allem, um für Sicherheit zu sorgen und die betroffenen Bevölkerungsschichten zu schützen“ und bezeichnet die Situation als dramatisch. „Es ist ein riesiger Exodus von Menschen, die teilweise seit über vier Generationen in Zentralafrika wohnen. Das ist für das Land dramatisch, aber vor allem für die Menschen auf der Flucht“, so Delius weiter.

Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR spricht mittlerweile von fast einer Millionen Menschen, die entweder ins Ausland geflüchtet sind oder sich innerhalb der Zentralafrikanischen Republik, wie das Land offiziell heißt, auf der Flucht befinden. Dabei weist das Flüchtlingswerk in einer Mitteilung darauf hin, dass die Flüchtlinge nur unzureichend versorgt werden können. Auch können die Militärmissionen im Moment anscheinend nicht für den Schutz der Flüchtlingskonvois sorgen. So befanden sich etwa, laut Peter Bouckaert von Human Rights Watch, unzählbare Autokonvois in den letzten Tagen auf der Flucht aus der Hauptstadt und der etwa 100 Kilometer südwestlich gelegenen Stadt Mbaïki. Der Konvoi von bis zu 10 000 Menschen soll von Soldaten aus dem Tschad begleitet worden sein, aus dem Teile der Bevölkerung stammen. Diese konnten jedoch nicht verhindern, dass beispielsweise ein Mann, der von einem der Wagen gefallen ist, von der umherstehenden Menschenmenge umgehend gelyncht wurde. Bei der sich auf der Flucht befindenden Bevölkerung handelt sich um die muslimische Bevölkerungsteile der Städte, vor allem Viehzüchter und Händler. Dies könnte laut Bouckaert bald zu Engpässen in der Versorgung der Städte mit Lebensmittel führen.

Aus dem Landesinnern dringen kaum Informationen hervor

Informationen über das, was im Landesinnern vor sich geht, sind spärlich. Vereinzelt geben lokale Religionsführer Auskunft über die Vorgänge, die Navi Pillay, Hohe Kommissarin für Menschenrechte bei der UNO, veranlasst haben, die Internationale Gemeinschaft zu alarmieren.

Marie-Elisabeth Ingres, Chefin der Mission von Ärzte Ohne Grenzen, zeigt sich gegenüber der Zeitung Le Monde besorgt und fasst die Situation in den ländlichen Gebieten zusammen: „Im Norden und Nordosten des Landes ist die Gewalt ungebändigt. Immer mit demselben Schema. Die Angehörigen der [muslimischen Rebellenarmee] Ex-Seleka ziehen sich in Richtung Tschad beziehungsweise ihrer Hochburg im Osten des Landes zurück und lassen das hinter sich, was man als ‚verbrannte Erde‘ bezeichnen kann. Die christliche Dorfbevölkerung flieht ins Buschland. Kurz darauf kommen die [christlichen] Anti-Balaka-Milizen, die sich an der muslimischen Minderheit vergreifen, was einen enormen Exodus in den Tschad und ins benachbarte Kamerun zur Folge hat.“

Das Problem ist, dass die Entwaffnung, die, laut Ulrich Delius vom GfbV, nun auch im Landesinnern von den Friedensmissionen durchgeführt wird, bisher nur die Ex-Seleka betrifft. Ihn stört zusehends die scheinbare Gleichgültigkeit und Naivität des internationalen Einsatzes: „Es gibt keinen besonderen Schutz für diese Teile der Bevölkerung.“ Es sind jedoch nicht nur Muslime, die rund 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, auf der Flucht. Auch die christlichen Teile der Bevölkerung leiden unter der mangelnden Sicherheit. Allein in Bangui sind 413 000 Flüchtlinge in 68 Camps untergebracht. Weitere 246 000 Menschen haben in den Nachbarstaaten Zuflucht gesucht.