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Politik

Zufälle, die keine sind?

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Die „Balyoz“- und „Ergenekon“-Prozesse sorgten in der Türkei für eine Aufarbeitung ungesetzlicher Umtriebe von Geheimdiensten. „Zaman“-Autor Abdülhamit Bilici fragt, ob „Ergenekon“ nicht auch auf internationaler Ebene denkbar wäre. (Foto: aa)

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Auch wenn sie für viele Menschen, die die Dinge aus einer tagespolitischen Perspektive heraus betrachten, schon längst kein Thema mehr sind, mussten doch zwei Ereignisse, die vor den Wahlen in Frankreich stattgefunden hatten, bei genauerer Betrachtung recht mysteriös anmuten.

Der erste Fall betrifft den ehemaligen IWF-Vorsitzenden Dominique Strauss-Kahn. Politische Beobachter in und außerhalb Frankreichs sahen in diesem Mann, der auch unter dem Akronym DSK bekannt ist, einen aussichtsreichen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2012.

Man sah in ihm nicht nur einen potenziellen ernsthaften Herausforderer des amtierenden charismatischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, sondern auch jemanden, der kraft seiner Kompetenz auch in der Lage wäre, Frankreich aus dem wirtschaftlichen Chaos herauszuholen. DSK, der zum damaligen Zeitpunkt als Sarkozys aussichtsreichster Gegenkandidat galt, sollte aber schon bald zuerst seine Position als Präsident des IWF verlieren und in weiterer Folge auch vorzeitig aus dem Wahlkampf-Rennen ausscheiden. Der Grund hierfür waren die Beschuldigungen einer Hotelbediensteten in New York, die ihm vorgeworfen hatte, sie sexuell belästigt zu haben.

Der zweite Vorfall ereignete sich, als Sarkozy auch gegenüber François Hollande, dem Folgekandidaten der Sozialisten, in Bedrängnis geriet. Es waren gerade mal noch 2 Monate Zeit bis zu den Wahlen und alle Umfrageergebnisse sprachen eindeutig gegen Sarkozy. Vermeintlich genau zur rechten Zeit ereignete sich ein „islamistischer“ Terroranschlag in Toulouse – und die Terrorbekämpfung galt ebenso wie die Innere Sicherheit stets als wichtiges Profilierungsthema für Sarkozy.

War Mohammed Merah ein Polizeispitzel?

Der Tatverdächtige Mohammed Merah, ein Franzose mit nordafrikanischen Wurzeln, brachte in Toulouse innerhalb von zehn Tagen drei französische Soldaten, einen jüdischen Lehrer sowie drei jüdische Kinder um. Am Ende einer 32-stündigen Polizeiaktion wurde er getötet. Es wurde anschließend verkündet, der 23-jährige Merah habe aus Rache für getötete palästinensische Kinder gemordet.

In Anbetracht eines so schweren Verbrechens ist jedes Detail über den Tatverdächtigen, von seinem Namen bis hin zu seinen Verbindungen, bedeutend. In der französischen Presse war zu lesen, er habe in Pakistan und Afghanistan eine militärische Ausbildung durchlaufen.

Nachdem die Spezialeinheit der französischen Polizei (RAID) die Spur zu Merah gefunden hatte, richtete sich der Blick der französischen, sowie der internationalen Medien auf Toulouse. Nach einer langen Belagerung und geduldigem Warten wurde der Tatverdächtige – möglicherweise auf der Flucht -, mit einem Kopfschuss getötet, als er vom Balkon eines von allen Seiten umzingelten Hauses zu springen versuchte.

Bereits im Zuge der innerbehördlichen und medialen Aufarbeitung des Einsatzes tauchten jedoch erste Fragen auf. Der Gründer der Sondereinsatztruppe der Gendarmerie, Christian Prouteau, sagte bezüglich des Einsatzes: „Wären in die Wohnung, in der sich Merah verschanzt hatte, Tränengasbomben geworfen worden, wäre er innerhalb von 5 Minuten gezwungen gewesen, sich zu stellen. Indem man aber Handgranaten geworfen hatte, stachelte man nur den Widerstandswillen des Verfolgten an.“

„Ermittlungspannen“ nach NSU-Art?

Die Zweifel an der Vorgehensweise der Einsatzkräfte wurden in weiterer Folge immer größer. Obwohl die Spezialeinheiten der Polizei die Möglichkeit gehabt hätten, Merah lebend zu fangen, töteten sie ihn durch einen Kopfschuss, noch bevor geklärt werden konnte, ob er die Morde allein begangen hätte oder eine Organisation dahinter steckte. Die offiziellen Stellen erklärten, dass es sich bei ihm um einen terroristischen Einzeltäter gehandelt hätte.

Die Botschaft an das französische Volk wurde dadurch umso beängstigender: Merah wäre in der Lage gewesen, alleine eine terroristische Aktion durchführen. Er brauchte dafür keine Mittäter und Hintermänner. Als die Antiterroreinheit der Polizei Merah zum „einsamen Wolf“ erklärte, war die Verknüpfung, dass jeder Muslim ein potenzieller Terrorist sein könnte, hergestellt, ohne dass dies noch jemand offen hätte aussprechen müssen.

Erst eine Weile später kam heraus, dass Merah möglicherweise ein Polizeispitzel gewesen sein könnte. Er wäre unter ständiger Beobachtung gewesen und hätte quasi unter „Polizeiaufsicht“ die Morde begehen können: Diese These vertraten nicht irgendwelche obskuren Verschwörungstheoretiker, sondern Yves Bonnet, der ehemalige Leiter des französischen Geheimdienstes während der Amtszeit des früheren Präsidenten François Mitterand.

Merah, dem es verboten war, auf dem Luftweg in die USA einzureisen, soll mithilfe des französischen Geheimdienstes in der Lage gewesen sein, einige Länder des Nahen Ostens zu bereisen, u.a. Israel und Türkei. Sein Telefon wäre über das gesamte Jahr 2011 hinweg von der Polizei abgehört worden und obwohl Mitarbeiter des Geheimdienstes einen Tag vor dem Anschlag auf die jüdische Schule an seine IP Adresse gelangt sein sollen, wären die französischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage gewesen, Merah an seinen Taten zu hindern.

Warum hakten die Medien nicht nach?

Obwohl auf diese Weise einige Fragen offen blieben, hielt sich das Interesse der rechten wie der linken Mainstreammedien – die sich nach Auffassung mancher Beobachter in Frankreich nicht allzu wesentlich voneinander unterscheiden sollen – an der näheren Recherche bezüglich potenziell aufklärungsbedürftiger Einzelheiten in eher überschaubaren Grenzen.

Nach Auffassung zahlreicher politischer Beobachter erscheint es vor diesem Hintergrund als verfrüht, die beiden angesprochenen Ereignisse – den unfreiwilligen Abgang Strauss-Kahns wie die Morde, die Merah zur Last gelegt werden – mit Blick auf die gegebenen Umstände und mutmaßlichen Verquickungen ad acta zu legen. Der Beigeschmack erscheint jedenfalls als bitter: Ersterer wurde medial aus dem Präsidentschaftsrennen gedrängt. Letzterer wurde vor den Augen der Öffentlichkeit getötet und nahm seine Geheimnisse mit ins Grab. Und beides ereignete sich in einer politisch sehr heiklen Phase.

Auch die USA befinden sich derzeit in einem Wahlkampf. Und es ist keine drei Wochen her, da ein von mysteriösen und zweifelhaften Personen produzierter, abscheulicher Film nicht unerhebliche Wirkung auf die Innenpolitik der USA zu entfalten begann. Der Film, der Proteste in der islamischen Welt hervorrief, die mit dem Tod vieler Menschen, darunter des US-Botschafters in Libyen, endeten, ruft unvermittelt auch wieder die Ereignisse in Frankreich in Erinnerung.

Es gibt nach Auffassung von Beobachtern auch hier tonnenweise Fragezeichen. Der libysche Parlamentsvorsitzende Mohammed Yusuf Al-Magarieff sagte sogar, der Anschlag in Bengasi wäre eine „detailliert durchgeführte Operation“ gewesen. Und er ist nicht der Einzige, der organisierte Machenschaften hinter den Ereignissen vermutet.

Gibt es „Ergenekon“ nur in der Türkei?

Schon immer hatten Menschen in Anbetracht solcher Ereignisse über die mögliche Rolle von Akteuren aus „dunklen und geheimen Machenschaften“ spekuliert. Beweisen konnte man derartige Verwicklungen jedoch nie.

Vielleicht können die Erkenntnisse des Gerichtsverfahrens in der Türkei über den Anschlag auf das Oberverwaltungsgericht des Landes auch hier aufschlussreich sein. In den Mainstreammedien des Landes wurde der Anschlag ursprünglich als eine „Auflehnung eines radikalen Islamisten gegen die Republik“ etikettiert. Im Laufe des Prozesses stellten sich aber der wahre Hintergrund des Anschlages und die Verbindungen des Attentäters heraus.

Alle Beweise wiesen auf ein organisiertes Komplott hin, mit einer Verflechtung in Richtung der Geheimdienste und des türkischen Untergrundnetzwerkes „Ergenekon“. Zudem wurden während des gesamten Geschehens die Sicherheitskameras der OYAK ausgeschaltet und die noch verwertbaren Aufnahmen wurden anschließend gelöscht.

Die Enthüllung des Treibens des lokalen Netzwerks „Ergenekon“ könnte jedoch nur die Spitze des Eisberges sein. Wer kann ausschließen, dass es so etwas wie „Ergenekon“ nicht auch in anderen Ländern, auf überregionaler bzw. sogar auf globaler Ebene geben könnte. Doch würden die Medien, die politisch Verantwortlichen, die Polizei und die Justiz auch in einem solchen Fall den Willen aufbringen, auch die Machenschaften eines möglichen „Globalen Ergenekon“ aufzudecken?