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Zwei große Staatsmänner, ein Todestag

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BLOG Manchmal erreichen einen Nachrichten, die einen dazu bringen, alles stehen und liegen zu lassen, was man gerade macht. Plötzlich ist einem alles andere egal und man verfällt in tiefe Gedanken. So denke ich seit gestern über den Tod Helmut Schmidts nach.

Ganz nebensächlich habe ich noch etwas zum Todestag Mustafa Kemal Atatürks gepostet und mich dann direkt wieder in meinen Alltag gestürzt. Schließlich war gestern der 77. Todestag von Atatürk. An diesen jährlichen Gedenktag bin ich seit meiner Kindheit gewöhnt.

Doch zu erfahren, dass nun auch mein zweites politisches Idol verstorben ist, hat mir den Teppich unter den Füßen weggezogen. Und so mache ich jetzt genau das, was ich sonst auch immer mache, wenn ich in tiefe Gedanken verfalle: Ich schreibe.

Vom fast Unmöglichen zum ganz Unmöglichen

Idole sind Menschen, denen man große Bewunderung schenkt. Sie sind oft Vordenker, Vorreiter, Vorbilder – vor allem aber, und das darf man nie vergessen, sind sie Menschen. So liegt es in der Natur der Sache, dass sie zwar nicht perfekt sind und natürlich auch Fehler machen, man ihnen aber viele Dinge verzeiht, die einem an ihrem Wirken nicht wirklich gefallen. So verhält es sich mit Eigenschaften meiner Idole etwa, die Menschen mir immer wieder aufzeigen, um meine Bewunderung für sie zu relativieren.

So wird Helmut Schmidt beispielsweise oft mit dem Satz zitiert: „Es war ein Fehler, dass wir zu Beginn der sechziger Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land holten.“

Solche Sätze sind es, die – oft aus dem Kontext gerissen – uns ein verzerrtes Bild von Menschen geben können. Viel zu gerne hätte ich mich mal in Ruhe mit Helmut Schmidt hingesetzt und dieses Thema ausführlich besprochen. Was bis heute noch fast unmöglich war, wurde heute ganz unmöglich.

Viel wichtiger aber ist es bei Altpolitikern, sich klarzumachen, welchen Einfluss sie auf unsere Gesellschaft hatten. So steht bei Helmut Schmidt vor allem sein Wirken für unser europäisches Miteinander im Vordergrund. Er war ein Staatsmann, der unserem Land – wie nur wenige andere vor, mit und nach ihm – mit klarem Kopf und brillantem Sachverständnis in schwierigsten Zeiten des politischen Europas gedient hat. Dank Schmidt und seinen Wegbegleitern konnte Deutschland eine ehrliche und führende Rolle im Prozess der europäischen Integration übernehmen und diese weitestgehend erfolgreich ausfüllen.

Helmut Schmidt warnte vor Ignoranz

Helmut Schmidt war auch Angehöriger der Generation von führenden Politikern, die Weltkriege miterlebt, während ihrer Amtszeiten eine Wiederholung dieser verhindert und uns immer wieder vor den Gefahren derartigen Elends gewarnt haben. So kritisierte er 2008 die westliche Welt dafür, anfällig für Rechtsextremismus und ignorant gegenüber den Belangen des Islam zu sein und warnte, der von Samuel Huntington beschriebene „Zusammenprall der Kulturen“ könne durch unsere Ignoranz zur Realität werden.

Doch wenn ich persönlich an Helmut Schmidt denke, denke ich vor allem an ganz andere Zitate.

Kurz nachdem er 2009 anfing, im Rollstuhl zu sitzen, fragte ihn ein Journalist besorgt nach seiner Gesundheit und Schmidt antwortete:

„Wenn Sie wollen, drehe ich Pirouetten im Rollstuhl!“

Einige Monate später, im Februar 2010, kam er mit ehemaligen führenden Politikern der Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschlands zusammen, um über globale Außenpolitik zu sprechen. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz forderten sie von heutigen politischen Akteuren eine atomwaffenfreie Welt sowie die vernünftige Zusammenarbeit von Regierungen in internationalen Fragen. Helmut Schmidt war damals der einzige unter allen Teilnehmern, der im Rollstuhl saß. Beim Pressefoto äußerte er sich dazu gewohnt humorvoll und mit folgenden Worten:

„In zehn Jahren werden diese anderen Herren alle in Rollstühlen sitzen, aber ich werde nicht mehr dabei sein.“

Heute wünscht man sich, er hätte mit dieser Aussage unrecht gehabt und würde noch weiter leben, doch waren es leider sogar viel weniger als zehn Jahre, die uns mit Helmut Schmidt noch blieben. Wie oft werden wir seinen Rat noch bitter nötig haben, ihn aber nicht mehr danach fragen können?

Der Einfluss unserer Idole auf uns

Es gibt wenige Menschen, die uns nicht nur zu Lebzeiten, sondern und vor allem auch durch ihren Tod in solch tiefe Gedanken schleudern und sogar dazu bringen können, ernsthaft über den Sinn und Unsinn des Lebens nachzudenken. Meist sind es nahe Familienmitglieder oder Freunde, deren Tod sogar einen Wechsel des Lebensstils verursachen kann. Manchmal sind es aber auch Menschen, die man nie persönlich getroffen hat, die aber trotzdem einen starken Einfluss auf einen hatten und haben. Idole eben.

So krame ich heute einen Bilderrahmen aus meiner Schublade heraus, der bis vor einigen Wochen noch an meiner Wand hing. Darin ist ein Zitat meines Idols Helmut Schmidt, welches ich vor geraumer Zeit ausgedruckt, eingerahmt und an der Wand direkt über meinem Schreibtisch platziert hatte. Der Text ist ein Auszug aus einem Interview. Auf die Frage, was denn das Wichtigste im Leben sei, antwortete Schmidt damals:

„Für mich ist das Wichtigste, sich Aufgaben zu stellen, Aufgaben zu begreifen und danach zu streben, die verstandenen Aufgaben bestmöglich zu erfüllen.“

und weiter auf die Frage, ob Erfolg im Beruf oder der Halt in der Familie zufriedener mache:

„In beiden Fällen die Erfüllung der erkannten Pflichten!“

Ich wünschte, meine eigenen Aufgaben und Pflichten wären mir bewusster und ich könnte mich ihnen besser stellen. Gerade in meinem Alter kommt man sich doch häufig vor wie ein Reisender, der sein Ziel noch nicht wirklich gefunden hat. Oft begibt man sich auf Irrwege, kehrt dann um und wählt eine andere Route, stellt dann aber fest, dass der vorherige Weg vielleicht doch der bessere war. Man zögert oft auch, weil man nicht weiß, was hinterm Horizont auf einen wartet.

Mein zweites politisches Idol: Mustafa Kemal Atatürk

Mein zweites politisches Idol neben Helmut Schmidt, Mustafa Kemal Atatürk, wird dazu häufig mit folgenden Worten zitiert:

„Für einen Reisenden reicht es auf seiner Reise nicht, den Horizont zu sehen. Er muss auch sehen und kennen, was jenseits des Horizonts ist.“

Was bleibt mir anderes übrig, als weiterhin Ausschau danach zu halten, was hinterm Horizont wohl auf mich warten könnte?

Für mich zwei Idole, die mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Zumindest die Liebe zum eigenen Land hatten sie gemeinsam. Und die Liebe zu diesen beiden Ländern ist es auch, die mich persönlich ihnen näher bringt.

Und so halte ich es auf Türkisch und sage:

Allah rahmet eylesin!
– Möge Gott ihrer Seelen gnädig sein!


Foto: dpa