Panorama
Bergmann aus Soma: „Ich bin über die Leichen gekrochen“
Wenn der Stollen zur Todesfalle wird: Nach dem verheerenden Unglück in Soma werden immer mehr Details über die Opfer bekannt. Der Bergmann Arif Dudu beschreibt seinen 8,5 Stunden dauernden Überlebenskampf unter Tage. (Foto: dpa)
Das große Bergwerkunglück in der Türkei hat bislang mehr als 300 Opfer gefordert. Doch neben den Geschichten der Opfer gibt es auch dramatische Schilderungen der Ereignisse von überlebenden Bergmännern. Einer der Kumpel von Soma ist der 27 Jahre alte Arif Dudu. Dudu befand sich zum Zeitpunkt des Unglücks unter Tage und wurde zusammen mit seinen Kollegen vom tödlichen Rauch, der die Stollen durchzog, überrascht. Doch er überlebte.
Dudu berichtet von seinen 8,5 Stunden dauernden Überlebenskampf unter Tage: „Es war kurz vor Schichtende. Wir bereiteten uns gerade für die Schichtübergabe vor. Da habe ich gespürt, wie das Trafo explodiert ist und der Rauch breitete sich auch zu uns aus. Aufgrund des dichten Rauches sind Kollegen vor mir in Ohnmacht gefallen. Manche sind auch gestorben.“
So begann eine dramatische Odysse in den Stollen von Soma, die sich über 8,5 Stunden erstreckte und deren Ausgang für Dudu bis zum Schluss ungewiss war. „Es gab in der Nähe einen Bereich in den wir flüchten konnten. Wir sind sofort mit 30 bis 40 Kollegen in diesen Bereich gegangen. Als auch dort der Sauerstoff knapp wurde und manche Kollegen in Ohnmacht fielen, haben wir uns von diesem Bereich entfernt. Ich habe mir sehr schwer getan zu laufen, als Kollegen vor mit in Ohnmacht gefallen sind oder auch starben. Ich bin schließlich über meine Kollegen gekrochen und habe mich zu dem in etwa 500 Meter entfernten Bereich, wo die Sauerstoffmasken sind, geschleppt.“
Mehr als acht Stunden Überlebenskampf in den Stollen
„Manche Kollegen rangen um ihr Leben. Ich habe versucht ein bis zwei Personen zu tragen, habe es aber nicht geschafft. Ich habe es schließlich geschafft den Bereich, wo die 12 Kilogramm schweren Industriesauerstoffflaschen waren, zu erreichen. Hier habe ich gesehen wie drei Kollegen die Sauerstoffflaschen benutzten. Die haben mich auch zu sich genommen. Als wir mit den Sauerstoffflaschen versuchten zu überleben, haben wir ein bis zwei Meter vor uns gesehen wie ein Kollege in Ohnmacht gefallen ist. Wir haben auch den Kollegen dann mit Sauerstoff versorgt. Auch anderen halb in Ohnmacht gefallen Kollegen haben wir versucht zu helfen und sind dabei gekrochen. Wir haben versucht mit dem Sauerstoff sparsam um zu gehen.“
Den fast 8,5 stündigen Überlebenskampf beschrieb Arif Dudu wie folgt: „Insgesamt verbrachte ich und meine geretteten Kollegen nach dem Unglück 8,5 Stunden unter Tage. Um nicht viel Energie zu verlieren und um keinen Sauerstoff zu verbrauchen, haben wir uns langsam bewegt. Ich bin über meine toten Kollegen gekrochen. Irgendwann haben wir die Belüftungsrohre für die Maschinen gesehen. Wir haben dann Löcher in die Rohre gemacht um zu atmen. Dann kam endlich frische Luft und die Rettungskräfte haben mich erreicht. Nach 8,5 Stunden wurde ich gerettet. Sie haben mich auf dem Rücken in halber Ohnmacht rausgetragen. Ich kam ins Krankenhaus. Aus meiner Gruppe konnten sich nur vier Personen retten. Ich weiß nicht, wo die anderen Kollegen, (die im Stollen noch) hinter mir waren, geblieben sind.“
„Es gibt keine andere Arbeit“
Arifs Bruder Baki, der ebenfalls in der Mine arbeitet, war zum Zeitpunkt des Unglücks nicht unter Tage: „Weil mein Bruder unter Tage war habe ich mich den Rettungskräften angeschlossen sagte Baki Dudu und fügte hinzu: „Manchen Rettungskräften wurde übel. Ich habe bei der Rettung einiger Kumpels geholfen. Stunden sind vergangen. Als ich meinen Bruder nicht finden konnte, da wurde ich fast wahnsinnig. Ich kann es nicht beschreiben wie glücklich ich war, als ich nach fast neun Stunden auf dem Rücken einer Rettungskraft meinen Bruder gesehen habe.“
Doch nach dem Unglück und seiner Rettung stellt sich Arif Dudu auch die Frage, wie er fortan seinen Lebensunterhalt verdienen kann. „Wenn ich eine andere Arbeit finde werde ich nicht die mehr unter Tage arbeiten. Aber es gibt keine andere Arbeit. Ich bin gezwungen, wieder zurück zu kehren. Ich werde die Erlebnisse mein Leben lang nicht vergessen.“