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Ausgangssperre in der Türkei: Innenminister erklärt Rücktritt − Erdoğan lehnt ab

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Nach den chaotischen Bildern zum Start der Ausgangssperre vor zwei Tagen ist der türkische Innenminister Süleyman Soylu zurückgetreten. Er übernehme die volle Verantwortung für die am Freitag verhängte Ausgangssperre in mehreren Städten und die Folgen, teilte Soylu am Sonntag auf Twitter mit. Präsident Recep Tayyip Erdoğan lehnte allerdings den Rücktritt ab, woraufhin Soylu seinen Tweet wieder löschte.

Das Innenministerium hatte am späten Freitagabend kurzfristig eine weitgehende Ausgangssperre wegen der Corona-Krise für 48 Stunden in 31 Städten beziehungsweise Provinzen verhängt, darunter in den Metropolen Istanbul, Ankara und Izmir. Die Kommunikation der Behörden war scharf kritisiert worden, weil die Maßnahme erst zwei Stunden vor Beginn der Frist bekannt wurde und Details der Regelung zunächst unklar waren.

Am Freitagabend war es deshalb zu Panikkäufen und Menschenansammlungen in den betroffenen Städten gekommen. Die in den letzten Wochen praktizierten Mindestabstand-Regeln sowie das strikte Mundschutzgebot schienen vergessen zu sein. „Einmonatige Vorsicht durch zweistündiges Chaos zunichte gemacht“, fassten politische Beobachter die Situation in der Nacht von Freitag auf Samstag zusammen.

Soylu will Erdoğan „immer treu bleiben“

Soylu schrieb weiter, er habe das Amt des Innenministers, das er im August 2016 wenige Wochen nach dem Putschversuch angetreten hatte, mit Stolz ausgeübt und werde dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan immer treu bleiben. Die Ausgangssperre sollte heute Mitternacht enden.

Nach dem kurzzeitigen Chaos am Freitagabend hatte sich die Bevölkerung übers Wochenende weitestgehend an das verhängte Ausgangsverbot gehalten. Nur wenige Bürger hätten gegen die Maßnahme verstoßen, teilte das Innenministerium am Sonntag kurz vor dem Rücktritt Soylus nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mit. Man bedanke sich bei der Bevölkerung.

Autofreie Straßen und stille Wohnviertel in Istanbul und Co.

In der Millionenmetropole Istanbul waren am Samstag und Sonntag bei wunderbarem frühlingshaftem Wetter die Plätze menschenleer, Straßen fast autofrei und Wohnviertel ungewöhnlich still. Bilder aus anderen betroffenen Städten zeigten ähnliche Szenen. Brot und Wasser durften aber auch am Wochenende ausgeliefert werden, wichtige Einrichtungen wie Kliniken und Apotheken blieben offen.

Soylu bekräftigte vor seiner Rücktrittserklärung auf Twitter in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit der Zeitung „Hürriyet“, dass man sich für die Maßnahme am Wochenende entschieden habe, um „Produktions- und Lieferketten“ nicht zu schaden. Der 50-Jährige räumte zudem ein, dass er die Panikkäufe nicht vorausgesehen habe. „Ich habe die Kritik aufgenommen und akzeptiert“, sagte er. Er denke jedoch nicht, dass die zeitlich begrenzten Menschenansammlungen am Freitagabend in Zukunft ein Problem darstellen werden. Am Samstag hatte er die Ausgangssperre und den Zeitpunkt der Verkündung noch verteidigt.

Reaktionen auf die Erklärung des Innenministers

Der Vorsitzende der größten oppositionellen Partei der Türkei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, erklärte in einer ersten Reaktion, dass er „Verständnis“ für den Rücktritt Soylus habe. Im Einzelnen sagte Kılıçdaroğlu: „Ich glaube nicht, dass der Rücktritt des Innenministers eine einzig von ihm getroffene Entscheidung ist. Auch der Gesundheitsminister ist nicht in der Lage, eigenständig Entscheidungen treffen. Mit seinem Schritt zielt Soylu darauf ab, Schaden von Erdoğan abzuwenden, was ich gut verstehen kann.“

Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der IYI-Partei Meral Akşener. Sie erwarte nun dieselbe „Reife“, die Soylu mit seinem Rückzug bewiesen habe, vom Finanzminister Berat Albayrak und von Bekir Pakdemirli, der als Minster für die Land- und Forstwirtschaft zuständig ist. Beide kritisiert sie seit längerer Zeit.

#SeninleyizSoylu

In regierungsnahen Medien zeigte man sich überrascht über die Entwicklung. Mahmut Övür von „Sabah“ sagte, dass niemand mit dem Rücktritt gerechnet habe und sprach von einer „Überraschung“. Melih Altınok, ebenfalls von „Sabah“, erklärte, dass Soylu den Präsidenten vorab informiert habe. Es sei falsch und zu früh, Soylus Wirken unter dem Eindruck der Bilder von Freitagabend zu bewerten. Die Türkei habe unter ihm große Fortschritte im Kampf gegen den Terror erzielt, das dürfe nicht vergessen werden.

Viele Anhänger von Soylu initiierten nach dessen Rücktrittserklärung eine Kampagne auf Twitter und anderen Kanälen. Sie bitten ihn unter dem Hashtag , seine Entscheidung zu überdenken und zu revidieren. Um kurz vor 1 Uhr türkischer Zeit gab das Kommunikationsministerium bekannt, dass Erdoğan den Rücktritt Soylus nicht angenommen habe. Dieser werde seine Arbeit fortsetzen. Soylu habe in den letzten Jahren einen guten Job gemacht und genieße ein hohes Ansehen im Volk; explizit Bezug genommen wurde in der Mitteilung unter anderem auf den Kampf gegen den PKK-Terror und die schnellen Hilfen, die er etwa in die Erdbebenregion in Elazığ koordiniert habe.

Fast 1.200 Tote und 57.000 Infizierte in der Türkei

Die Türkei hatte vor rund einem Monat ihren ersten Coronavirus-Fall gemeldet. Am stärksten betroffen ist nach offiziellen Angaben Istanbul. Gesundheitsminister Fahrettin Koca teilte am Sonntag via Twitter mit, die Zahl der Infizierten sei auf 56 956 gestiegen. In 24 Stunden seien zudem 97 Menschen an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben, damit stieg die Gesamtzahl der Todesopfer auf 1198. Mehr als 3000 Menschen hätten sich erholt.

dtj/dtj

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