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Politik

Deniz Yücel und die Krise mit Ankara

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Die Türkei hofft darauf, dass mit der neuen Bundesregierung auch eine «neue Seite» in den belasteten Beziehungen aufgeschlagen wird. Dem steht vor allem eines im Wege: Die Inhaftierung Deniz Yücels – der seit einem Jahr ohne Anklage in einem türkischen Gefängnis sitzt.

Am 14. Februar vergangenen Jahres stellte sich Deniz Yücel in Istanbul freiwillig der Polizei, die nach dem «Welt»-Korrespondenten gefahndet hatte. Niemand rechnete damals damit, dass der deutsch-türkische Journalist ein Jahr später noch immer ohne Anklage in Untersuchungshaft sitzen würde. Das Datum markiert aber nicht nur den Tag, an dem Yücel seine Freiheit verlor, sondern auch den Beginn einer bis dahin beispiellosen Krise zwischen Deutschland und der Türkei. Eine Krise, die die Regierung in Ankara beilegen möchte. Die Gründe dafür sind vor allem wirtschaftlicher Natur. Es geht aber auch um Rüstungsgüter aus deutscher Produktion.

Nach der Freilassung eines Deutschen in dieser Woche zählt das Auswärtige Amt noch sechs Bundesbürger, die aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert sind. Die Zahl dieser Gefangenen – die Bundesaußenminister Sigmar Gabriel einst mit «Geiseln» verglich – war im vergangenen Sommer noch deutlich höher, mehrere wurden seitdem auf freien Fuß gesetzt. Zu den prominentesten Fällen gehörte der Menschenrechtler Peter Steudtner, der Ende Oktober nach Vermittlung durch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan aus der U-Haft entlassen wurde und ausreisen durfte.

Ebenfalls im Oktober hatte die Bundesregierung nach einem «Spiegel»-Bericht eine Vorgenehmigung für die Modernisierung von 120 türkischen M60-Kampfpanzern aus US-Produktion erteilt, die zum Schutz vor Minen und Sprengfallen nachgerüstet werden sollen. Im Juli – zum Höhepunkt der Krise mit Ankara – hatte die Bundesregierung verkündet, es kämen «alle Anträge für Rüstungsexporte auf den Prüfstand». Ob die Vorgenehmigung und die Freilassung Steudtners nur zufällig auf denselben Monat fielen, ist nicht bekannt.

Kein Geheimnis ist, dass sich Ankara auch eine Nachrüstung der deutschen «Leopard»-Panzer in der türkischen Armee wünscht. Gabriel hatte im vergangenen Monat in der ARD Verständnis für das Ansinnen der Erdogan-Regierung geäußert. Er sehe «keine richtige Argumentation», warum man dem Nato-Partner Türkei eine solche Aufrüstung verweigern sollte, sagte Gabriel – und verwies darauf, dass türkische Soldaten im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ums Leben kamen, weil ihre Panzer nicht ausreichend gegen Minen geschützt waren.

Das Problem: Inzwischen hat die türkische Armee eine Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien begonnen, und zwar unter Einsatz deutscher «Leopard 2». Der Einmarsch in die Region Afrin ist nach Überzeugung Ankaras legitim, Kritiker halten ihn dagegen für potenziell völkerrechtswidrig. Die amtierende Bundesregierung hat die Entscheidung über die «Leopard»-Nachrüstung nun lieber auf die Zeit nach Bildung einer neuen Regierung verschoben.

Deniz Yücel hat deutlich gemacht, dass er nicht im Gegenzug für ein Rüstungsgeschäft oder durch andere Tauschhandel freikommen möchte. «Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung», betonte der 44-Jährige im vergangenen Monat. Er fügte hinzu, er wolle seine Freiheit nicht «mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen». Gabriel reagierte verschnupft auf die Äußerungen und sagte: «Es gibt doch gar keinen Anlass dafür.» Schmutzige Deals gebe es nicht.

«Solche Deals machen wir nicht», sagte auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu der ARD. «Wir verhandeln so nicht. Wie könnte ich so verhandeln, wie könnte ich garantieren, dass das Gericht irgendein bestimmtes Urteil fällt, das Deutschland erwartet oder das die Deutschen erwarten?» Die Justiz, darauf verweist Ankara immer wieder, sei schließlich unabhängig. Vor deutschen Journalisten betonte Cavusoglu im vergangenen Monat in Antalya: «Ich versichere Ihnen, Deniz Yücel ist kein politisch motivierter Fall.»

Politisiert ist der Fall allerdings spätestens, seit sich Präsident Erdogan im März vergangenen Jahres erstmals dazu äußerte – und Yücel als einen «Vertreter der PKK», also einer Terrororganisation, und als «deutschen Agenten» bezeichnete. Belege dafür blieb er schuldig. Einen Monat später sagte Erdogan zu einer möglichen Überstellung Yücels an Deutschland: «Auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin, niemals.»

Welche Aussichten hat Yücel dann, freizukommen? Möglich wäre ein Freispruch am Ende eines Verfahrens – oder eine Gefängnisstrafe, die mit der U-Haft abgegolten wäre. Für einen Prozessbeginn müsste aber zunächst eine Anklageschrift vorliegen, die die Staatsanwaltschaft auch nach einem Jahr noch nicht produziert hat. Yücel merkte dazu kürzlich ironisch an: «Entweder die Staatsanwaltschaft hat mich vergessen. Oder sie hat noch keine Anweisung dazu erhalten.»

Zwar hat Yücel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Klage gegen seine U-Haft eingereicht. Nicht nur ist aber unklar, wann der EGMR entscheiden könnte, offen ist auch, ob die Türkei eine Entscheidung aus Straßburg dann umsetzen würde.

Yücel hat zudem Beschwerde beim türkischen Verfassungsgericht eingelegt, das im vergangenen Monat die Freilassung von zwei regierungskritischen Journalisten verfügt hat. Eben jene Regierung, die stets die Unabhängigkeit der Justiz ins Feld führt, warf dem höchsten Gericht danach vor, seine Kompetenzen überschritten zu haben. Untergeordnete Gerichte weigerten sich daraufhin, die Urteile umzusetzen. Die Journalisten sind weiter in Untersuchungshaft.

Konkrete Anzeichen für eine baldige Freilassung Yücels gibt es derzeit also nicht. Solange Yücel aber ohne Anklage hinter Gittern sitzt, wird Berlin die Krise kaum beilegen können, selbst wenn Ankara dafür wirbt. Nicht nur hat die Krise deutsche Investoren verunsichert. Solange sie anhält, kann die Türkei kaum damit rechnen, dass Deutschland einer Modernisierung der EU-Zollunion oder einer Visaliberalisierung zustimmt – Forderungen, die aus Sicht Ankaras viel bedeutender als die Modernisierung der Panzer sind.

Cavusoglu warb vor einem Besuch bei seinem «persönlichen Freund» Gabriel in dessen Heimatort Goslar im Januar für einen «Neustart» im Verhältnis. Gabriel ist zwar nach jetzigem Stand bald nicht mehr im Amt, Erdogan setzt nun aber darauf, dass mit der künftigen Bundesregierung «eine neue Seite» in den Beziehungen aufgeschlagen wird. Sein Sprecher Ibrahim Kalin sagt: «Wir erwarten, dass die Koalition, die neu gebildet wird, einen Beitrag dazu leistet.»

Can Merey/dpa