Geschichte
Das Gesicht der ersten Gastarbeiter und „das Leben im Koffer“
Vor über 50 Jahren kam der millionste Gastarbeiter am Bahnhof Köln-Deutz an und wurde mit Nelken, einem Moped und Blitzlichtgewitter empfangen – dies gab nicht nur den Gastarbeitern ein Gesicht, es bot nun auch die Idee für ein Buch.
Die Einwanderung der ersten Gastarbeitergeneration nach Deutschland hat lange Zeit kaum die Aufmerksamkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf sich gezogen. Viele sahen darin ein vorübergehendes Phänomen, andere wiederum gingen davon aus, dass ihre Integration ein Selbstläufer sein wird. Allen aber war wichtig, dass der Wohlstand durch den Beitrag der Gastarbeiter gehalten werden konnte.
Diese mangelhafte Einstellung hat der Schweizer Schriftstelle Max Frisch mit dem historischen Satz „Wir haben Arbeiter gerufen, es sind aber Menschen gekommen“ kurz und knapp auf dem Punkt gebracht. Einer dieser Menschen war der damals 38 jährige Portugiese Armando Rodrigues de Sá, der im September 1964 nach Deutschland kam. Im Gegensatz zu den anderen Gastarbeitern gelangte de Sá zu unbeabsichtigter Berühmtheit, weil er von der deutschen Wirtschaft als der „millionste Gastarbeiter“ auserkoren wurde. Das machte ihn in der deutschen Presse kurzzeitig zum Star. Eine offizielle Delegation empfing ihn am Bahnhof Köln-Deutz: Mit einem Strauß Nelken, einer Ehrenurkunde sowie einem Zündapp-Moped hießen sie de Sá feierlich willkommen.
Es handelte sich dabei um eine Aktion des Arbeitgeberverbandes, der an einem positiven Image der Gastarbeitereinwanderung interessiert war. Bereits damals gab es Widerstand aus Teilen der Mehrheitsgesellschaft. Der 1926 geborene Armando Rodrigues de Sá ging nach einigen Jahren wieder zurück nach Portugal. Er starb am 5. Juni 1979 im Alter von 53 Jahren.
Nach über 50 Jahren beschäftigen sich die Autorinnen Cristina Dangerfield-Vogt und Svenja Länder in ihrem Buch „A Vida Numa Mala – Das Leben im Koffer“ mit der Geschichte von de Sá und anderen Gastarbeitern aus den sechziger Jahren. Der deutschen Historikerin Svenja Länder zufolge hat der bei der Einreise 38-jährige Portugiese der ersten Gastarbeitergeneration ein Gesicht gegeben: „Unsere Idee für das Buch entstand, als ich im September 2014 mit dem Enkel des ein-millionsten Gastarbeiters Armando Rodrigues de Sá aus Vale de Madeiros, einem kleinen Dorf im Nordosten Portugals, antrat, und uns das zu den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum in Köln führen sollte.“ Den Kontakt mit ihrer Co-Autorin Cristina Dangerfield-Vogt nahm sie vorher per Facebook auf. Von ihr und dem Enkel stammen die Gesprächsthemen für die gemeinsame Reise durch mehrere Ländern: „Die Grundidee des Buches sollte sein, eine Reise durch die Vergangenheit zu machen, während die Reise in der Gegenwart parallel stattfindet“, sagt Länder.
Das vorerst nur auf Portugiesisch erschienene Buch, in dem neben den Geschichten portugiesischer auch die türkischer Gastarbeiter erzählt werden, haben die beiden Autoren im Portugiesischen Kulturhaus in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. Über die Gründe, auch türkische Gastarbeiter in das Buch aufzunehmen, sagt Dangerfield-Vogt: „Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen beiden Einwanderungsgruppen. Eine von ihnen ist die große Vergangenheit, auf die beide Völker blicken. So wie die Osmanen sahen sich auch die Portugiesen als Erben einer prachtvollen Vergangenheit.“
Eine andere Ähnlichkeit seien die politischen Umstände, unter denen die Abkommen für die Gastarbeitermigration mit Deutschland abgeschlossen wurden. In Portugal herrschte 1964, dem Jahr, in dem das Abkommen unterzeichnet wurde, die Diktatur von António de Oliveira Salazar. In der Türkei hatten die Militärs im Jahre 1960 geputscht und den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Adnan Menderes sowie zwei weitere Minister hingerichtet. Das Abkommen mit der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 unterzeichnet. Auf die politischen Umstände der 1960er Jahre ging der Gastredner des Abends, der portugiesische EU-Abgeordnete Paulo Pisco, ein. Er bemängelte, dass es in Portugal immer noch kein Nationales Museum für Migration gibt, obwohl viele Portugiesen nach knapp 50 Jahren ihre Heimat wieder verlassen. Die letzte Zählung ergab 134.000 Portugiesen in Deutschland. Diesmal ist der Auslöser jedoch kein „Wirtschaftswunder“ in Deutschland, sondern die Finanzkrise, unter der Portugal neben Griechenland und Spanien besonders zu leiden hat.
Im kleinen Saal, in dem das Buch vorgestellt wurde, drängten sich die Zuhörer Schulter an Schulter. Neben portugiesischen und deutschen Gästen waren auch Berliner Türken anwesend. Ein Thema der Diskussion war, wie die Einwanderung Deutschland verändert hat. Beide Autorinnen stellten dabei nicht nur auf den großen Beitrag der Gastarbeiter für die deutsche Wirtschaft heraus und vertraten die Meinung, dass die Einwanderer das Land im Herzen Europas – unabhängig davon, aus welchem Land sie kamen – nachhaltig geprägt haben. Und zwar positiv: „In Deutschland findet ein toller Dialog zwischen den Kulturen und Religionen statt. Das Land ist durch die Einwanderung viel bunter geworden. Die Gastarbeitereinwanderung hatte zur Folge, dass Strukturen für die Integration aufgebaut wurden, auf die man jetzt in der Flüchtlingspolitik zurückgreifen kann. Sie werden die Integration der Flüchtlinge erleichtern“, sagen sie gegenüber DTJ.
Durch die Umayyadenherrschaft auf der iberischen Halbinsel, das berühmte Al-Andalus, wurden die Portugiesen auch von der arabischen Kultur geprägt. Die Ummayyaden und ihre Nachfolger herrschten dort vom 8. bis 15. Jahrhundert. Dieser Einfluss ist auch erkennbar am Namen des portugiesischen Verlags Oxála, bei dem das Buch erscheinen ist. Oxála heißt auf Deutsch „Hoffentlich“. Es kommt von der arabischen Wendung „Inschallah“- So Gott will. Dangerfield-Vogt dazu: „Das hat uns oft bei der Arbeit mit diesem Buch begleitet. Und jetzt ist es da!“