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Politik

Doğu Perinçek: Der Unruhestifter

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Rein rechnerisch betrachtet ist Doğu Perinçek ein politisches Fliegengewicht in der Türkei. Selbst sieht er das ganz anders. Ein Portrait.

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Verhaftet am 21. März 2008, verurteilt zu lebenslanger Haft und zusätzlich 30 Jahren Gefängnis am 5. August – im Alter von 71 Jahren. Der Vorwurf: Führer einer terroristischen Organisation zu sein. Bei dieser Sachlage wäre sich jeder vernünftige Mensch mit ein wenig Mathematik-Kenntnissen sicher gewesen, er würde nie mehr in Freiheit auf seinem Bett aufwachen. Doch sieben Monate später sah alles ganz anders aus. Der Verurteilte kam frei. Ein Gesetz der AKP-Regierung hatte es möglich gemacht. Im Mai 2015 dann wurde der Richter Metin Özçelik verhaftet, jener Richter, der vor sieben Jahren die Verhaftung angeordnet hatte. Özçelik kam in dieselbe Zelle im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri wie der von ihm Verurteilte. Voller Genugtuung brüstete dieser sich: „Ich hatte damals gesagt, dass er selbst eines Tages in diesem Gefängnis genau in meiner Zelle landen würde. So ist es auch gekommen.“

Die Rede ist von Doğu Perinçek, der sich aktuell als linker Nationalist gibt. In den letzten Wochen ist wieder vermehrt von ihm zu hören. Er gibt Interviews, spricht auf Veranstaltungen, tritt in regierungstreuen Medien auf. Er mimt den starken Mann der Türkei. Aber stimmt das wirklich? Wie ernst sollte man ihn nehmen?

Wer ist Doğu Perinçek?

Doğu Perinçek ist heute der Vorsitzende der Vatan Partisi, der Heimat-Partei. Misst man politische Stärke mit der Anzahl der Wähler, so ist er keineswegs ein starker Mann. Seine Partei erhielt bei den letzten Wahlen am 1. November 2015 gerade mal 0,2 Prozent der Stimmen. Trotzdem scheint er großen Einfluss zu haben. Er gilt als bedeutender Ideologe, viele sehen in ihm eine Symbolfigur der ultra-kemalistischen Elite. Er tritt für eine strikt antireligiöse Haltung ein, möchte religiöse Gruppen nicht nur aus der Öffentlichkeit verbannen, sondern gänzlich verbieten. Er nennt sich selbst die treibende Kraft hinter der Verfolgung der Hizmet-Bewegung um Fethullah Gülen.

Neulich wurde er gefragt, ob er die „Hexenjagd“ Erdoğans auf die Hizmet-Bewegung unterstütze: „Nein, er unterstützt uns.“ Perinçek trennt nicht zwischen gewalttätigen Terrorgruppen und Akteuren der Zivilgesellschaft. Genauso wie Erdoğan sieht er sich berechtigt, im Namen der Türkei und des türkischen Staates zu sprechen und andere als Landesverräter zu diffamieren. Gerichtsbeschlüsse oder Beweise braucht er dafür nicht. Er unterstellt der Hizmet-Bewegung, mit den USA gegen türkische Interessen zu arbeiten, ohne dafür auch nur einen einzigen Beweis zu liefern. Seine Mutmaßungen erläutert er beim regierungsnahen Sender Akit TV: „Nicht nur die Gülen-Gemeinde. Es gibt Einrichtungen, die die PKK unterstützen, die sich als zivilgesellschaftliche Gruppen oder Berufsverbände bezeichnen. Sie alle sind in der Türkei mit Aktivitäten beschäftigt, die das Ziel haben, das Land zu vernichten.“ Dass Bewegungen wie Hizmet oder andere zivilgesellschaftliche Gruppen, denen es um gleiche Rechte für alle geht, nicht die territoriale Einheit der Türkei infrage stellen, sondern Rechtstaatlichkeit und Demokratie einfordern, interessiert ihn dabei nicht sonderlich.

Biografie eines Wendehalses

Bei einer näheren Betrachtung seiner Biografie wird auch schnell klar, dass es sich bei Perinçek um einen Wendehals und eine Person handelt, die teils eklatante Widersprüche in sich vereint.

Perinçek wurde am 17. Juni 1942 in Gaziantep geboren. Sein Vater war Abgeordneter der Demokrat Partisi, der Partei von Adnan Menderes, der sich als Sprachrohr des Volkes gegen die herrschende kemalistische CHP stellte. Der Sohn aber schlug andere Wege ein. Er gehörte in den 1960er Jahren zu den Gründern der Revolutionären Arbeiter- und Bauernpartei der Türkei (TİİKP, Türkiye İhtilalcı İşçi Köylü Partisi) und galt jahrzehntelang als überzeugter Maoist, der in der Türkei eine Kulturrevolution nach Maos Vorbild forderte. 1978 verließ er die TİİKP und gründete die Arbeiter- und Bauernpartei der Türkei (TİKP, Türkiye İşçi Köylü Partisi).

Nach dem Militärputsch von 1971 wurde er verhaftet und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, kam aber bereits nach zweieinhalb Jahren wieder frei. Nach dem Militärputsch von 1980 wurde er erneut festgenommen und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, aber 1985 entlassen. Zuletzt wurde er, wie eingangs bereits erwähnt, 2013 zu lebenslanger Haft verurteilt, blieb aber auch dieses Mal nur ein Jahr im Gefängnis. Wie es scheint, ist er zwar verurteilungsfähig, aber die Urteile gegen ihn nicht vollzugsfähig.

Perinçek gibt sich heute als strikter Kemalist und Nationalist. Er tritt als Fürsprecher der türkischen Armee auf und gibt sich als großer Patriot aus. Im vergangenen Jahr geriet er wegen seiner Position zum angeblichen Völkermord an Armeniern in die Schlagzeilen.

Auch zur kurdische Frage äußert er sich gerne. Ein „Problem“ gibt es für ihn nicht. Den Kurden seien ihre Rechte gegeben worden, die Frage sei gelöst, zurück blieben nur politische Forderungen, die etwas anderes seien als Menschen- oder Grundrechte. Hochrangige Funktionäre seiner Partei waren es, die vor einigen Wochen vor dem Verfassungsgericht das Verbot der prokurdischen HDP beantragten. Mit Folgen. Gegen die Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ und weitere drei HDP-Abgeordnete läuft ein Verfahren zur Immunitätsaufhebung. Vorwurf: Die tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisende Unterstützung des Terrors.

Allerdings muss sich auf Perinçek selbst diesen Vorwurf gefallen lassen, war er es doch selbst, der in der Vergangenheit auch schon ganz andere Positionen vertrat. Abdullah Öcalan, derzeit inhaftierter Gründer der PKK, soll seine ersten Schritte in der Politik in Perinçeks Partei gemacht haben. Es gab Zeiten, in denen er ein Kämpfer für die kurdische Sache war; Mustafa Kemal Atatürk, den Gründer der Türkei, nannte Perinçek früher einen Faschisten. Heute will er davon nichts mehr wissen.

Der laizistische Fundamentalist

Die Frage, wer und wie einflussreich er ist, ist nicht leicht zu beantworten. Viele sind der Meinung, dass er einen Einfluss als Ideologe bis in die tiefsten Tiefen der alten kemalistischen Elite hat. Für den Journalisten Cengiz Çandar, einen ehemaligen Weggefährten Perinçeks, ist er ein Provokateur. Çandar schreibt über ihn: „Er ist als Persönlichkeit geeignet, als agent provocateur benutzt zu werden. So wird er auch benutzt. Er handelt nach der Mission, gegen alle und alles vorzugehen, die in diesem Land etwas Gutes tun könnten. Für die, die eine instabile Türkei wollen, ist er ein gefundenes Fressen.“ Doch für manche Beobachter ist er mehr als nur ein Ideologe und Unruhestifter, der in Krisenzeiten höchste Aufmerksamkeit genießt.

Ein redseliger Narzisst, der seine Rolle gern aufbauscht und bei jeder Gelegenheit davon spricht, dass seine Partei, die weniger als 1 Prozent an Stimmen bekommt, bald die Regierung stellen wird. Ein Wunschtraum, an den wohl nur er ganz allein glaubt.