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Politik

Êzîdxan: Ein Projekt von Eziden und PKK – und die Rolle Deutschlands

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Die Eziden im Irak haben schlimme Verfolgung durch den IS erfahren. Sie fühlen sich von Bagdad und der kurdischen Regierung in Arbil vernachlässigt – und arbeiten zunehmend mit der PKK zusammen.

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Viele Eziden erhoffen sich von einem selbstverwalteten „Êzîdxan“ – so der historische und von Eziden bevorzugte Name für die Region – besseren Schutz vor Extremisten.
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Nach den brutalen Massakern durch die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) fordern immer mehr Vertreter der religiösen Gemeinschaft der Eziden im Irak ein eigenes Gebiet. Viele Eziden erhoffen sich von einem selbstverwalteten „Êzîdxan“ – so der historische und von Eziden bevorzugte Name für die Region – besseren Schutz vor Extremisten. Das Gebiet „Êzîdxan“ bezeichnet die ezidischen Siedlungsgebiete in der Region um das Sinjar-Gebirge (kurdisch Şengal).

Diese Forderung birgt jedoch politischen Sprengstoff. Die kurdische Regierung im nordirakischen Arbil, welche die Region Şengal als Teil ihres Herrschaftsgebiets betrachtet, wittert hinter der Forderung eine Abspaltung Şengals. In Medien, die der kurdischen Regierung nahestehen, wird seit Wochen äußerst scharfe Kritik an der Forderung nach „Êzîdxan“ geübt. Kommentatoren sehen hinter der Forderung der Eziden entweder politisches Machtkalkül der von der Türkei und anderen Staaten als Terror-Organisation eingestuften PKK oder die von schiitischen Arabern dominierte Regierung in Baghdad bzw. schiitische Milizen. Die PKK ist ein politischer Rivale des Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Masud Barzani.

Die Befürchtungen Arbils sind nicht aus der Luft gegriffen. So hegen viele Eziden große Sympathien für die PKK und den militärischen Arm ihrer syrischen Schwesterorganisation, den Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG). Der Grund dafür ist, dass die YPG als einziger Akteur einen lebenswichtigen Fluchtkorridor für ezidische Zivilisten aus dem Sinjar-Gebirge errichtete und die Eingeschlossenen gegen die Attacken des IS verteidigten.

Das Kalkül der PKK in Şengal

Die PKK unterstützt die Forderung nach einer von Arbil unabhängigen ezidischen Region aus Militär-strategischem Kalkül. Die PKK ist im Irak lediglich in der abgelegenen Gebirgsregion Kandil nahe der irakisch-iranischen Grenze vertreten. Dort liegen die Hauptbasen des militärischen Arms der PKK, der sog. Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, kurz HPG). Die Region Şengal grenzt direkt an das in Syrien von den Kurden ausgerufene Kanton Cizîrê. Die PKK erhofft sich scheinbar, an der Grenze zu Syrien ein zweites Standbein im Irak zu etablieren. So wäre auch die geografische Distanz der PKK zu ihrer Schwesterorganisation in Syrien überwunden.

Aus der Sicht vieler führender Eziden ist die Zusammenarbeit mit der PKK zumindest mittelfristig gewinnbringend. Einerseits erhöht man so den Druck auf Bagdad und Arbil, ernste politische Schritte hin zur besseren Integrierung der Eziden in die Autonome Region Kurdistan bzw. den Irak zu unternehmen. Andererseits bildeten Kommandeure der YPG und der HPG ezidische Kämpfer aus. Diese formten im August 2014 zwei ezidische Milizen:

Die „Yekîneyên Berxwedana Şingal“ (YBŞ) unter Führung von Şêx Xelef und die Hêza Parastina Şingal (HPŞ) unter Führung von Qasim Şeşo. Im Wappen der beiden Milizen ist die Fahne von „Êzîdxan“ enthalten: Eine gelbe Sonne auf rot-weißem Grund.

Doch die Zusammenarbeit der ezidischen Milizen und der PKK birgt erhebliche Risiken. Beispielsweise ist Verhältnis zwischen den kurdischen Peschmerga und diesen Milizen auf Grund der Verbindung zur PKK angespannt. Zwar kämpfen Peschmerga, YPG bzw. HPG, YBŞ und HPŞ in der Regel zusammen gegen die Truppen des IS. Doch Im Oktober 2014 kam es zwischen Masud Barzani und HPŞ-Führer Qasim Shesho zum offenen Schlagabtausch, als letzterer sich weigerte, die Fahne der Autonomen Region Kurdistan zu hissen. Sollten sich die Spannungen verschärfen, so droht ein Ende der Zusammenarbeit zwischen den kurdischen Gruppen. Der einzige Gewinner einer solchen Entwicklung wäre der IS.

Ezidische Diaspora in Deutschland

Bei der Forderung nach der Errichtung eines selbstständigen „Êzîdxan“ spielt auch der Standort Deutschland eine entscheidende Rolle. Teile der hier lebenden großen ezidischen Diaspora unterstützen das Vorhaben tatkräftig. So berichtete das ezidische Nachrichtenportal ezidipress, dass der Oberkommandeur der HPŞ, Heydar Qaso Shesho, im Rahmen einer Veranstaltung in der niedersächsischen Stadt Oldenburg am 11. Januar die Forderung nach Selbstverwaltung der Êzîden in Şengal äußerte: „„Êzîden haben das Recht auf Selbstverwaltung.”

Vor der hauptsächlich ezidischen Zuhörerschaft griff Shesho die Regierung in Arbil scharf an: „Niemand soll also behaupten, sie [die Peshmerga] seien nicht für die Region Şengal und das Massaker verantwortlich gewesen. Ich betrachte die 8.000 genannten Peshmerga sowie 3.000 in der Region Zumar, insgesamt also 11.000 Peshmerga, als die Verantwortlichen für diesen Genozid.”

Außerdem betonte der ezidische Kommandeur die Verbindung seiner Miliz zur PKK bzw. der YPG: „Ich danke unseren Freunden der YPG/PKK, die ohne zu zögern unverzüglich in Şengal einmarschierten, um uns zu helfen und die Menschen zu verteidigten. Sie haben mit dem Fluchtkorridor zehntausenden Êzîden in Şengal das Leben gerettet. […] Sie verhinderten auch ein Eindringen in das Şengal-Gebirge, sonst wäre es zu weiteren Massakern gekommen.”

Eziden im Irak: „Wir werden doppelt verfolgt“

Auch Privatleute innerhalb der ezidischen Gemeinde in Deutschland setzen sich für die Forderung nach „Êzîdxan“ ein. Gohdar Alkaidy, Betreiber des ezidischen Radiosenders ezdayi, verloste bislang insgesamt 800 Flaggen der ezidischen Region auf seiner Facebookseite. Gegenüber DTJ sagte er, dass nicht nur Eziden aus Deutschland Interesse an den Flaggen gezeigt hätten: „Ich habe die Flaggen auch nach Russland, Skandinavien, Frankreich, Italien und in die USA an unsere ezidischen und nicht-ezidischen Unterstützer geschickt, die sich für uns eingesetzt haben.“

Auf die Frage, warum er die Flaggen verlost habe, antwortete Alkaidy: „Um Aufmerksamkeit auf die Verfolgung der Eziden zu erregen, damit die Internationale Öffentlichkeit uns wahrnimmt. Wir werden im Irak doppelt verfolgt: Als Kurden gehören wir einer ethnischen Minderheit im Irak an und als Eziden sind wir innerhalb der Kurden eine religiöse Minderheit, da die deutliche Mehrheit Muslime sind. Auch in den kurdisch-regierten Gebieten im Irak, die oft als für Minderheiten sicher dargestellten werden, genießen die Eziden kaum grundlegende Rechte.“

In Bezug auf die Forderung nach einer selbstständigen, von Eziden verwalteten Region sagte er: „Wir fordern keine komplette Unabhängigkeit. Die Eziden im Irak streben eine ‚Halb-Autonomie’ an, um sich besser verteidigen zu können. Das gleiche fordern übrigens zurecht auch die Christen im Irak.“

Seiner Einschätzung nach ist das Bedürfnis nach Sicherheit die Hauptmotivation für die Forderung einer stärkeren Selbstverwaltung. Diese Forderung werde von den Eziden-Führern jedoch vorerst nicht gewaltsam erzwungen: „So lange die die KRG-Regierung sich gegenüber dem Anspruch der Eziden auf Selbstverwaltung so aggressiv verhält, wird vorerst kein Êzîdxan entstehen. Das ist auch nur das letzte Mittel. Aber die Eziden pochen auf eine Eingliederung ihrer Milizen in die Streitkräfte der KRG oder der irakischen Streitkräfte. Von dieser Forderung werden sie nicht mehr zurückweichen. Der brutale Überfall des IS hat uns gezeigt, dass ortsfremde, nicht-ezidische Truppen uns nicht nur nicht verteidigen können, sondern uns auch nicht verteidigen wollen.“