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Politik

Frau des in U-Haft ermordeten Lehrers Gökhan spricht über Tragödie

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Haftbedingungen in der Türkei
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Der Fall des Lehrers Gökhan Açıkkollu gehört zu den ersten Todesfällen in türkischer Untersuchungshaft nach dem Putschversuch 2016. Was Açıkkollu durchmachen musste und wie die Familie darunter gelitten hat, erzählt nun ihre Frau. 

Es war nur wenige Wochen nach dem Putschversuch im Juli 2016 in der Türkei. Ein Chaos brach aus. Die Kinder des Lehrers Gökhan Açıkkollu besuchten eine Schule, die mit ihrer Nähe zur Gülen-Bewegung bekannt war. Diese Bewegung um den Islam-Gelehrten Fethullah Gülen wird der Putschversuch 2016 vorgeworfen. Heute, mehr als zwei Jahre nach dem gescheiterten Putschversuch, gibt es noch immer keine handfesten Belege dafür. Dennoch wurden zu jener Zeit alle Einrichtungen der Gülen-Bewegung geschlossen, ihre Anhänger und Sympathisanten wurden festgenommen. Zu jener Zeit war die Familie Açıkkollu  außerhalb Istanbuls. Als der Familienvater Gökhan erfuhr, dass die Schulen seiner Kinder geschlossen wurden, kehrte er zurück, um sich das Schulgeld der Kinder zurückzuholen. Doch er kam nicht mehr zurück.

„Ihrem Mann geht es gut“

Die Frau des Lehrers, Mümine Açıkkollu, spricht nur von einem Anruf, den sie nicht zuordnen konnte: „Ihr Mann wurde von der Behörde „Terrorbekämpfung“ festgenommen, zu Ihrer Kenntnis.“ Mehr sagte die unbekannte Stimme nicht. Irgendwann kam dann ein weiterer Anruf von derselben Nummer, die Mümine trotz mehrfachen Versuchs seitdem nicht mehr erreichen konnte. „Ihrem Mann geht es gut. Sie pflegen ihn hier“ – das war der einzige Satz, den der unbekannte Mann am Telefon noch sagte.

Gökhan Açıkkollu hatte Diabetes

Erst später konnte Mümine erfahren, auf welcher Wache ihr Mann festgehalten wird. Sie musste ihren Mann erreichen. Nicht nur, weil sie ihn vermisst hatte. Sondern weil sie wusste, dass ihr Mann Diabetes hatte und dringend seine Medikamente einnehmen musste.

Hat Açıkkollu Diabetes-Medikamente nie bekommen?

Die Ehefrau von Gökhan macht den türkischen Behörden nun Vorwürfe. „Nach dem Tod meines Mannes ist mir aufgefallen, dass die Medikamente nicht benutzt wurden. Die Medikamente waren auf demselben Stand, wie ich sie damals abgegeben hatte.“

Außerdem soll es einen Arztbericht geben, in dem weitere Foltervorwürfe quasi bestätigt werden. Der behandelnde Arzt hätte niedergeschrieben, dass Gökhan Açıkkollu ihm von Gewaltanwendung  während der Festnahme und auf der Fahrt auf die Station erzählt hätte.

Prügel in U-Haft

Auch soll es während der Befragungen zu Gewaltanwendungen gekommen sein. Das erzählt Gürol Berber, der mit Gökhan Açıkkollu die Zeit der Untersuchungshaft in derselben Zelle verbracht hat. Laut Berber sollen acht bis zehn Polizeibeamte auf Gökhan Açıkkollu eingeschlagen haben. Als Gökhan Augenkontakt mit einem der Beamten hatte, soll er  wohl gesagt haben „Was schaust du mich an?“ und zugeschlagen haben.  Als Gökhan daraufhin auf den Boden geschaut hat, hieß es plötzlich „Warum schaust du auf den Boden? Schau mich an!“ Später soll man sogar auf seinen Rücken gestiegen und ihm Tritte verpasst haben, als er auf dem Boden lag.

Augenzeuge erzählt von Gökhan Açıkkollu`s Tod

Nach 13 Tagen starb Gökhan Açıkkollu. Ein weiterer Mitinsasse, mit dem wir über den Fall sprechen konnte, erzählte uns die Situation. Den Mitinsassen nennen wir aus Sicherheitsgründen Sinasi. Sinasi erzählte dem DTJ, dass Gökhan Açıkkollu kurz vor seinem Todeszeitpunkt von zwei Beamten in seine Zelle geschleppt worden sein. Dabei war er bereits so angeschlagen, dass sie ihn unter den Armen zerrten und seine Beine am Boden schliffen. „Sie haben ihn wie ein Stück Fleisch vom Metzger auf den Boden gelegt. Es kam dabei ein dumpfes Geräusch. Sehr unangenehm.“ Anschließend habe der ohnmächtige Gökhan Açıkkollu angefangen zu zittern. „Er kollabierte vor unseren Augen. In der Zelle direkt neben unserer Zelle war offensichtlich ein Arzt von dem Militärkrankenhaus GATA eingesperrt. Die Polizisten haben voller Panik den Arzt in unsere Zelle geholt und ihm befohlen den Kollaps zu stoppen.“ Der Arzt hätte gesagt, dass jede Hilfe zu spät kommt, vor allem ohne irgendwelches Instrumentarium. „So starb Gökhan Açıkkollu. Vor unseren Augen. Der Arzt sagte, dass es wegen den Schlägen auf seinen Kopf passiert sein muss. Es hatte nichts mit seiner Medizin zu tun. Vielleicht hat das seinen Zustand nur noch zusätzlich verschlechtert. Das kann sein.“

Zwei Jahre nach Tod: Açıkkollu wird wieder für Dienst zugelassen

Noch kurioser wird dieser Fall etwa zwei Jahre nach dem Tod des Lehrers. Dann wird der Lehrer per Gerichtsentscheid wird Gökhan Açıkkollu für unschuldig erklärt und wieder zu seinem Dienst zugelassen.

Auch die Familie des Lehrers Gökhan Açıkkollu musste viel durchmachen. Darüber erzählen wir in Teil 2.