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Gesellschaft

„Gülen meint es ernst mit der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie“

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Arhan Kardas (44) ist eines der wichtigsten Gesichter der Hizmet-Bewegung im deutschsprachigen Raum. Er kann zurecht als Gülen-Experte bezeichnet werden, weil er den größten Teil der deutschsprachigen Gülen-Literatur bearbeitet hat. Der Chefredakteur des Main-Donau Verlags hat zuletzt das Buch „Kein Zurück von der Demokratie“ herausgegeben. Bei dem Buch handelt es sich um Gülens Interviews mit türkischen und internationalen Medien. Kardas reist nun durch ganz Deutschland, um das Buch vorzustellen.

Wir trafen ihm in Berlin, wo er gerade Mal einen kurzen halt machte, um dann weiter Richtung Augsburg zu fahren. Das Thema des Gesprächs war zwar die Entstehung des Buches, die Thesen, die der muslimische Gelehrte Fethullah Gülen darin vertritt und die deutschsprachige Gülen-Literatur –  es ist aber viel mehr geworden.  

Wir erleben in den letzten Jahren eine hitzige Debatte über Fethullah Gülen und die Hizmet-Bewegung. Sie veröffentlichen nun ein Buch über die Positionen Gülens zu diversen Grundwerten und nicht seine Rolle in der türkischen Innenpolitik. Wieso?                                                                                               

Die Vorlage dieses Buches ist 2016 zuerst auf Türkisch erschienen. Autor ist der bekannte türkische Jurist und Journalist Faruk Mercan. Als Main-Donau-Verlag wollten wir dieses Buch ins Deutsche übersetzen, weil es eine wichtige und authentische Dokumentation von Gülens Positionen über mehrere Jahrzehnte wiedergibt. Daher sehen wir das Buch über aktuellen politischen Konflikten hinaus. Es ist ein wichtiger Beitrag zu der laufenden Debatte in Deutschland über Fethullah Gülen und die Hizmet-Bewegung.

Wie sind Sie bei der Übersetzung ins Deutsche vorgegangen?                                          

Nach einer kritischen Lektüre des Buches, fanden wir viele  Ausführungen unzulänglich für die deutsche Leserschaft. Wir baten dann Faruk Mercan, für jedes Kapitel eine erklärende Einführung zu schreiben. Zudem haben wir auch die Abfolge der Themen überarbeitet. Der dritte Schritt war dann die Originaltexte mit vielen Bemerkungen und Erläuterungen zu ergänzen, damit die Standpunkte Gülens für möglichst viele interessierte Leser verständlich werden. Eine sachliche Debatte über eine Person und seine Ideen ist nicht möglich, wenn man keinen Zugang zur Primärquelle hat.

Was ist das besondere an dem Buch?                                                                            

Es befasst sich mit den Meinungen und Ideen Gülens von 1991 bis 2017 über Grundrechte und -Freiheiten bis hin zu Frauenrechten und seine Sicht auf die europäisch-westliche Zivilisation. Das Buch ist sehr facettenreich. Die ersten Interviews von Gülen sind aus den Anfängen der 90er Jahre als er noch in der Türkei lebte. Damals waren weder seine Person noch die Bewegung, die um ihn entstanden ist, ein Begriff für die türkische Öffentlichkeit geschweige denn für die internationale.

Wer ist der Mitherausgeber Faruk Mercan?                                                                           

Faruk Mercan hat mehrere Bücher über Gülen, aber auch über die türkische Innenpolitik verfasst. Er ist einer der wenigen Journalisten, die sich mit Gülen und der Hizmet-Bewegung nicht erst dann beschäftigt haben, wenn sie gerade aktuell waren. Mercan wollte bereits 2011 die Interviews von Gülen mit nationalen und internationalen Medien zusammenfassen. Doch geschafft hat er es erst Mitte 2016 – kurz vor dem inszenierten Putsch. Wir wiederum nahmen uns das Buch von Mercan als Vorlage und übersetzten es gerade in einer Zeit, wo die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf Gülen gerichtet ist.

„Gülen will Muslimen einen Weg in die Modern aufzeigen“  

Der Titel des Buches „Kein Zurück von der Demokratie“ ist ein Zitat aus einer Rede Gülens aus dem Jahre 1994. Sie selbst sind ein aufmerksamer und fachkundiger Beobachter von Gülen. Wie hat er sich in den vergangenen 25 Jahren entwickelt?                                                                                               

Viele Interviews von Gülen hatte ich bereits gelesen, als sie veröffentlicht wurden. Die intensive Arbeit an den Texten hat mir jedoch erneut gezeigt, dass Gülen es sehr ernst meint, wenn er von der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie spricht. Er ist ein kritischer Beobachter des Weltgeschehens und ist stets bemüht, Muslimen einen Weg in die Moderne aufzuzeigen. Das ist eines der wichtigen Konstante in seinem Leben, die man über Jahre hinweg beobachtet hat.

Seit der Veröffentlichung des Buches vor vier Monaten touren Sie durch ganz Deutschland, lesen aus dem Buch und diskutieren mit Interessierten über die Thesen, die Gülen in dem Buch vertritt – wie zuletzt in Berlin mit Prof. Christoph Bultmann. Wie groß ist das Interesse?                                                                                                                    

Wir haben bereits die zweite Auflage des Buches herausgegeben. Davon sind wiederum in einem Monat zwei Drittel vergriffen. Seit der Veröffentlichung hatte ich die Möglichkeit mich an fünf Buchvorstellungen zu beteiligen. Es stehen weitere 16 Veranstaltungen an.  Die bisherigen Veranstaltungen waren gut besucht.

Arhan Kardaş

Unser Chefredakteur Süleyman Bağ im Gespräch mit Arhan Kardaş

Wie viele Bücher von und über Gülen gibt es in der deutschen Sprache?                                                                                                                                    

Über 20 Bücher von und über Gülen und der Hizmet-Bewegung sind ins Deutsche übersetzt oder sind auf Deutsch verfasst worden. Als ein Kleinverlag, der aus der Hizmet-Bewegung hervorgegangenen ist, haben wir einen besonderen Gülen-Schwerpunkt. Bis jetzt ist es uns jedoch noch nicht einmal gelungen ein Fünftel der Gesamtwerke von Gülen ins Deutsche zu übertragen. 

Woran liegt das?                                                                                                                                           

Die Bücher, die er selber verfasst, sind sehr anspruchsvoll und schwer übersetzbar. Bücher, die aus seinen Predigten und Reden wiederum leichter verständlich. Für beide Darstellungsformen – Textform und Rede –  braucht man Übersetzer und Lektoren, die mit dem reichen osmanischen, aber auch persischen und arabischen Wortschatz Gülens vertraut sind.

Ist das die einzige Herausforderung, vor dem die Übersetzer stehen?                             

Nein. Zudem kommen noch die Fachbegrifflichkeiten, zum Beispiel in den Werken von Gülen über den Sufismus, die im Deutschen nicht vorhanden sind. Also man braucht viel Mühe und Kompetenz, um eine sinn- und wortgerechte Übertragung zu bewältigen.

Es ist für den durchschnittlichen (Deutsch)Türken ja nicht einfach, hochkomplizierte theologische bzw. philosophische Texte zu verstehen, geschweige denn sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Wie beurteilen Sie die Beziehungen Gülens zu seiner Gemeinde?                                                            

Gülen ist, wie die Dichter und Intellektuellen wie Yahya Kemal, Necip Fazil, Mehmet Akif oder Bediuzzaman Said Nursi, ein Kind des lehrreichen osmanischen Bildungssystems. Auch wenn er das osmanische Medrese-System ziemlich unzulänglich für einen Menschen des holistischen Blicks findet, hat er selbst doch eine bodenständige Medrese-Ausbildung durchlaufen. Er ist jedoch ein Autodidakt der sich modernes Wissen sowie naturwissenschaftliche Kenntnisse im Selbststudium angeeignet hat. Und das ist nicht für jeden, der sich mit ihm beschäftigt, auf Anhieb zu verstehen.

Wie wirkt sich diese Zweidimensionalität auf sein Denken aus?

Eines der Ergebnisse dieser Zweidimensionalität ist seine Idee vom Bündnis der Vernunft und des Herzens. Er sieht kein grundsätzlichen Gegensatz zwischen Islam und modernen Wissenschaften.

Und wie sieht es nun mit der Beziehung zu seiner Gemeinde aus?

Es gibt keine homogene Gruppe um Gülen, die man auf eine „Gemeinde“ begrenzen könnte. Seit seinen jüngsten Jahren lehrt er Studenten. Dafür hat er eine eigene Methode entwickelt. Die Zahl derjenigen Theologen, die bei ihm ein Privatstudium absolviert haben, beläuft sich auf mehrere Hunderte, wenn nicht Tausende. Dann sind noch die Mitstreiter der ersten Stunde um ihn.

Es gibt doch aber auch hunderttausende von Lehrern, Unternehmern, Beamten, Ärzten, Hausfrauen, Studenten und anderen „einfachen“ Bürgern, die in Gülen ein Vorbild sehen und seine Werke in Lesezirkeln, den sogenannten Sohbets, studieren. Auch in Deutschland ist er doch unter den Deutschtürken gerade der zweiten und dritten Generation eine vielbeachtete Persönlichkeit?                                                                                        

Es ist richtig, dass Gülen neben der Tiefenwirkung, den ich gerade beschrieben habe, auch eine Breitenwirkung hat. Er ist sehr charismatisch und seine Worte haben Gewicht. Die Menschen, die sich seinen Werken zuwenden, bilden eines der fortschrittlichen und  gebildeten Gruppe in der islamischen Welt.  Wahrscheinlich haben jedoch von Hizmet-Freiwilligen durchschnittlich nicht einmal ein Zehntel seiner Werke einstudiert. Noch dramatischer wird es in 15 Jahren. Die Vierte Generation der Hizmet-Engagierten werden sich nicht auf Türkisch, sondern Deutsch, Englisch, Französisch oder in einer anderen Sprache verständigen. Es besteht die Gefahr, dass die neue Generation überhaupt keinen Zugang zum audiovisuellen Wissensschatz Gülens finden wird, weil sie einfach kein Türkisch mehr sprechen werden. Diese Generation wird lediglich auf das Schrifttum Gülens Bezug nehmen können. Daher gewinnt die Übersetzungstätigkeit an Bedeutung.

Hier geht es zum Teil II des DTJ-Interviews mit Arhan Kardas.

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