Politik
Wie die Türkei die Weltpolizei Interpol missbraucht
Die internationale Polizeiorganisation Interpol trifft sich 2021 in der Türkei. Die Weltpolizei, einst zur internationalen Jagd auf Kriminelle gegründet, steht in der Kritik. Der Vorwurf: Sie diene repressiven Regierungen als verlängerter Arm gegen kritische Stimmen und Dissidenten. Die Hintergründe.
Kenia, Kirgistan, Albanien: Immer wieder gelingt es dem türkischen Regime, Kritiker:innen und Oppositionelle im Ausland festzunehmen und in die Türkei zu bringen. Auch in Deutschland und Europa seien ähnliche Aktionen denkbar, heißt es aus deutschen Sicherheitskreisen (DTJ-Online berichtete). Besonders Anhänger:innen des Exil-Predigers Fethullah Gülen trifft der lange Arm Recep Tayyip Erdoğans. Der türkische Präsident macht ihn für den Putsch vom Juli 2016 verantwortlich.
Die türkische Regierung und ihre Sicherheitskräfte nutzen für ihre internationale Jagd auf Dissidenten auch die internationale Polizeiorganisation Interpol. 1923 gegründet, fungiert sie als Weltpolizei. Die Idee lautete damals: Personen, die in einem Land Verbrechen begehen, sollen nicht ungestraft in ein anderes Land fliehen können.
Interpol von repressiven Regimen missbraucht?
Doch in der langen Historie der Weltpolizei wurde sie immer wieder von repressiven Regimen missbraucht. Bereits 1938 setzten die Nazis den damaligen Interpol-Präsidenten ab und verlegten die Organisation nach Berlin. Viele Mitgliedsstaaten zogen sich zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Organisation rehabilitiert. Immer mehr Länder traten ihr bei.
Heute ist Interpol die wichtigste internationale Polizeiorganisation. Mit sogenannten „Red Notices“ können die 194 Mitgliedsstaaten die Fahndung nach Kriegsverbrecher:innen, Drogenbossen und Personen, die sich jahrzehntelang der Justiz entzogen haben, international vorantreiben.
Interpols „Red Notices“ immer häufiger genutzt
Sie gelten als wichtigstes Instrument und sind einem internationalen Haftbefehl gleichgestellt. Jedes Jahr helfen sie dabei, Tausende flüchtiger Personen festzunehmen. Die Nutzung der roten Notizen ist in einer zunehmend vernetzten Welt beliebt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sie sich verzehnfacht, von etwa 1.200 im Jahr 2000 auf fast 12.000 im vergangenen Jahr.
Darunter befinden sich auch jene repressiver Regime, wie der Türkei und Russland, zur Auffindung Oppositioneller. Nicht immer kommen Interpol und seine Mitgliedsstaaten den Gesuchen nach. So lehnte die Organisation 773 Anträge der türkischen Regierung auf Erteilung einer „Red Notice“ ab.
Alle Beschuldigten stünden angeblich in Verbindung zur Gülen-Bewegung. Dass Ankara Berichten zufolge versucht haben soll, bis zu 60.000 Namen in die Interpol-Datenbank hochzuladen, kommentierte die Organisation nicht.
Türkischer Geheimdienst entführt Gülen-Neffen
Das Ausmaß der Anträge beweist indes, dass Interpol einen großen Aufwand betreiben muss, um die „Red Notices“ zu prüfen. Nicht immer ist das möglich. Regime könnten zum Beispiel irreführende Verhaftungsanträge formulieren, und Beschuldigten Finanzverbrechen wie Geldwäsche vorwerfen. Das ist für die Interpol-Prüfer schwer zu widerlegen.
Hinzu kommt: Eine der größten Herausforderungen bestehe Anwält:innen zufolge darin, dass es dauert, bis politisch motivierte „Red Notices“ entfernt würden. Ein besonders prominentes Beispiel, welch fatale Folgen dies haben kann, ist der Fall Selahaddin Gülen. Der Gülen-Neffe wurde im vergangenen Oktober in Kenia inhaftiert, nachdem er in einer Interpol-Mitteilung beschuldigt wurde, Sexualstraftaten an einer Minderjährigen begangen zu haben (DTJ-Online berichtete).
Fall Selahaddin Gülen wirft Schlaglicht auf Interpol
Sieben Monate später wurde Gülen erneut festgenommen und in die Türkei abgeschoben. Er befindet sich in türkischem Gewahrsam und wird in mehreren Fällen angeklagt, unter anderem wegen Terrorismusdelikten. Gülens Frau bezeichnet die Inhaftierung ihres Mannes als Entführung. „Ich habe seit diesem Tag nichts mehr von ihm gehört“, sagt sie in einem Video.
https://twitter.com/turkishminutetm/status/1395176954576445441?lang=en
Der Fall Gülen ist nur ein besonders prominentes Beispiel, wie die Türkei und andere repressive Regime sich Interpol zunutze machen, um kritische Stimmen und Oppositionelle im Ausland zu unterdrücken. Dass das Treffen der Weltpolizei 2021 dennoch in der Türkei stattfindet, wirft zumindest ein Schlaglicht auf die Organisation.