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Gesellschaft

„Gegenseitiges Kennenlernen von Juden und Muslimen hilft allen“

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Der Rabbiner Walter Homolka und der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide haben gemeinsam ein Buch geschrieben. Schon im Titel fordern sie: „Umdenken“. Im DTJ-Online-Interview erklären die Autoren, warum Sie es lesen sollten. 

Herr Khorchide, Herr Homolka, ein Jude und ein Muslim schreiben ein Buch … So könnte auch ein schlechter Scherz beginnen. Sie meinen es aber ernst. Warum sollte ich Ihr Buch lesen?

Homolka: Im Buch werden Sie sehen, dass es eine breite Basis des Miteinanders zwischen Juden und Muslimen gibt – auch was die heiligen Schriften angeht. Wir beschreiben in dem Buch aber auch die Schwierigkeit des pluralen Zusammenlebens. Seit dem Westfälischen Frieden (im Jahr 1648, Anm. d. Red.) gab es eine sehr langwierige Entwicklung von der Konfessionalisierung des Christentums, also bestenfalls einem Nebeneinander hin zu einem Pluralismus der Religionen, wie er unsere Gesellschaft heute auszeichnet. Grund dafür war nicht zuletzt der Zuzug der sogenannten Gastarbeiter. Spätestens heute, in der zweiten und dritten Generation, müssen wir uns mit der Frage beschäftigen: Wie bewältigen wir die Realität dieser Vielfalt in einer Gesellschaft, die immer noch vom sogenannten christlichen Abendland träumt? Herr Khorchide und ich sind überzeugt: In dieser Vielfalt steckt eine Chance.

Khorchide: Das Buch hält auch den einen oder anderen Aha-Effekt bereit: Zum Beispiel zeige ich auf, dass es ohne das Judentum gar keinen Islam gäbe. Das ist für viele provokant. Aber wenn man den Koran liest, dann sieht man, dass gerade am Anfang der Verkündigung Mohammeds immer wieder jüdische Narrative verwendet werden und das Judentum als Grundlage für die Verkündigung Mohammed diente. Moses ist zum Beispiel eine zentrale Figur im Koran, auf die Mohammed immer wieder zurückgriff. Die Spannungen, die der Koran beschreibt, sind ausschließlich politischer Natur. Deshalb ist es mir wichtig, dass aus dem Koran keine Pauschalaussagen gegen das Judentum abgeleitet werden.

„Gehört Deutschland zum Islam?“

Ihr Buch trägt den Titel „Umdenken“ – mit Ausrufezeichen. Warum genau müssen wir umdenken und warum bringt uns das weiter?

Khorchide: Wir plädieren für ein plurales Verständnis von Gesellschaft und Religion. Pluralität ist nicht nur eine politische Ansage von Religionen nach außen. Sie muss auch eine authentische theologische Grundlage haben. Das Umdenken muss auch in den eigenen Reihen geschehen.

Homolka: Wir haben zwar säkulare Staaten, aber nicht säkulare Gesellschaften. Religionen spielen doch in unserer Gesellschaft eine hochaktive Rolle. Sie sind immer noch eine tragende Komponente in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. Die demokratischen Grundwerte bieten dabei eine Plattform der Begegnung. Als Gesellschaft können wir nämlich enorm davon profitieren, wenn wir diese Pluralisierung annehmen statt uns vor ihr zu fürchten.

Klischees, Vorurteile und Halbwahrheiten prägen das öffentliche Bild vom Islam. Beim Judentum sieht es nicht anders aus. Wie kommen wir in der Debatte um Religion zurück zu einer gelassenen Sachlichkeit?

Khorchide: Mir ist wichtig, dass man immer ein differenziertes Bild behält und dass man pauschale Aussagen über den jeweils anderen vermeidet. Konkrete Situationen helfen zu verstehen. Wir müssen einander erleben. Eine Frage, die immer gestellt wird, ist: Gehört der Islam zu Deutschland? Gehören die hierzulande praktizierenden Muslime zu Deutschland? Aber andersherum sollte man auch fragen: Gehört Deutschland zum Islam? Also gehören auch die freiheitlich-demokratischen Werte zum Selbstverständnis des Islams, wie Muslime ihn in Deutschland interpretieren? Diese Debatte möchten wir anstoßen.

„Gegenseitiges Kennenlernen hilft“

Homolka: Bezogen auf die religiöse Pluralität müssen wir uns auf Veränderung einlassen. Das bezieht nicht nur die Dazugekommenen mit ein, sondern auch die, die schon da sind: die Einheimischen. Diesen Veränderungsdruck müssen wir bewältigen.

Herr Khorchide, woher kommt die teils starke Ablehnung von Juden in der muslimischen Community? Und was können Sie und wir als Gesellschaft dagegen tun?

Khorchide: Es gibt in meinen Augen zwei Gründe, warum es heute bei manchen Muslimen ein angespanntes Verhältnis zum Judentum gibt. Einerseits ist das eine fundamentalistische Lesart des Korans, die den historischen Kontext ignoriert, weshalb aus der koranischen Kritik an bestimmten Entwicklungen im siebten Jahrhundert als Pauschalkritik des Korans am Judentum gelesen wird. Es ist daher wichtig, den Koran historisch-kritisch zu lesen. Wir müssen ein Bewusstsein für eine zeitgemäße Lesart des Korans schaffen. Und zweitens die aktuelle politische Auseinandersetzung im Nahen Osten. Da vermischen sich politische Auseinandersetzungen sehr schnell mit religiösen.

Herr Homolka, welche Rolle spielt Antisemitismus für Ihre Gemeinde und die tägliche Religionsausübung?

Homolka: Es gab gerade in den letzten Wochen wieder Vorfälle, die uns alle beunruhigen müssen. Leider gehört die Furcht vor Gewalt zur jüdischen Existenz in diesem Land. Aber wir kennen auch andere Beispiele. Herr Khorchide und ich sind beide im Vorstand eines nordrhein-westfälischen Vereins tätig, der „begegnen e.V.“ heißt und sich bemüht, junge muslimische Geflüchtete mit jungen Jüd:innen zusammenzubringen. Das gegenseitige Kennenlernen hilft, Vorurteile abzubauen und sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen zu können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka ist Rektor des Abraham Geiger Kollegs, des ersten Rabbinerseminars in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, und lehrt an der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam.

Seit 2010 lehrt und forscht Prof. Dr. Mouhanad Khorchide Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, dort leitet er das „Zentrum für Islamische Theologie“ und ist Projektleiter am Exzellenzcluster „Religion und Politik“.

Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wieder. 

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