Junior-Partner Erdoğans: Die Rolle der MHP bei den Türkei-Wahlen 2023
Einst galt sie als eine Partei mit einer großen Anhängerschaft: die MHP. Heute ist sie nur noch ein Lückenfüller, auf den Präsident Erdoğan angewiesen ist. Was die heutige MHP ausmacht und warum sie auch bei den Türkei-Wahlen 2023 vermutlich eine wichtige Rolle spielen wird, behandeln wir in diesem Beitrag. Wer jünger als 30 Jahre alt ist, kennt als Vorsitzenden der Partei „Milliyetçi Hareket Partisi“ (deutsch: Partei der Nationalistischen Bewegung, MHP) womöglich nur einen Namen: Devlet Bahçeli. Rund 25 Jahre ist es schon her, dass er die Führung der Partei übernommen hat. Doch damit ist er nicht der Rekordhalter der MHP. Denn es gibt einen Politiker, der die Partei sogar noch länger geführt hat: Alparslan Türkeş. Wer war dieser Mann? Warum bleiben Vorsitzende der Partei solange an der Spitze? Um die Partei zu verstehen, ist ein Blick in die Historie hilfreich. Darin erkennt man die Relevanz der MHP in der türkischen Parteienlandschaft. Die Geschichte ist auch geprägt von einigen Wandlungen mit vielen unterschiedlichen Bündnissen. In die Präsidentschaftswahlen 2023 geht sie als Bündnispartner der regierenden AKP um Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Doch um was für eine Partei handelt es sich bei der MHP? Wir stellen sie im Rahmen unserer Artikelserie zu den Türkei-Wahlen 2023 vor. Alparslan Türkeş als charismatischer Gründungsvater Es war das Jahr 1965, als der ehemalige Offizier Alparslan Türkeş die 1958 gegründete Partei „Cumhuriyetçi Köylü Millet Partisi“ (deutsch: Republikanische Bauern-Volkspartei, CKMP) übernahm. Nur wenige Jahre später, 1969, benannte er die Partei um in die heute noch bestehende „Milliyetçi Hareket Partisi“. Ideologisch im Vordergrund: der Turkismus und der Turanismus. Der Turanismus verfolgt das territoriale, politische und gesellschaftliche Ziel, zwischen Anatolien und China ansässige turksprachige Völker zu vereinen. Dieser „soziale Terminus“, wie es Schriftsteller Ziya Gökalp einmal beschrieb, würde allein Türken einschließen. Die kultur- und zivilisationsfähige Nation könne nicht von einer geografisch oder politisch definierten Gruppe gebildet werden, sondern aus Individuen mit einer gemeinsamen Sprache, Religion und Moral. Neben der nationalen Einheit und des Turan-Gedankens spielen im Allgemeinen der (Ultra-)Nationalismus und auch der Laizismus eine prägende Rolle. Innerhalb der MHP gibt es noch heute – anders als beispielsweise innerhalb der AKP – eine große Wertschätzung für Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk. Einige Quellen sprechen sogar davon, dass MHP-Gründer Türkeş sich nur deshalb gegen die CHP entschieden habe, weil diese aus seiner Sicht sich zu stark von der Ideologie Atatürks entfernt habe. Dennoch: Der Nationalismus-Gedanke wurde innerhalb der Partei immer mehr zum wichtigsten Wert. In den 1970er Jahren spielte sie eine prägende Rolle in den Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppierungen. Der Partei nahestehende paramilitärische Strukturen und Idealistenvereine wie die „Ülkü Ocakları“, beteiligten sich an Ausschreitungen, insbesondere gegenüber Linken. Gegenseitig erklärte man sich zu Staatsfeinden. Drei Werte im Logo vertreten Auch im Logo der Partei sind die bereits erwähnten Werte zu sehen. Drei weiße Mondsichel auf rotem Hintergrund sollen die „Türkische Vereinigung“, die „Islamische Vereinigung“ und die „Weltmacht der Türkei“ symbolisieren. Es soll auf die einstige Stärke des Osmanischen Reiches und dessen sich auf drei Kontinente erstreckende Macht erinnern. Oft zeigen Anhänger der Partei auch das in Deutschland als „Wolfsgruß“ bekannte Zeichen. Dabei wird auf den sogenannten „Bozkurt“, den grauen Wolf, gedeutet, der einer Sage nach die Türken aus einem schwer zugänglichen Tal gerettet und damit zur alten Stärke verholfen haben soll. Frühe Regierungserfahrung In den Jahren danach richtete die MHP das Parteiprogramm nach diesen Werten und Zielen aus. Schon in 1970er Jahren durfte sie Regierungserfahrung sammeln. Unter der von Süleyman Demirel (Gerechtigkeitspartei AP) geführten Regierung der Nationalen Front arbeitete die Partei als Koalitionspartner. Mit dem Militärputsch 1980 wurde auch die MHP verboten. Erst 1992 konnte das Parteiverbot wieder aufgehoben werden. Alparslan Türkeş, der von der Junta zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt wurde und rund viereinhalb Jahre davon absaß, machte da weiter, wo er 1980 aufhörte. Seine Partei gewann wieder an Einfluss am politischen Geschehen des Landes. Bei den Kommunalwahlen 1994 errang die MHP mehr als 100 Kommunalverwaltungen. Doch dann kam ein großer Wendepunkt für die Partei, als Türkeş 1997 im Alter von 79 Jahren verstarb. Begleitet von Trauer für den großen „Başbuğ“ (Offizier), wie er in der Bevölkerung genannt wurde, musste die nationalistische Partei einen neuen Vorsitzenden finden. Sein Sohn Tuğrul und Devlet Bahçeli waren die aussichtsreichsten Kandidaten für seine Nachfolge. Es kam zu parteiinternen Streitigkeiten. Am Ende setzte sich aber Bahçeli durch, der bis heute Vorsitzender der Partei ist. Frischer Wind dank Devlet Bahçeli Unter Bahçeli gewann die Partei in den Anfangsjahren seiner Führung an enormer Stärke. Standen 1994 noch 100 Kommunen unter MHP-Verwaltung, stieg diese Zahl bei den Wahlen fünf Jahre später auf fast 500, inklusive den Verwaltungen von Großstädten. Bei den Parlamentswahlen im selben Jahr erhielt die MHP sogar 18 % aller Stimmen und wurde die zweitstärkste Kraft im Land. Damit beteiligte sie sich an einer Dreierkoalition mit der DSP und ANAP. Anfang schob diese Koalition noch wichtige Reformen an, um die Türkei an die EU heranzuführen. Doch lange hielt dieses Bündnis nicht. Die wirtschaftliche Krise war so groß, dass nur drei Jahre später Neuwahlen angesetzt werden mussten. Anti-EU-Wahlprogramm nicht hilfreich Plötzlich nahm die MHP eine große Wandlung vor und trat zur Wahl mit einem „Anti-EU-Programm“ an. Westliche Regierungen würden eine Politik der bewussten Schwächung der türkischen Nation betreiben, lautete der Vorwurf. Als Folge dieser Wandlung, an der auch womöglich der „Tiefe Staat“ in der Türkei beteiligt war, wurde die Partei von den Wählern bestraft und erhielt nur noch 8 % aller Stimmen. Damit blieb sie an der hohen Wahlhürde (10 %) hängen und flog aus dem Parlament. Die meisten Stimmen gingen an die neu gegründete „AKP“, die mit Recep Tayyip Erdoğan die Regierung bilden durfte. 2007 schaffte die Partei aber wieder den erneuten Einzug ins Parlament und ging danach wieder unterschiedliche Bündnisse ein: Mal mit der kemalistischen CHP, mal mit der islamisch-konservativen AKP. Mit letzterem schmiedet die Partei noch heute ein wichtiges Bündnis. Kritik: Ist die MHP kurdenfeindlich? Zwar hat es Devlet Bahçeli geschafft, die MHP für unterschiedliche Gesellschafsschichten wählbar zu machen. Doch ihr wird immer wieder eine fehlende Selbstreflexion bezüglich Rechtsextremismus vorgeworfen. Dazu trägt die Partei selbst bei, in dem sie viel radikaler gegenüber der prokurdischen Partei HDP und Flüchtlinge auftritt als viele andere Parteien. Bevor die AKP mit der … Junior-Partner Erdoğans: Die Rolle der MHP bei den Türkei-Wahlen 2023 weiterlesen
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