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Panorama

Kriegserklärung an „Tiefen Staat“: Sedat Peker spricht von „Verrat“

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An Sedat Peker scheiden sich die Geister: Aus der Perspektive seiner Kritiker ist er ein Drogenbaron, Pädophiler und Kopf eines Clans organisierter Kriminalität. Aus der eigenen Perspektive oder der seiner Anhänger ist er ein ehrlicher Nationalist, gar ein gläubiger Muslim, der sich gegen Drogen, Pädophilie, Frauenfeindlichkeit stark macht. Eines ist sicher: Peker ist vor der aktuellen türkischen Regierung auf der Flucht. Nachdem der Staat und die Sicherheitsbehörden gegen ihn vorgehen, medienwirksam sein Haus durchsucht und dabei seine Frau und Kinder bedrängt haben, hat sich der Exilant entschieden, einen Krieg gegen seine Widersacher anzuzetteln. Peker rechnet ab und stellt seinen Hauptgegner vor: der „Tiefe Staat“.

Einst galt Sedat Peker als lautstarker Unterstützer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, doch heute scheint seine Position ihm gegenüber eher unklar. Grund dafür ist die jüngste Offensive der Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaft gegen seine Person. Auch Laien wissen, dass sich Peker seit über einem Jahr nicht mehr in der Türkei aufhält. Dennoch hat es in den vergangenen Wochen Ermittlungen in seinem Anwesen gegeben.

Um 5 Uhr morgens standen ca. 50 Polizeikräfte, darunter auch Beamte der Spezialeinheit und Drogenfahndung, vor seiner Tür in Beykoz. Während des Eingriffs wurden seine Frau und Kinder bedrohlich angegangen. Für viele überraschend blieb eine Reaktion des Betroffenen aus. Bis jetzt. Via YouTube gab er bekannt: „Wie sollte ich sprechen, bevor meine Frau und Kinder hier bei mir in Sicherheit sind?“. Der sich mutmaßlich in Dubai befindende Peker hat offenbar seine Familie mittlerweile zu sich holen können.

Kriegserklärung an den Tiefen Staat

Bislang hat Sedat Peker zwei Videos aus seinem neuen Exil veröffentlicht. Das Setting ist wie gewohnt, mit viel Symbolik und Theatralik untermalt. Insgesamt sollen acht bis neun Videos eine Serie darstellen, es ist also mit weiteren Aufnahmen zu rechen. Dies sei für Peker eine Abrechnung. Seine Gegner hätten sich die falsche Person ausgesucht. „Ich habe meinen Verstand beurlaubt, den Leerlauf eingelegt. Denn ihr habt meine Kinder traurig gemacht. Ihr wolltet mich kleinkriegen, ihr habt die Polizei in mein Haus geschickt, als ich nicht anwesend war. Ihr wolltet mich opfern, aber man kann Kühe, Kamele, Lämmer opfern, einen Löwen nicht. Ich bin ein Löwe“, so Peker über seine Entschlossenheit, diesen Krieg fortzuführen. Auch macht er von Anfang an keinerlei Hehl daraus, gegen wen sich sein Zorn hauptsächlich richte. Sein Endgegner sei Mehmet Ağar, „der sogenannte Kopf des tiefen Staates“, wie Peker in seinen beiden Videos mehrfach betont. Gleichzeitig macht er sich über seinen alten Bekannten Ağar lustig.

Wer ist Mehmet Ağar?

Am 3. November 1996 ereignete sich in der Türkei ein Verkehrsunfall mit weitreichenden politischen Folgen. Bei dem sogenannten Susurluk-Skandal kamen der stellvertretende Polizeipräsident von Istanbul, Hüseyin Kocadağ, Abdullah Çatlı, ein führendes Mitglied der rechtsextremen Grauen Wölfe und steckbrieflich gesuchter Drogenhändler und Auftragsmörder, sowie dessen Geliebte, die einstige Schönheitskönigin Gonca Us, ums Leben.

Der Fall legte die tiefen Verstrickungen zwischen Staat und den Untergrundorganisationen in der Türkei offen. Andere bezeichnen diese Strukturen bis heute als „den Tiefen Staat“. Zahlreiche akademische Werke belegen die Existenz eines „Deep States“ in der Türkei, der parallel zu den Regierungen unterschiedlicher Couleur arbeitet und die Drecksarbeit im Sinne einer speziellen Doktrin umsetzt. Der damalige Innenminister 1996 hieß Mehmet Ağar. Er musste auf wachsenden Druck hin zurücktreten. Doch laut Peker hat sich dessen Einfluss niemals verändert.

„Polizeiminister“ Ağar und „Ağarsche Methoden in der Polizei“

Wer Sedat Peker kennt, weiß um dessen Verbindungen zu den Machthabern im „System Türkei“. Ob er tatsächlich Mafia, Drogendealer oder Krimineller ist, hat der türkische Staat nie vollständig klargestellt. Mehrfach inhaftiert, angeklagt wegen ungeklärter Morde, auf die Peker auch in seinem zweiten Video zu sprechen kommt, jedoch bislang ein ums andere mal freigesprochen, befindet sich der „Reis“ (zu Deutsch: Anführer) einer beachtlichen Community nationalistischer Extremisten erstmals im offenen Krieg auch mit der türkischen Regierung.

Er legt derzeit den Fokus auf Mehmet Ağar, den er als „Polizeiminister“ und Kopf des Tiefen Staates bezeichnet. Den Vorgang in seinem Haus ordnet Peker als „Ağarsche Methoden in der Polizei“ ein. Dies habe er bereits in der Vergangenheit mehrfach gesehen. Die Methoden von Ağar? Einschüchterung von Frau und Kindern, Nackt-Durchsuchungen, Entführungen, Folter, Vergewaltigung und Mord.

Subunternehmer Ağar – doch für wen?

Bevor Sedat Peker vor rund einem Jahr die Türkei verließ, wurde ein Streit zwischen dem ihm und Erdoğans Schwiegersohn, dem damaligen Finanzminister Berat Albayrak, öffentlich. Gedeckt durch den Innenminister Süleyman Soylu soll Peker, ohne belangt zu werden, das Land verlassen haben. Für den Preis seines Status‘ durfte er also quasi seine Freiheit behalten.

Kurze Zeit später trat Albayrak als Finanzminister zurück und ist seither abgetaucht. In seiner Abwesenheit diskutiert die Türkei über verschwundene 128 Milliarden Dollar aus den staatlichen Reserven und einem wirtschaftlichen Desaster. Die Zukunft der türkischen Wirtschaft war noch nie so undurchsichtig wie aktuell. Trotz dessen ist der Einfluss der Albayrak-Familie in der Türkei weiterhin groß. Nach wie vor hat Berat über seinen Bruder Serhat Zugang zu und Einfluss auf eines der größten Medienkonzerne des Landes, der Turkuaz Media Group.

Co-Working zwischen Ağar und der „Pelikan-Gruppe“

Laut Sedat Peker handelt es sich bei der Offensive gegen ihn um eine Kooperation zwischen Mehmet Ağar und der „Pelikan-Gruppe“. Diese wurde in der Türkei erstmals bekannt, als am 1. Mai 2016 eine Webseite mit dem Titel „Pelikan Files“ veröffentlicht wurde. Danach musste der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sein Amt niederlegen. Hinter den Veröffentlichungen stehe ein Team aus fanatischen Erdoğan-Anhänger:innen wie Hilal Kaplan, Melih Altınok, Süheyb Öğüt, Cemil Barlas u.a., die im Namen der Turkuaz Media gehandelt hätten. WikiLeaks zufolge wurde die Pelikan-Gruppe durch Berat Albayrak und die private Krankenhauskette Medipol finanziert. Eigentümer dieser Krankenhäuser ist der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca. Sein Unternehmen ist zudem Hauptsponsor des Fußballvereins Medipol Başakşehir. Für Peker steht fest, dass der Angriff gegen ihn auf Mehmet Ağar zurückgeht. Für die negativen Schlagzeilen hingegen macht er das Pelikan- Team um die Gebrüder Berat und Serhat Albayrak verantwortlich.

„Wie der dritte Partner der regierenden AKP-MHP-Koalition“

In seiner zweiten Videobotschaft spricht Sedat Peker davon, dass Mehmet Ağar einer politischen Figur aus der Renaissance-Zeit in Frankreich ähnele. Dieser sei ein ehemaliger Priester, später eine Art Innenminister im Namen des französischen Königs gewesen. Trotz seiner konservativen Vergangenheit in den Reihen der Priester seien in seiner Amtszeit die meisten Morde an Priestern geschehen. Auch sei er dafür bekannt gewesen, immer mit der Macht zu gehen und über die Amtszeiten von Königen hinaus seine Macht zu behalten.

Das treffe exakt auf Ağar zu, der jetzt in der vierten Regierungsperiode in der Türkei ungehindert die Strippen in der Polizei ziehe und somit in der Regierung mitmische. Als Kopf des Tiefen Staates sei Ağar so etwas wie der dritte Partner in der Koalitionsregierung zwischen AKP und MHP. Den Einfluss von Ağar kann man tatsächlich kaum von der Hand weisen. Die Freilassung von Alaattin Çakıcı sowie dessen Reputation als Staatsdiener im Namen von MHP-Anführer Bahçeli sind ein starker Hinweis auf seinen Einfluss.

Deal zwischen AKP und Peker: „Ich dachte, ich kehre im April zurück?“

Sedat Peker fühlt sich verraten. Warum das so ist, erläutert er eindrucksvoll. Denn nach dem offenen Streit zwischen ihm und Berat Albayrak habe es, wie in der italienischen Mafia, einen Deal des Schweigens gegeben. Um dies zu verdeutlichen, hatte Peker in seinem ersten Video das berühmte Buch „Omertà“ von Mario Puzo auffällig auf dem großen Glastisch platziert. Omertà ist der letzte Teil in Puzos weltbekannter Mafiasaga über Macht und Moral in Italien und Amerika. Es geht um einen sizilianischen Clan, der es in New York zu Ruhm und Ansehen gebracht hat. Omertà beschreibt dabei das sizilianische Gebot des Schweigens.

In dieser Manier einigten sich offenbar Peker und die AKP. Denn man habe ihm für sein Schweigen eine Rückkehr im April dieses Jahres in die Türkei versprochen. „Ich dachte ich kehre im April zurück, aber ich habe das offenbar falsch verstanden“, so Peker über den Verrat. Das habe ihn zu einem Umdenken und zum Bruch seines Schweigens bewegt. Jetzt werde er mit großen Storys auspacken und für den Verrat Bußen einfordern.

Mehr dazu morgen in einem zweiten Beitrag…

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