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Politik

Ahmet Altan: „Man will nicht, dass die politischen Verantwortlichen für den Putsch entlarvt werden“

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Nach zwölf Tagen Haft ist Ahmet Altan wieder auf freiem Fuß, sein Bruder Mehmet jedoch nicht. Die Vorwürfe gegen beide sind abstrus, aber Ahmet Altan hat eine eigene Erklärung für das Unrecht, das ihnen geschieht.

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Altan-Brüder
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Wenn es in der Türkei überhaupt Menschen gibt, die man als Verkörperung einer demokratischen Grundhaltung und Sprecher des öffentlichen Gewissens einstufen könnte, dann sind es wohl die Gebrüder Altan. Sie stammen aus einer Intellektuellenfamilie und prägen seit Jahrzehnten als kritische Stimmen – mal als Warner, mal als Wegweiser – die öffentliche Debatte des Landes. Sie sind weiß Gott keine religiösen Menschen. Im Gegenteil, der prominente Autor und Journalist Ahmet Altan macht kein Hehl daraus, Atheist zu sein (auch wenn Agnostiker zutreffender wäre).

Gut zwei Monate nach dem Putschversuch in der Türkei waren der regierungskritische Autor und Ökonomieprofessor Mehmet Altan und sein Bruder Ahmet in Untersuchungshaft genommen worden. Zweiterer wurde am Mittwochabend aus dem Polizeigewahrsam entlassen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı (AA) meldete. Gegen ihn sei eine Ausreisesperre verhängt worden. Mehmet Altan werde unter anderem vorgeworfen, er habe die Regierung stürzen wollen und sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung.

Dabei hatten beide Brüder lange Jahre die Reformpolitik der AKP unterstütz, obwohl ihnen klar war, dass es sich bei ihrem Gründer Recep Tayyip Erdoğan um einen Politiker aus dem politischen Islam handelt. In dem Ausmaß wie sich Erdoğan jedoch von demokratischen Prinzipien entfernte und an einer „neuen Türkei“, in der Kritiker zu Staatsfeinden oder Putschisten erklärt werden, arbeitete, begannen die Brüder den mächtigen Staatspräsidenten und die AKP zu kritisieren. Im Gegensatz zu den meisten säkularen und liberalen Intellektuellen wie Can Dündar sahen sie es als ihre menschliche und intellektuelle Aufgabe, auch in den Hizmet-nahen Medien aufzutreten und auf das Unrecht, das den Anhängern der Bewegung um Fethullah Gülen widerfährt, hinzuweisen. Denn die AKP-Regierung führte einen Hexenjagd gegen sie. Tausende ihrer Angehörigen sitzen mittlerweile im Gefängnis oder mussten das Land verlassen, um einer Inhaftierung zu entfliehen. Genau diese demokratische Haltung, sich auch für Andersdenkende einzusetzen, wurde den Altan-Brüdern nun zum Verhängnis. Sie wurden im Zuge der Ermittlungen gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen festgenommen. Konkret warf die Staatsanwaltschaft ihnen vor, am Tag zuvor in einer Live-Fernsehsendung „unterschwellige Botschaften“ über den bevorstehenden Putsch verbreitet zu haben.

Ahmet Altan verurteilte nach seiner Freilassung (Foto) die Inhaftierung seines Bruders scharf und sagte: „Ich glaube, man will nicht, dass die politisch Verantwortlichen dieses Putsches entlarvt werden. Davor haben sie Angst. Eine Macht, die wir nicht kennen, will mit allen Mitteln verhindern, dass zu dem gescheiterten Putsch erfolgreich ermittelt wird. Sie wollen nicht, dass die Ermittlungen in die Tiefe gehen und bist an die Spitzte reichen. Deshalb verhaften sie Mehmet Altan, einen Professor, der seit 30 Jahren schreibt. Er ist ein Verteidiger der Demokratie und hat sich sein ganzes leben lang gegen Staatsstreiche eingesetzt. Ihn zu verhaften bedeutet auch, dass jede Art von Kritik von nun an bestraft wird.“

Der Träger des Leipziger Medienpreises warnte die AKP-Regierung, dass sie mit dem vorhandenen Rechtssystem und ihren Umgang mit Kritikern „keinen Schritt voran kommen“ würden. Sollte die politische Führung keinen Kurswechsel vollziehen, drohe dem Land eine „schreckliche Zukunft“.

In der Türkei sitzen nach Angaben der freien Medienplattforms P24 mittlerweile 120 Journalisten im Gefängnis. Nach dem gescheiterten Putsch verloren zudem über 2000 Redakteure ihre Arbeit. Die Verhaftung der Altan-Brüder hat die internationale Öffentlichkeit erneut auf die schlechte Menschenrechtslage in der Türkei aufmerksam gemacht. So haben sich 241 weltbekannte Intellektuelle mit den Altan-Brüdern solidarisiert und in einer gemeinsamen Erklärung die Freilassung aller inhaftierten Journalisten und Regimekritikern gefordert. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk, der Schriftsteller Roberto Saviano (Italien), die Philosophen Antonio Negri (Italien), Edgar Morin (Frankreich), Jean-Luc Nancy (Frankreich) und Judith Revel (Frankreich). Aus Deutschland gehören neben den Schriftstellern Anja Utler und Günther Wallraff der Vorsitzende des Schriftstellerbandes PEN Detuschland, Regula Venske, zu den Unterzeichnern. (mit Material von dpa)