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Kultur/Religion

„Wir kannten die Türkei nur aus dem Urlaub – und auf einmal waren wir dort Stars“

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In Deutschland war die deutsch-türkische Rap-Combo „Cartel“ außerhalb des Einwanderermilieus wenig bekannt. Der Gruppe gelang es jedoch, von hier aus in der Türkei zu einem der bedeutendsten Acts des Jahrzehnts zu werden. (Foto: A.Akgül)

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Erci E. von CARTEL
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Vor einigen Jahren schaffte es der türkische Popstar Tarkan mit den Liedern „Şımarık“ und „Şıkıdım“ auch in die deutschen Musikcharts. Doch er ist nicht der einzige türkische Sänger, der sowohl in der Türkei als auch in Deutschland Bekanntheit erlangte. In den 90er-Jahren sorgte die Rap-Gruppe „Cartel“ in beiden Ländern für Aufsehen, in der Türkei dabei deutlich mehr als in Deutschland. Wir sprachen mit Ercüment Ergün, besser bekannt als Erci E., der 1994 die Gruppe zusammen mit anderen Rappern gegründet hatte.

Ercüment, wie hat sich Cartel damals gefunden?

Ich habe meinen und Cartels späteren Manager bei Kiss FM kennengelernt. „Meine erste Aufnahme möchte ich mit dieser Person in diesem einen Studio machen“, dachte ich mir damals. Sein Studio war richtig gut. Dort wollten wir eine Single aufnehmen. Diese Person hat mich damals gefragt: „Möchtest du auf Türkisch rappen? Ich habe eine Demoaufnahme aus Nürnberg erhalten. Es gibt eine Gruppe namens ‚Karakan‘. Die rappen auch auf Türkisch.“ Wir haben Karakan angerufen, diese sind daraufhin nach Berlin gekommen. Sie hatten im Fernsehen gesehen, dass es eine Breakdance-Gruppe aus Kiel gibt, also der nördlichsten Großstadt in Deutschland, Deutschlands Sinop sozusagen. Diese hat Breakdance mit Trompetenmusik gemacht. Dann sind auch diese Musiker nach Berlin gekommen, um uns kennenzulernen. So haben wir uns vereint. Also Kiel, Nürnberg und Berlin, deshalb der Spruch „aus drei Ecken“.    

Warum genoss Cartel eine so große Aufmerksamkeit?

Wenn ich zurückdenke, ist Cartel bald 20 Jahre alt, wir kamen ja 1995 raus. Ich sehe es so, dass Cartel einfach sein sollte. Wir hatten keinen hinter uns. „Alles ist geplant“, „das kommt gut an“, „lass uns das so machen“ – das gab es in der Form nicht. Ok, wir hatten einen Manager, aber das war auch sein erstes Musikprojekt. Cartel sollte einfach so kommen und wachsen. Ich freue mich sehr darüber. Man sagte: „Cartel hat uns damals aus der Dunkelheit herausgeholt“. Keiner hatte unsere Community eigentlich damals repräsentiert und deshalb war es eine große Erleichterung für die Leute in unserem Milieu, dass wir laut und deutlich „Türke“ etc. gesungen haben. Gott sei Dank sich alles so entwickelt, es war wirklich nicht geplant. Dies erkennt man auch, denn hätten wir vielleicht etwas vorgeplant, hätten wir bis heute fünf Alben rausgebracht.

Alle, die mich, Erci E. von Cartel, wiedererkennen, sagen auf jeden Fall „Cehennemden çıkan çılgın Türk“ („Der verrückte Türke, der aus der Hölle kam“?). Wir hatten auch gar nicht geplant, etwas von Cartel in der Türkei zu veröffentlichen.  Es war eigentlich nur als Underground-Rapalbum für uns in Deutschland gedacht. Der Name Cartel kommt von den drei verschiedenen Gruppen, die sich zusammengetan haben. Wenn wir zum Logo kommen, bemerkt jeder, das sei eine türkische Flagge. Das hat aber auch ein Deutscher gemacht. Wir haben ihn nicht dazu aufgefordert, eine türkische Flagge da mit rein zu machen.

Wie haben die Ereignisse in Solingen im Jahre 1993 Cartel beeinflusst?

Die Tragödie von Solingen, die vor 20 Jahren stattgefunden hat, zeigte den Rassismus zum ersten Mal offensichtlich und hat sich auch in den Texten zu unserem Album Cartel widergespiegelt.

Kannst du uns erzählen, wie es ist, jung in der Türkei berühmt zu werden?

Wir kannten die Türkei nur von unseren Eltern und aus den Sommerferien, sonst hatten wir keine Verbindung zu dem Land. Das ist eine absurde Situation. Auf einmal wirst du mit 21 Jahren wie ein Star behandelt in deiner eigenen, aber dir unbekannten Heimat. Natürlich ist es schön, Aufmerksamkeit zu genießen und wenn die Türkei einen liebt, hebt sie einen wirklich praktisch in den Himmel hoch. Das haben wir erlebt und ich bin auf meine Gruppe stolz, weil wir immer die Gleichen geblieben sind.  Mag sein, dass wir auch in einem Maße „abgehoben“ sind, aber weil wir viele waren, haben wir uns alle gegenseitig festgehalten. Wenn eine Person so etwas erleben würde, könnte man dies nicht mehr festhalten, als Star würde er wahrscheinlich irgendwann die Bodenhaftung verlieren, aber wir sind immer gleich geblieben. Wir haben nicht in der Türkei gelebt.Wir reisten für die Arbeit hin, blieben für einen Monat und kamen wieder zurück. Die gleiche Behandlung hatten wir hier natürlich nicht. Das hat uns gut getan.

Was würdest du als Fehler zu dieser Zeit bezeichnen?

Was vielleicht nicht unbedingt ein Fehler, sondern einfach taktisch falsch war, ist, dass ich weiter hier gelebt habe. Ich war jung und naiv. Wenn du ein Album in der Türkei veröffentlichst, musst du mindestens sechs Monate bis zu einem Jahr dort leben, wenn es langfristig Bestand haben soll.

Was hast du nach Cartel gemacht?

Ich mache weiterhin Musik, arbeite in einem Radiosender, bin DJ, arbeite als Synchronsprecher und rappe auch. Ich bin sehr glücklich. Man muss wirklich Gott danken. Erfolg ist für mich, lebenslang das tun zu können, was man liebt.

Was würdest du über deine aktuelle Single „Deutschland Sensin“ sagen wollen?

Ich mache seit Jahren Musik auf Türkisch. Ich hatte bloß eine Single namens „Weil ich‘n Türke bin“, welche 1998 rauskam. Und jetzt eben „Deutschland Sensin“. Eigentlich ist das Lied sehr speziell für mich. Mit dem Lied wollte ich Deutschland einen letzten Brief, ein Message überreichen und ich bin wirklich erleichtert, seitdem ich das Lied veröffentlicht habe.Es ist gar nicht wichtig für mich, ob sich der Song gut verkauft oder das Video oft angesehen wird. Wichtig war, mir das, was ich sagen wollte, von der Seele schreiben zu können. 

Was hältst du von Türkisch Rap? Sind da einige Gruppen oder Namen, die dir gefallen?

Türkisch Rap wurde nach Cartel oft von verschiedenen Gruppen praktiziert. Das ist eine sehr schöne Sache. Unter diesen sind erfolgreiche Namen wie Ceza oder Sagopa Kajmer.

Welche türkischen Musiker haben dich beeinflusst? 

Barış Manço, Erkin Koray, Cem Karaca, Sezen Aksu, Yeni Türkü, diese Namen stehen im Vordergrund. Unter diesen kann ich vor allem Barış Manço hervorheben. Warum? Da spielt der Sommerurlaub in der Türkei eine große Rolle. Da hat man öfters Musik gehört, und mich als Kind hat es gestört, dass die Themen in türkischen Liedern ziemlich ernst sind, vor allem Liebe und Drama. Aber wenn einer “Domates Biber Patlican” (Tomate, Paprika, Aubergine) gesungen hat, war das interessant und schön. Nicht nur von seiner Wortauswahl her, Barış Manço war seiner Zeit voraus. Cem Karaca hat ein Album auf Deutsch herausgebracht, alles auf Deutsch. Wir wissen, dass er eine Phase seines Lebens in Deutschland verbracht hat, aber von einem Album wusste ich nicht. Der Name dieses Albums ist „Die Kanaken”. Also die Themen, die ich mit Deutsch-Türken bearbeite, hat er damals schon aufs Tapet gebracht.

Verfolgst du die Ereignisse in der Türkei? Wie bewertest du die Entwicklungen?

Es passieren Dinge in der Türkei, die ich nicht verstehe. Wenn man‘s von der Logik her betrachtet, passieren Sachen, die nicht passieren sollten und das macht mich traurig. Unsere Familie lebt in der Türkei. Das ist unsere Heimat, was auch immer da passiert. Wenn meine Kinder hier aufwachsen, wird die Türkei für sie auch die Heimat sein. Das kann man nicht abzweigen. Ich habe eines verstanden, ein Land wie die Türkei aus der Ferne zu verfolgen, ist sehr, sehr schwierig.