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Menschenrechte

Der NBA-Star, die Menschenrechte und der türkische Staat

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Über Enes Kanter wird in der von regierungsnahen Medien dominierten Presselandschaft in der Türkei kaum noch berichtet – und wenn, dann es geht es nicht um den Sportler Kanter. Obwohl der Basketballprofi regelmäßig gute Leistungen in der NBA bringt, ignorieren ihn die dortigen Medien hartnäckig. Grund dafür ist unter anderem seine große Nähe zur Gülen-Bewegung. Ungeachtet dessen nutzt der Spieler der Portland Trail Blazers jede Gelegenheit, um auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei aufmerksam zu machen.

Vor wenigen Wochen haben 54 Mitglieder des US-Senats einen Brief an den neuen US-Präsidenten Joe Biden verfasst und ihn aufgefordert, wegen Menschenrechtsverletzungen mehr Druck auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auszuüben. Als Beispiel wurde in dem Brief – neben Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Kurden – auch Enes Kanter aufgeführt. Über Kanters Einsatz für Menschrechte und gegen die türkische Regierung berichteten auch verschiedene türkische (Exil-)Medien.

Der Gülen-kritische Journalist Ruşen Çakır konstatierte: „Auf der einen Seite Kanter, auf der anderen Seite der gesamte türkische Staat.“ In der internationalen Öffentlichkeit glaube kaum jemand ernsthaft den Thesen des türkischen Staates zum gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016. Und das, obwohl die AKP-Regierung nur wenige Tage nach dem Putschversuch dutzende Akten mit vermeintlichen Beweismitteln über die Verstrickung der Gülen-Bewegung an die US-Regierung übermittelt hatte. Doch sie taugten nicht als juristisch belastbare Beweise, da es sich dabei überwiegend um spekulative türkische Medienberichte über die Gülen-Bewegung handelte.

Die Offensive der AKP gegen die Gülen-Bewegung

Auf allen Ebenen bemüht sich der türkische Staat seit viereinhalb Jahren, die Auslieferung von Fethullah Gülen zu erwirken. Geht es nach dem Wunsch der AKP-Regierung, sollen neben Gülen auch weitere ihm nahestehende Personen ausgeliefert werden. Dazu zählen Cevdet Türkyolu, sein Privatarzt Kudret Ünal, die Journalisten Ekrem Dumanlı und Emre Uslu sowie der Unternehmer Ihsan Kalkavan.

Am vierten Jahrestag des gescheiterten Putsches hatte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu die hierfür getroffenen, offiziellen Maßnahmen der türkischen Regierung aufgelistet. Demnach wurde bereits vier Tage nach dem 15. Juli 2016 von der US-Regierung die Auslieferung Gülens verlangt. Am 22. und 23. August 2016 habe es in Ankara ein Treffen zwischen Vertretern beider Regierungen gegeben. Bei dem Treffen habe die AKP ihre Thesen direkt vortragen können, jedoch ohne Erfolg.

Bis jetzt gab es offiziellen Angaben zufolge insgesamt sechs Zusammenkünfte, bei denen es um dieses Thema ging. Die Bemühungen der türkischen Regierung dauern bis heute an. Zuletzt hat der türkische Justizminister Abdülhamit Gül bei seinem Besuch in Washington am 11. Juni 2019 die Auslieferung von Gülen verlangt. Für die türkische Botschaft in der US-Hauptstadt Washington und die Botschaften weltweit ist der Kampf gegen die Gülen-Bewegung das Top-Thema schlechthin bei ihrer diplomatischen Arbeit. Auch Erdoğan selbst hat seine Gespräche mit den früheren US-Präsidenten Obama und Trump dafür genutzt, dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Warum aber bleiben die rechtlichen und politischen Bemühungen der Türkei erfolglos?

Kanter nutzt jede Plattform für Menschenrechte

Der NBA-Star Enes Kanter hat bereits direkt nach dem 15. Juli 2016 klar gemacht, auf welcher Seite er steht und im Anschluss seinen öffentlichkeitswirksamen Einsatz für Menschenrechte in der Türkei intensiviert. Bereits vor dem Putschversuch wurde er aufgrund kritischer Äußerungen aus der türkischen Basketball-Nationalmannschaft verbannt. Vor dem USA-Besuch Erdoğans am 13. November 2019 wurde Kanter im US-Kongress empfangen. In seiner Rede verglich er Erdoğan mit Hitler, berichtete ausführlich über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, über die Hexenjagd gegenüber den Anhängern der Gülen-Bewegung und anderen Oppositionellen. „Sie haben nicht die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben“, so Kanter. Nach der Veranstaltung startete er über seinen Twitter-Account die Unterschriftskampagne „You Are My Hope“ (Du bist meine Hoffnung) und erreichte damit eine breitere Öffentlichkeit für sein Anliegen.

Kanter ist oft zu Gast in den US-Medien. Dabei geht es nicht nur um seine sportlichen Auftritte und Erfolge. So trat er im Februar 2019 in der beliebten „The Daily Show with Trevor Noah“ auf. Im Mai 2020 war Kanter zu Gast bei dem berühmten US-Sender MSNBC. Beide (und weitere Auftritte) nutzte er, um ausführlich auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei aufmerksam zu machen: Zehntausende Journalist:innen, Hausfrauen, Lehrer:innen und viele andere Menschen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft sitzen aus fadenscheinigen, politischen Gründen in Haft.

Kanter will nicht aufhören

Auch seine eigene Familie sei von den Menschenrechtsverletzungen betroffen: „Tausende unschuldige Menschen sind in Gefängnissen wegen Corona dem Tod ausgeliefert“, sagt Kanter. Als er zu Gast bei CNN war, erklärte er: „Wenn du in der Türkei Erdoğan kritisierst, bist du ein Terrorist.“ Die türkische Regierung habe alles getan, um ihn ausliefern zu lassen, jedoch ohne Erfolg. In BBC-Mikrofone sagte der Star: „Ich will, dass die ganze Welt erfährt, was in der Türkei geschieht. Ich werde nicht aufhören, die Wahrheit öffentlich zu machen.“

Die Spannungen zwischen der türkischen Regierung und Enes Kanter haben einen absurden Punkt erreicht. Ihm auf Twitter zu folgen – er hat knapp 500.000 Follower – kann in der Türkei als Beweismittel für eine Mitgliedschaft in einer Terrororganisation dienen. Seine NBA-Spiele werden im türkischen Fernsehen nicht ausgestrahlt. Und wenn aus verschiedenen Gründen doch, wird sein Name konsequent ignoriert.

So beschreiben Ruşen Çakırs Worte die aktuelle Situation recht treffend: Eine einzige Person erziele mit seinem Einsatz mehr Wirkung in der amerikanischen und internationalen Öffentlichkeit als die mit Millionen von türkischen Steuergeldern bezahlten Vertreter und Lobbyisten des türkischen Staates.

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