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Özil & Gündogan im Erdogan-Team?

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Fußball-Nationalspieler posieren mit Erdogan. Angeblich nicht politisch gemeint. Eine Traumvorlage für den wahlkämpfenden türkischen Präsidenten? Welches Echo hinterlässt die Aktion von Özil und Gündogan in der türkischstämmigen Community?

Eine Handvoll Fotos, zwei Fußball-Stars, zwei besondere Trikots und ein umstrittener Präsident: Die gerade frisch für den vorläufigen WM-Kader nominierten deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan stehen unter Beschuss – diesmal nicht auf dem Spielfeld. Welche Wirkung hat es, wenn die Sportpromis mit türkischen Wurzeln freundlich lächelnd neben dem wahlkämpfenden türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan posieren, ihm handsignierte Trikots überreichen? Wie kommt das bei der ohnehin in Erdogan-Befürworter und -Gegner gespaltenen türkischstämmigen Community in Deutschland an und was sagt das über Integration?

Die in Windeseile verbreiteten Bilder haben Empörung auf vielen Seiten ausgelöst. Da hilft es kaum, dass Gündogan beteuert, die Fotos in einem Londoner Hotel seien kein politisches Statement. Nicht sehr glaubhaft, finden viele – so auch der deutsch-türkische Journalist Hüseyin Topel: «Das ist eine deutliche Positionierung für Erdogan im politische Sinne.» Und sie werde auf fruchtbaren Boden fallen. «Die Aktion wird sicherlich viele Türken hier beeinflussen. Besonders bei den jungen Leuten werden viele den Eindruck haben: coole Geste.»

Denn was Gündogan auf Türkisch auf das Trikot schrieb: «Für meinen verehrten Präsidenten» – spiegele wider, was viele in Deutschland fühlten, schildert Topel. «Ja klar, das ist eine weit verbreitete Haltung unter vielen Türkischstämmigen hier, dass Erdogan ihr Präsident ist.» Die Promis Özil und Gündogan sieht er in einer besonderen Verantwortung: «Es ist offensichtlich, dass Erdogan Deutsch-Türken für seine Wahlkampfzwecke instrumentalisiert.» Das könne den beiden nicht entgangen sein. «Für Erdogan sieht es derzeit schlecht aus im Wahlkampf, er braucht die Unterstützung von allen möglichen Multiplikatoren. In der Türkei nutzt er auch Sänger oder Schauspieler.

Seit dem Putschversuch im Sommer 2016 gilt der Ausnahmezustand in der Türkei, Grundrechte sind eingeschränkt, mehr als 50 000 Menschen wurden inhaftiert, mehr als 130 000 Staatsbedienstete wurden suspendiert oder entlassen. Erdogan will sich am 24. Juni erneut zum Präsidenten wählen lassen, laut Opposition droht eine Ein-Mann-Herrschaft. In Deutschland können rund 1,4 Millionen Türken schon Anfang Juni abstimmen.

Özil und Gündogan stellen sich «ins Abseits», glaubt die türkischstämmige NRW-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler. Denn: «Gerade viele türkeistämmige Jugendliche sehen die beiden als „Abi“ – großen Bruder – und als Idole.» Der gemeinsame Auftritt werte nicht nur Erdogan auf, sondern löse unnötig eine neue Integrationsdebatte aus. «Natürlich kann man sich als Mensch mit Migrationsgeschichte auch dem Herkunftsland der Eltern verbunden fühlen, das heißt aber nicht, dass man Despoten huldigen muss.» Die beiden sollten sich ganz klar von Erdogan distanzieren. Laut «Welt» hatte der ebenfalls türkischstämmige deutsche Nationalspieler Emre Can eine Einladung Erdogans abgelehnt.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) will den Ball flach halten: «Jeder Kommentar ist zusätzlich Öffentlichkeitsarbeit für Erdogan», meint der Vorsitzende Gökay Sofuoglu. «Bashing-Attacken gegen die Fußballer, die sich für die deutsche Nationalmannschaft verdient gemacht haben, finde ich fehl am Platz.» Die Kurdische Gemeinde verurteilt den «sorglosen Umgang» der Spieler. Und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände moniert: «Özil und Gündogan haben unserer Integrationsarbeit der letzten Jahrzehnte einen schweren Schaden zugefügt.» Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußert sich über ihren Sprecher kritisch zu dem Treffen. Es sei eine Situation gewesen, «die Fragen aufwarf und zu Missverständnissen einlud», sagt Steffen Seibert.

Aber sollen Fußball-Stars nur stumm gegen den Ball treten und sich bei politischen Fragen öffentlich raushalten? «Eine politische Meinungsäußerung deutscher Nationalspieler ist natürlich absolut legitim», meint Kommunikationsexperte Frank Marcinkowski. Aber: Sie müssten sich bewusst sein, was das auslösen könne. «Ob ihre sicher ganz gezielt gesetzte Aktion Erdogan konkret Wählerstimmen bringt, ist extrem schwierig zu kalkulieren.»

Die Foto-Affäre ist nicht nur für die beiden Promis, sondern auch für den Deutschen Fußball-Bund und DFB-Präsident Reinhard Grindel ein XXL-Ärgernis. Konterkariert sie doch die Bemühungen, Werte des gesellschaftlichen Miteinanders unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe, zu vermitteln. Grindel stellt klar: «Der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdogan nicht hinreichend beachtet werden.» Journalist Topel rät den beiden Kickern: «Wenn die Fotos mit Erdogan und die Trikots tatsächlich nur eine Höflichkeitsgeste – und keine politische Positionierung – waren, sollten Gündogan und Özil auch schnell Selfies mit den vier Gegenkandidaten Erdogans posten.»

Von Yuriko Wahl-Immel und Arne Richter, dpa