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Politik

Präsidialsystem in der Türkei: Der Ermächtigungsentwurf

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Der Entwurf zur Einführung des Präsidialsystems bekommt gerade den letzten Schliff. Regierungskritiker erschaudern: Die Verfassung soll der faktischen Regierungsführung angepasst werden, der Präsident umfassende Macht erhalten. Der Ausnahmezustand wird zum Normalfall.

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Das vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP geplante Präsidialsystem nimmt immer genauere Konturen an. Nun hat Premierminister Binali Yıldırım während seines Fluges nach Moskau aus dem Nähkästchen geplaudert und Details des Entwurfs zur Verfassungsänderung erklärt – und die klingen für Kritiker der Regierung äußerst beunruhigend.

Yıldırım hingegen legte Wert darauf, dass es schon nicht so schlimm werde. Denn: Es handele sich entgegen des bisher kolportierten Begriffes nicht um ein Präsidialsystem („başkanlık sistemi“), sondern um ein „Präsidialamtssystem“ („cumhurbaşkanlığı sistemi“). Der Unterschied? „Im Präsidialamtssystem kann der Präsident keine Gesetzesvorschläge einbringen. Das geht nicht. Die Gesetze werden als Entwürfe in das Parlament eingebracht. Und es sind die Abgeordneten, die das machen“, so Yıldırım zu den mitfliegenden Journalisten. Die Ausnahme sei der Haushalt. Der werde vom Präsident eingebracht.

Der Präsident kann also keine Gesetze einbringen? Da kommt der Punkt, vor dem es vielen schaudert: Er soll nämlich – wie im derzeitigen Ausnahmezustand – Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen können. Seit dessen Ausrufung am 21. Juli kann Erdoğan beinahe uneingeschränkt mittels Dekreten, also am Parlament vorbei, regieren. Das soll nun durch die Verfassungsänderung endgültig festgeschrieben werden. „Gleichzeitig hat das Parlament die Möglichkeit, Gesetze zu erlassen. In welchen Bereichen Dekrete erlassen werden, in welchen Gesetze, das steht dann fest“, gibt sich der Premierminister zuversichtlich.

Staat und Partei werden eins

Dafür, dass es im neuen System nicht zu Konflikten zwischen Präsident und Parlament kommt, ist in dem Entwurf auch gesorgt: In ihm wird die Verpflichtung des Präsidenten zu parteipolitischer Neutralität aufgehoben; das heißt, er soll zukünftig auch Mitglied oder gar Vorsitzender einer Partei sein können. Die bisherige türkische Verfassung sieht einen Präsidenten vor, der mit dem deutschen Bundespräsidenten vergleichbar ist. Dieser ist verpflichtet, sich überparteilich und politisch neutral zu verhalten, sein Aufgabenbereich beschränkt sich im Wesentlichen auf Repräsentation und die Unterzeichnung von Gesetzen.

Demgegenüber steht Erdoğans Verhalten seit seiner Wahl im August 2014. Dass er sich nicht an die verfassungsrechtliche Vorgabe zur politischen Neutralität hält, begründet er mit der Verfassungsänderung von 2011, mit der die Direktwahl des Amtes eingeführt wurde. Er sei schließlich kein gewöhnlicher Präsident, sondern mit 52% der Stimmen gewählt worden, so sein Argument. Nun also soll dieser verfassungswidrige Zustand beendet werden – nicht, indem sich der Präsident der Verfassung anpasst, sondern umgekehrt.

Tayyip Erdoğan kann dann also Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, für die er die Große Nationalversammlung nicht einmal fragen muss. Um alle anderen Gesetze kümmert sich die Parlamentsmehrheit der AKP, deren Vorsitzender er dann (wieder) ist und über deren Abgeordnete er entscheiden kann. Dass der Präsident auch weitreichende neue Befugnisse zur Ernennung von Richtern am Verfassungs- und Verwaltungsgericht sowie am Kassationshof erhält, ist dabei fast eine Randbemerkung. Eigentlich würde sich also gar nicht so viel ändern – und doch alles. Denn wenn der Entwurf durch das Parlament geht und in einem Referendum angenommen wird (wovon fast auszugehen ist), legalisiert die AKP ihr bisher de facto verfassungswidriges System und baut die Türkei auch de jure endgültig zu einem Führerstaat mit einer Staatspartei um.

„Der Entwurf führt zu einem System, in dem eine regierende Partei den Staat beherrscht – oder vielmehr eine politische Partei und der Staat eins werden“, fasst Ali Bayramoğlu, Kolumnist der regierungsnahen Zeitung Yeni Şafak, die geplante Reform zusammen. „Mit anderen Worten: Die drei größten Probleme, die das Land zur Zeit plagen – Erdoğans Personalisierung der Macht, die Tendenzen zu einer Machtkonzentration und das Bestreben, ein autoritäres Demokratiemodell zu errichten – werden sich schnell verschärfen.“

Hand in Hand mit den Ultranationalisten

Premierminister Yıldırım zeigt sich hingegen optimistisch, dass die Reform zu seiner eigenen Entmachtung „wahrscheinlich eine Beruhigung an den Märkten zur Folge haben wird.“ Denn, das ist das Hauptargument der AKP, das neue politische System bringe dem Land endlich Stabilität. Bis Ende der Woche soll der Entwurf ins Parlament gebracht werden. Er umfasse zwar lediglich zwölf Artikel, diese werden sich jedoch „auf eine Reihe anderer Artikel auswirken“. Das angedachte Referendum ist laut Yıldırım für „Anfang des Sommers“ geplant, in türkischen Medien ist zumeist von April die Rede.

Einen willfährigen Steigbügelhalter hat die AKP indes in der faschistischen MHP gefunden. Ihr greiser Langzeitführer Devlet Bahçeli hat bereits vor Wochen bekanntgegeben, dass seine Ultranationalisten das Vorhaben, die Reform zur Abstimmung zu stellen, unterstützen werden. Seitdem wird gemunkelt, welchen Deal Bahçeli – der in seiner eigenen Partei alles andere als unumstritten ist – wohl mit Erdoğan eingegangen ist. Es wird kolportiert, ihm könnte ein Ministersessel winken. Die MHP hatte der AKP bereits einmal die Macht gerettet, als sie nach der Parlamentswahl vom 07. Juni 2015 eine Zusammenarbeit mit der HDP verweigerte und so eine Regierungsbildung gegen die AKP verhinderte. Auch war es vielen Beobachtern suspekt, dass die Regierung und Präsident Erdoğan im monatelangen Machtkampf innerhalb der MHP so eindeutig Partei für Bahçeli ergriffen.

Momentan arbeiten Yıldırım und Bahçeli noch an „technischen Details des Verfassungsentwurfs“, so der Premier. Bis Ende der Woche solle er jedoch ins Parlament gebracht werden. Zusammen haben AKP und MHP 356 Sitze. 330 sind für ein Referendum notwendig. Und die Zustimmungswerte in der Bevölkerung sind vielversprechend. Wer sollte auch widersprechen? Es sind schließlich so gut wie keine freien Medien mehr übrig, die der Regierung Paroli bieten könnten. Dass mit der CHP und den verbleibenden HDP-Abgeordneten (die Parteiführung sitzt bekanntermaßen schon hinter Gittern) noch die kläglichen Reste einer Opposition hilflos „Diktatur, Diktatur!“ schreien, bringt da auch nicht mehr viel.