Connect with us

Allgemein

Priester, die nicht nur predigen

Spread the love

Während draußen die kalte Sonne sinkt, erzählt der Professor von einem türkischen Freund, der sich wundere, warum man in Deutschland am Arbeitsplatz nicht über Gott spricht. Ein Text über das Verhältnis des Vatikans zu den Muslimen. (Foto: reuters)

Published

on

Priester, die nicht nur predigen
Spread the love

Professor Emeritus Manfred Görg ist auch im Warten unterwegs. Mit kleinen, langsamen Schritten umkreist er den Universitätsbrunnen, den Blick nach unten gerichtet, seine alte, formlose Aktentasche rhythmisch schwingend. Es ist ein windiger Freitagtagnachmittag, die Münchener Sonne scheint kalt. Der Geschwister-Scholl-Platz vor der Ludwig-Maximilian-Universität ist fast menschenleer. Mit seinem bunten Barett und den zertretenen Schuhen sieht Professor Görg eher wie ein Künstler aus. Ein nachdenklicher, aber geisteswacher Künstler. Einen emeritierten Theologieprofessor stellt man sich anders vor, zumal einen, der auch geweihter Priester der Römisch-Katholischen Kirche ist. Nichts vom soliden Glanz der Institution Vatikan scheint auf den 70jährigen abgefärbt zu haben, keine apostolische Würde in der Gangart, kein Machtanspruch in den graugrünen Augen hinter der unscheinbaren Brille.

Prof. Görg strahlt Bescheidenheit aus. Im Telefonbuch ist er unter „Görg Manfred“ vermerkt. Und während er das Zimmer seines Nachfolgers am Lehrstuhl für Alttestamentliche Theologie aufsperrt und etwas schüchtern hereinbittet, sagt er: „Ich darf die Räumlichkeiten immer noch ab und zu benutzen. Noch hat man mir den Schlüssel nicht abgenommen“. Seit 2003 ist Professor Görg im Ruhestand, was allerdings nicht bedeutet, dass er ruht. Neben der Arbeit an einem Projekt über die Geschichte der Philister hält er Vorlesungen zu alttestamentarischen und interreligiösen Themen. „Solange ich in den Lehrsaal komme, können Sie mich nicht daran hindern“, schmunzelt er. Eine seiner Vorlesungen heißt „Theologie – Interreligiöses Glauben: Bausteine eines konnektiven Bekenntnisses für Juden, Christen und Muslime“.

Interreligiöse Themen bilden auch den Schwerpunkt seines ehrenamtlichen Engagements. Manfred Görg ist Vorsitzender von „Freunde Abrahams“, einer Münchener Gesellschaft, die sich um Verständigung zwischen den drei unterschiedlichen Zweigen des nahöstlichen Monotheismus bemüht. Der Verein veranstaltet Vorträge und Studienreisen und ist in das Aufbauprojekt „Gaza“ des prominenten Flüchtlingshelfers Rupert Neudeck eingebunden.

Als suche er Berührung mit der Vergangenheit, legt der Theologe seine weiche Hand auf den schlichten Kanzleitisch, erzählt von der schwierigen Kindheit in Berlin, dem Umzug nach Westfalen kurz vor Kriegsende. Dass er eines Tages die Priesterweihe empfangen wollte, habe er schon in der Volksschule gewusst. Allerdings beeilt sich Professor Görg, den Eindruck zu zerstreuen, es seien himmlische Kräfte am Werk gewesen: „Man wohnte einfach neben einer Kirche, und das Elternhaus war katholisch geprägt – ich bin da hineingewachsen. Ein anderes Milieu hätte bestimmt etwas anderes hervorgebracht“.

Neben der wissenschaftlichen Karriere (die Liste seiner Publikationen zwischen 1960-2003 umfasst 62 Seiten) war Manfred Görg immer aktiver Priester. Auch heute noch wird er von Gemeinden und Ordensgemeinschaften eingeladen, feiert Gottesdienste, predigt, betet, segnet. „Morgen bin ich bei einer Schwesterngemeinschaft. 8 Uhr morgens, an einem Samstag – das ist nicht für jeden Gläubigen!“ Hochwürden kann auch vom Priesteralltag mit Humor erzählen.

Selbstironie, Lockerheit. Eigenschaften sind das, die man als Außenstehender nicht unbedingt mit der Katholischen Kirche verbindet. Manfred Görg macht auch keinen Hehl aus seiner souveränen Haltung gegenüber einigen Vatikan-Vorschriften.

Eine gute Note von Professor Ratzinger

Den Zölibat hält er zum Beispiel für nicht unbedingt notwendig und meint, der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch habe mit seinen ähnlich lautenden Äußerungen „eine Tür aufgemacht“. Allerdings hat sich Manfred Görg an das Ehelosigkeitsgelübde immer gehalten und findet, dieser Teil des Lebens sei eher nur eine „Randerscheinung“.

Was ihn mehr bewegt, ist das belastete Verhältnis zwischen Vatikan und der Evangelischen Kirche. „Ich habe schon gemeinsames Abendmahl gefeiert – ich habe keine ökumenischen Probleme!“, sagt er mit einer Selbstverständlichkeit, als seien die Vorbehalte der Kardinäle gegen gemeinsame Eucharistie eine Art pubertäre Schrulle, die es zu überwinden gilt. „Ach ja, ach Gott! Manches muss man einfach hinnehmen“. Übrigens sei jeder, der zu ihm in den Gottesdienst kommt, willkommen, ob Katholik oder nicht. „Ich bin nicht derjenige, der zum Gottesdienst einlädt. Deswegen kann ich niemandem die Tür zeigen, so was kann ich nicht verantworten.“

Seine interreligiöse Offenheit ist innerhalb der Kirche nicht unumstritten. Manfred Görg redet gerne und viel mit Juden, Muslimen, Buddhisten. „Die Vorstellung von exklusiver Religion ist mir fremd. Es gibt verschiedene Wege zum Glück und zum Heil, jeder Mensch will ernst genommen werden in seiner Geschöpflichkeit. Als Katholik muss ich mich auf die Pilgerpfade der anderen begeben, Religion verpflichtet zu einer offenen Haltung.“ Solche Worte werden im konservativen Lager gelegentlich allzu gern als Häresie ausgelegt.

Offiziell wurde Manfred Görg noch nie abgemahnt – „aber intern brodelt’s“. Dabei hat er schon eine Verteidigungsstrategie parat. Anfang der 60er Jahre war er in Bonn Student von Professor Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst. „Ich bekam im Examen eine gute Note, das Zeugnis mit der akkuraten Unterschrift habe ich immer noch. Sollte was sein, kann ich immer darauf hinweisen: Seht her, ich war ein braver Schüler!“

Die Gewohnheit, nicht nur eigene Wahrheiten zu predigen, sondern auch über die Wahrheiten der anderen zu reden, verdankt Dr. Görg wohl seinem vielschichtigen Studium. Neben Theologie promovierte er auch in Ägyptologie und Religionswissenschaft. Er hat Keilschrift und Hieroglyphen studiert, las arabische Philosophie. Das habe ihm einen guten Blick in den Orient verschafft. „Der Osten hat dem Westen im Laufe der Jahrhunderte sehr viel geschenkt. Es wird Zeit, dass wir dem Orient etwas zurückschenken – aber ohne dabei als wohlwollende Gönner in Erscheinung zu treten.“

Die Quelle seines Faches, das für Laien eher nach Bibliothekenstaub und Weihrauch riecht, sieht der Alttestamentler in menschlicher Neugier: „Der Wunsch zu wissen, woher etwas kommt und wohin es geht“. Hätten sich die Europäer an die Ursprünge ihrer Weltanschauung erinnert, so Dr. Görg, an das Alte Testament nämlich, hätten sie heute andere Vorstellungen von Ost und West.

Während draußen die kalte Sonne sinkt, erzählt der Professor Emeritus von einem türkischen Freund, der sich wundere, warum man in Deutschland am Arbeitsplatz nicht über Gott spricht. „Bei uns ist die Erinnerungskultur schwach geworden“ – der Blick des Professors ist auf einen Punkt in der Luft über dem Tisch fixiert, als würde er vor einem Hörsaal sprechen. Aber seine Sätze bleiben klar und verständlich, sie klingen nicht mal akademisch, obwohl sie theologisch begründet sind.

„Es ist unchristlich, Kulturen abzuweisen, die bei uns zu Gast sind und hier zuhause sein möchten.“

„Man muss lernen, in den Schuhen des Anderen zu gehen.“

„Ich will das ursprünglich menschenfreundliche Interesse an der Religion wach halten.“

Man wundert sich, wie viele Botschaften im Alten Testament eigentlich enthalten sind. Manfred Görg hat definitiv die Gabe, positive Impulse der Heilsverkündigung über dunkle Jahrhunderte hinweg in das Heute und Jetzt hinüberzuretten – ohne den Boden der Realität zu verlassen. Es ist nicht klar, ob er sich dieser Gabe bewusst ist. Großartige Pläne hegt er jedenfalls keine. „Jetzt bin ich alt. Sehen wir, wie es weiter geht.“

Die Katholisch-Theologische Fakultät an der Ludwig-Maximilian-Universität umfasst 15 Lehrstühle und drei Professuren. Prof. Dr. Stephan Leimgruber leitet seit zehn Jahren den Lehrstuhl mit dem sperrigen Namen „Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts“. Dabei geht es hauptsächlich um Wege, Kinder und Erwachsene für ihren eigenen Glauben zu begeistern, ohne den Respekt vor Andersgläubigen zu verlieren.

Der Professor stammt aus der Nordschweiz und spricht einen rollenden Dialekt, den man in Bayern mal als „nett“, mal als „süß“ einstuft. Auch Prof. Leimgruber ist langjähriger Priester, und auch er verströmt eine unaufdringliche Freundlichkeit. An diesem Samstag ist er verschnupft, empfängt bei sich zu Hause im Münchener Norden, schenkt Kräutertee ein. „Möchten Sie noch eine Tasse?“

Religionsunterricht als Chance der Verständigung

Es ist eine Welt für sich, die Religionspädagogik. Man analysiert vergangene und heutige Unterrichtsmodelle, erkundet „Mikrostrukturen und Sozialformen“, diskutiert über ästhetisches, korellatives und Symbollernen. Wer sich an einer theologischen Fakultät mit Religionspädagogik beschäftigt, der ist mit seinem fachdidaktischen Material in der Regel gut ausgelastet. Man macht sich Gedanken über die bestmögliche Vermittlung der Wahrheit, was nicht unbedingt gründliche Überlegungen zur Wahrheit selbst mit einschließt.

Umso erstaunlicher ist es, dass gerade Professor Leimgruber sich als Vordenker einer Forschungsbewegung etabliert hat, die man als „Interreligiöses Lernen“ bezeichnet. Sein Interesse gilt nicht nur einer kindgerechten Unterweisung in katholischer Glaubenslehre, sondern auch der Frage, wie man im Religionsunterricht eine positive Einstellung gegenüber anderen Religionen vermitteln kann. „Eine neutrale Haltung reicht nicht, wir müssen bei den Kindern eine positive Gesinnung erreichen“, sagt er, jede Silbe fast logopädisch klar aussprechend. Fünf Bücher hat der 60-Jährige bisher zum Thema geschrieben oder mitveröffentlicht.

„Von Adam bis Muhammad“. „Bibel und Koran im Vergleich“ ist didaktisch aufgebaut und richtet sich in erster Linie an Lehrer, die gemeinsame Motive des Christentums und des Islams, die Geschichte von Josef etwa, in den Unterricht einbeziehen möchten. „Feinde oder Freunde. Wie können Christen und Muslime miteinander umgehen“ fasst dagegen theologisches und geschichtliches Allgemeinwissen zusammen und verschafft dem Leser einen nüchternen, aber unterm Strich optimistischen Überblick über das vielschichtige, jahrhundertealte Verhältnis zwischen den beiden Abrahamsreligionen. Das Fehlen des Fragezeichens hinter „Feinde oder Freunde“ deutet darauf hin, dass die Frage eher eine rhetorische ist, und unterstreicht eine zuversichtliche Grundeinstellung, die alle Werke von Professor Leimgruber durchzieht.

Es ist eine Haltung, die im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils verankert und dadurch beides ist: Modern, weil zukunftsgerichtet, und gleichzeitig bereits überholt, weil sie einem Kapitel in der Geschichte der Katholischen Kirche entspringt, das der Vatikan vor knapp 20 Jahren für geschlossen erklärte. Sprach das Konzil 1965 in Nostra Aetate, der abschließenden Erklärung, noch mit „Hochachtung“ von Muslimen und ihrer Religion, wurde die Dialogbereitschaft 1990 mit Dominus Jesus und dem Anspruch auf die eigene „Einzigkeit und die Heilsuniversalität“ deutlich relativiert.

Der Leser verdankt es Stephan Leimgrubers akademischer Sorgfalt, dass derartige Kehrtwenden nicht bewertet, sondern lediglich festgestellt und wissenschaftlich kommentiert werden. Die Frage, ob Dominus Jesus seiner Ansicht nach ein Schritt zurück ist, lässt er offen. An manchen Stellen wünscht man sich beim Lesen auch eine klarere Stellungnahme, doch der Autor bleibt zurückhaltend, auch im Gespräch ist er darauf bedacht, vor allem als Moderator zwischen der Institution Kirche und der islamischen Welt aufzutreten.

Seine eigene Position innerhalb der Kirche, die beim Thema Islam bisweilen mit sich selbst zu ringen scheint, umschreibt er lakonisch: „Die Verlautbarungen aus dem Vatikan bedeuten für mich viel. Allerdings habe ich auch mein eigenes Gewissen.“ Wo einige christliche und muslimische Würdenträger Konfliktfelder sehen, sieht Dr. Leimgruber einfach ein Stück Realität. Auch der Absolutheitsanspruch, der auf beiden Seiten erhoben wird, ist für ihn kein schwieriges Terrain. „Als Christ glaube ich fest daran, dass die Welt nur durch Jesus Christus erlöst wird“ – nur sei dies eben kein Grund, den Anderen in seinem Glauben nicht ernst zu nehmen.

Letztes Jahr hat Hochwürden Leimgruber sein 30. Priesterjubiläum gefeiert. „Herzliche Gratulation“ steht auf einer großen weißen Kerze, im Schrank steht eine Flasche Jubiläumswein, den er wahrscheinlich nie trinken wird. In seinen Predigten erzählt er den Kirchgängern, dass Muslime genauso wie Christen an einen Gott und den Jüngsten Tag glauben und dass Jesus Christus auch im Islam als Prophet verehrt wird. Sehr viele wissen das nicht. Da, wo Gemeinsamkeiten enden – bei der Vorstellung der Dreifaltigkeit etwa oder der Auferstehung Christi – fangen für den Priester und Akademiker keine Konflikte an, sondern eben Unterschiede, die es zu respektieren gilt.

Mit dem Islam ist der Professor übrigens nur durch Übersetzungen vertraut. „Ich spreche kein Arabisch“, stellt er mit einem entwaffnenden Lächeln klar. Auch Reisen sind nicht sein Ding. Den Koran hat Dr. Leimgruber in deutscher Übersetzung gelesen und „nicht alles verstanden“. Trotzdem hat er sich seit den 1980er Jahren ein erhebliches Wissen über den Islam angeeignet. Vor seiner Habilitation in München arbeitete er zwölf Jahre als Religionslehrer an der Kantonschule in Solothurn, wo sich die ersten Kontakte zu Muslimen ergaben. Der Besuch einer Hinterhofmoschee sei die Veranlassung gewesen, mit dem Selbststudium anzufangen. Mittlerweile wird Stephan Leimgruber auch als Experte für den islamischen Religionsunterricht geschätzt. Dr. Harun Behr, der Erlangener Professor für islamische Religionslehre, lässt gerade sein neues Lehrbuch für die Klassen fünf bis sechs von seinem katholischen Kollegen in München rezensieren.

2006 erhielt Dr. Leimgruber außerdem einen Preis des islamischen Dialogvereins IDIZEM. „Ich bin von meiner Kirche nie in irgendeiner Weise ausgezeichnet worden“, sagt er mit einem akademischen Lächeln. Der Preis des muslimischen Vereins habe ihn deswegen sehr gefreut.

Dieser Artikel erschien 2008 in der Zeitschrift „Zukunft“.