Geschichte
Deutsch-türkische Arbeiter und Fußballer treffen Präsident Steinmeier
Das Ruhrgebiet ist von Migration geprägt – angetrieben wurde die Entwicklung auch durch ein Anwerbeabkommen mit der Türkei. Zum Jubiläum hat der Bundespräsident die Region besucht. Er traf auf Arbeiter, Fußballer und Erinnerungen.
60 Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch im Ruhrgebiet die vielfältigen Leistungen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gewürdigt.
„Hunderttausende von Menschen aus der Türkei (…) haben mitgeholfen, die Wirtschaft in einer dynamischen Zeit mit aufzubauen, in einer Zeit, in der Arbeitskräfte in Deutschland fehlten. Menschen, die dieses, unser Land im Laufe der Jahre auch vielfältiger und offener gemacht haben, dazu auch wirtschaftlich stärker“, sagte Steinmeier zum Auftakt des Besuchs in Mülheim. Nach seinen Worten ist Deutschland „über die Jahre ein Land mit Migrationshintergrund geworden“.
„Würdigung einer Region“
Seit den 1950er-Jahren hatte die Bundesrepublik mit mehreren Ländern – darunter Italien, Spanien und Griechenland – Anwerbeabkommen geschlossen, um den Arbeitskräftebedarf im „Wirtschaftswunderland“ zu decken. 1961 folgte der Vertrag mit Ankara, Ende 1973 dann ein Anwerbestopp.
Zu diesem Zeitpunkt lebten von bundesweit etwa vier Millionen „Gastarbeitern“ fast ein Drittel in Nordrhein-Westfalen, viele im Ruhrgebiet. So sei sein Besuch auch „die Würdigung einer Region, die wahrscheinlich wie kaum eine andere durch Zuwanderung geprägt ist“, sagte Steinmeier.
Stahlwerk mit hohem Migrantenanteil
Gemeinsam mit seiner Frau Elke Büdenbender besichtigte er am Morgen zunächst die Stahlgussfabrik Friedrich Wilhelms-Hütte in Mülheim. 45 Prozent der Belegschaft hat einen Migrationshintergrund, viele sind in zweiter oder dritter Generation die Nachfahren der Menschen, die in den 1960er-Jahren nach Deutschland zum Arbeiten kamen.
„Die Arbeit war über lange Zeit der große Integrationsfaktor“, sagte Steinmeier in einem Gespräch mit Geschäftsführung und Mitarbeitern. Der Austausch habe gezeigt, dass Arbeit diese Bedeutung noch immer habe. Im Anschluss reiste der Bundespräsident weiter nach Essen.
„Nichts schönreden“
Im Ruhrmuseum auf Zeche Zollverein besuchte er eine Ausstellung des türkischen Fotografen Ergun Çağatay (1937-2018). Seine dokumentarischen Fotografien thematisieren die Einwanderung der ersten und zweiten Generation von „Gastarbeitern“ und „Gastarbeiterinnen“ aus der Türkei. Çağatay hatte 1990 mehrere Städte in Deutschland besucht und Tausende Aufnahmen in Arbeitswelt und Privatleben gemacht.
„In dieser Ausstellung kann man vor allen Dingen lernen, dass wir nichts schön zu reden haben“, sagte Steinmeier. Die Bedingungen, unter denen die erste Generation der damals noch sogenannten Gastarbeiter gekommen ist, sei ausgesprochen schwierig gewesen. Lernen könne man auch, „dass wir uns auch sehr schwer getan haben, die Tatsache, dass wir Zuwanderung haben, anzuerkennen“.
33 Jahre unter Tage
Steinmeier und seine Frau trafen in der Ausstellung auch den früheren Bergmann Osman Cinkılıç. Çağatay hatte ihn und seine Familienmitglieder 1990 in Duisburg-Walsum fotografiert. Ein Foto von seiner Familie hängt in der Ausstellung. Cinkılıç war 1972 als 16-Jähriger im Zuge des Anwerbeabkommens nach Deutschland gekommen.
33 Jahre lang arbeitete er unter Tage. Der 65-Jährige lebt heute im niederrheinischen Voerde. Steinmeier sagte anschließend, dass er „sehr beeindruckt“ gewesen sei von der Begegnung mit Cinkılıç.
Präsident mit Çay und Baklava empfangen
Abschließende Station des Bundespräsidenten war beim Deutsch-Türkischen Fußballverein Türkiyemspor Bochum. Bei Schwarztee (Türkisch: Çay) und dem Süßgebäck Baklava plauderten Steinmeier und seine Frau mit Vereinsmitgliedern und aktiven Kickern über Ehrenamt und Integrationskraft des Sports.
So berichtete Ehrenmitglied Yasemin Pilinski über das langjährige Engagement ihres aus der Türkei eingewanderten Vaters Mustafa Güngör für den Club: Der Fußball sei für den inzwischen Verstorbenen früheren Geschäftsführer immer Heimat gewesen.
„Über den Sport konnten Brücken gebaut werden“, sagte sie. Seit einigen Jahren spielen auch einige Geflüchtete im Kader des Kreisligisten, wie der 21-jährige Amadou Diallo aus Guinea. Er hat inzwischen einen Ausbildungsplatz bei einem Vereinssponsor gefunden.
dpa/dtj