Panorama
Sarrazin: „Ich provoziere nicht, es fühlen sich einige provoziert“
Alter Wein in neuen Schläuchen und offenbar scheint auch der Provokationswert zurückzugehen: Das neue Sarrazin-Buch über den angeblichen „neuen Tugendterror“ lag wenige Tage vor Veröffentlichung lediglich auf Platz 36 der Amazon-Charts. (Foto: dpa)
Der Autor wird sich möglicherweise in der Kernthese seines neues Buches bestätigt fühlen: ARD-Talkerin Sandra Maischberger hat das Thema ihrer Sendung am Dienstag kurzfristig geändert und den ursprünglich eingeplanten Thilo Sarrazin wieder ausgeladen. Es sei jedoch keineswegs so, dass man etwas gegen Sarrazin oder dessen neues Buch über den „Tugendterror“ habe, versichert der stellvertretende WDR-Unternehmenssprecher Birand Bingül am Montag in Köln. Vielmehr seien sämtliche Gäste wieder ausgeladen worden, nicht nur Sarrazin. Grund dafür sei einzig und allein der Themenwechsel.
So etwas sei bei aktuellen Talkshows wie „Menschen bei Maischberger“ völlig normal. Wenn das ursprünglich geplante Thema doch noch mal aufgegriffen werden sollte, werde man auch Sarrazin wieder einladen. Das ursprüngliche Thema hieß „Sind alle Menschen gleich?“. Ganz auf Stammtischparolen muss das Fernsehpublikum aber dann doch nicht verzichten, immerhin lautet jetzt das Thema nun „Hartz IV für alle: Sind wir das Sozialamt Europas?“ (ARD, Dienstag 22.45 Uhr).
Der frühere SPD-Politiker und umstrittene Bestsellerautor Thilo Sarrazin sieht sich selbst nicht als Provokateur. „Ich provoziere ja nicht, sondern es fühlen sich einige provoziert“, sagte Sarrazin am Montag in Berlin bei der Vorstellung seines neuen Buches „Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“. Letztlich ergebe sich aber eine Diskussion, und das sei immer produktiv.
Trotz Endes der Meinungsfreiheit in 100 000er-Auflage gedruckt
Besonders wegen seiner islamkritischen Thesen und seiner von Kritikern in der Nähe der „Eugenik“-Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts angesiedelten Exkurse zur Vererbung von Intelligenz war Sarrazin in den vergangenen Jahren scharf kritisiert worden. In seinem neuen Buch kritisiert er ein vermeintliches links-liberales Gutmenschentum, das auf moralisch korrekte Gesinnung anstatt auf Fakten setze und einem „Gleichheitswahn“ anhänge.
Der 69-Jährige betonte, er bleibe weiterhin in der SPD – in der Partei fühle er sich zu Hause. „Lesen Sie das Godesberger Programm. Es gibt keinen Satz, außer vielleicht zum Atom, den ich nicht unterschreiben würde.“ Die SPD hatte in der Debatte um das erste Buch „Deutschland schafft sich ab“ zaghaft versucht, Sarrazin aus der Partei auszuschließen.
Klaus J. Bade hat im Migazin der Neuerscheinung eine ausführliche, kritische Rezension gewidmet und kommt zu dem Ergebnis: „Der Verlag machte vorab in einem PR-Stakkato manieristisch Reklame mit Reklame und teilte dem Leser ‚top-aktuell‘ mit: ‚Das Buchereignis – Startauflage 100 000 – Große Pressekonferenz – Talkshow-Auftritte – Großes Medienecho – Wir werben in Frankfurter Allgemeine, Die ZEIT, Die Welt, Zeit Online…‘ Merkwürdig für ein Buch, dessen rote Linie die wehleidige Klage des Autors über die Einschränkung seiner ‚Meinungsfreiheit‘ ist.“
Inhaltlich biete das Buch, so Bade, nichts wirklich Neues. Die Einwandererbevölkerung würde demnach mit ihren zwar schrumpfenden, aber relativ noch immer höher liegenden Geburtenraten, ihrem niedrigeren Qualifikationsniveau und ihrer niedrigeren Bildungsleistung die autochthone deutsche Bevölkerung eines Tages demografisch überrunden und in diesem Zusammenhang auch das durchschnittliche Intelligenzlevel in Deutschland nach unten drücken.
„Integration“ als Wundertüte für Social Engineering
Der kulturelle und religiöse Hintergrund des Islams hindere, so Sarrazin, den Bildungserfolg, den wirtschaftlichen Erfolg und die soziale Entwicklung der islamischen Länder und durch die Einwanderung aus islamisch geprägten Ländern würden diese Probleme sich auch in Deutschland ausbreiten.
Der „Tugendterror“ und das Social Engineering, welches seitens der politischen Linken gegen all jene geprobt würde, die diese Entwicklung bemängelten, würden den Niedergang des Landes beschleunigen.
Die Antwort auf das Problem sieht Sarrazin offenbar jedoch nicht in einem Verzicht auf solches, sondern in einem „Tugendterror“ und Gleichmacherei durch Social Engineering, nur nach anderen Vorgaben. Das Gemeinwesen, das Sarrazin vorschwebt, wäre unter anderem von Maßregelungsdrang gegenüber „Kopftuchmädchen“ und der Auferlegung einer permanenten Rechtfertigungspflicht gegenüber Einwanderern gekennzeichnet, die stetig nachzuweisen hätten, in welchem Ausmaß sie bereits „integriert“ seien – wobei der Inhalt und das rechte Maß der „Integration“ von der selbsternannten „Leitkultur“-Elite rund um Sarrazin täglich nach Lust und Laune neu definiert werden könnten.
You must be logged in to post a comment Login