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Gesellschaft

„Vermutlich aß er zum ersten Mal in seinem Leben Schokolade“

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Das Opferfest 2015 ist vorbei. Unser Autor reiste nach Daressalam, um den Bedürftigen dort Spenden zu übergeben. Das, was er dort gesehen hat, rührte ihn zu Tränen.

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„Bayramınız mübarek olsun!“, höre ich im Anschluss an das Gebet zum diesjährigen Opferfest, das vor knapp zwei Wochen stattfand. Mit diesem Satz wünschen sich türkische Muslime gegenseitig ein frohes Fest. Aber einen Moment mal! Mir fällt ein, dass ich gar nicht in der Türkei bin. Dort wäre es ja nichts besonderes, diesen türkischen Satz zu hören. Ich bin mitten in Afrika, genauer gesagt in Daressalam in Tansania.

Ich stehe auf, schaue mich um. Die meisten sind dunkelhäutig. Aber warum dieser türkische Satz? Nach und nach laufen junge afrikanische Männer auf mich zu. Alle gratulieren mir mit „Bayramınız mübarek olsun!“. So beispielsweise Ibrahim: Er ist 16 Jahre alt und besucht die Feza Boys School in Daressalam. Eine Schule, die dort von türkischen Unternehmern Mitte der 1990er gegründet worden ist. Es handelt sich dabei um eine Privatschule und wird von vielen Tansanianern besucht. Ein Teil der Schulgänger stammt aus wohlhabenden Familien aus Daressalam. Aber auch Schüler aus ärmeren Stadtvierteln können die Schule besuchen. Dafür müssen sie sich bewerben und ein Auswahlverfahren durchlaufen. Diejenigen, die aufgenommen werden, bekommen ein Stipendium, brauchen also keine Schulgebühren zu zahlen. Viele der Schüler sind so erfolgreich, dass sie landesweit und sogar international Schülerwettbewerbe gewinnen.

Die Lehrer kommen größtenteils aus der Türkei, aber in letzter Zeit werden auch immer häufiger tansanianische Lehrer aufgenommen. Ein gutes Beispiel ist der aktuelle Schulleiter der Feza Boys School. Er ist hier zur Schule gegangen, hat anschließend studiert. Er liebt die Türkei, bezeichnet sich selbst als ‚Çorumlu‘, hat eine Türkin geheiratet: „Seitdem bin ich aber Giresunlu“, sagt er lachend. Seine ehemaligen Lehrer sind nun seine Mitarbeiter. Das sei aber auf dieser Schule kein Problem. Jeder sei hier gleichgestellt.

„Ich gehe auf die ‚Shule’“

Auf dieser Schule lernen alle Türkisch. Und zwar so gut, dass ich als türkischer Journalist diese Leute für ihr gutes Ausdrucksvermögen beneide. Dann muss ich auch an die vielen Türken in Deutschland denken. Viele können immer noch kein (gutes) Deutsch sprechen und das, obwohl sie (lange) in diesem Land leben. Die Schüler der Feza School jedoch beherrschen die türkische Sprache so gut, dass man denken könnte, sie hätten lange Jahre in der Türkei gelebt. Aber nein, sie waren, wenn überhaupt, mal auf Studienreise in der Türkei. Übrigens: Viele Tansanianer können auch ein paar Worte Deutsch, einige Institutionen tragen sogar deutsche Namen. So haben viele Schulen den Zusatz „Shule“. Zwar nicht ganz korrekt geschrieben, aber die Spuren der deutschen Kolonialisten sind nach wie vor erkennbar. Doch dies war damals nicht das Hauptziel der Deutschen. Ja, die Landessprache, Suaheli, wurde von den Deutschen sogar gefördert.

Fleisch verteilen mit System

Heute ist auf dem Schulgelände, ebenso wie vor der Schule, sehr viel los. Die Schule unterstützt Hilfsorganisationen aus aller Welt, damit diese an einem vorgesehenen Ort Tiere schlachten und an die Bedürftigen von Daressalam verteilen können. Die Bevölkerung weiß das, deshalb warten viele Menschen stundenlang vor der Schule. Hierfür wurde ein System entwickelt. Ein System, welches dafür sorgen soll, dass möglichst viele etwas abbekommen. „Wir haben nun jahrelange Erfahrungen gesammelt. Einmal sind wir mit einem Lastwagen voller Fleisch in ein Viertel gefahren. Dort wollten wir das Fleisch an Bedürftige verteilen“, sagt der 30-jährige Halil, der vor Ort bei der Organisation mitwirkt. Der Versuch sei allerdings in einer Katastrophe geendet: „Wir konnten die Menschen nicht dazu bringen, eine vernünftige Reihe zu bilden. Wir hatten für alle genug da, aber das wollte keiner verstehen.“ Er vermutet, dass damals viele Familien ohne Fleisch ausgegangen sind, andere dafür mit sehr viel. Dies sei einfach ungerecht und man habe deshalb ein System entwickelt. „Wir gehen einige Wochen vor dem Opferfest in die Viertel und reden mit den Kleinverwaltern dort. Diese nennen uns die bedürftigsten Familien.“ Diese Menschen bekommen dann ein Coupon, mit dem sie am Opferfest zu einem vorgesehenen Ort gehen und ihr Fleisch abholen können. Mit diesem System gäbe es bislang gar keine Probleme.

40.000 Familien bekommen Fleisch von türkischen Ehrenamtlern

Vorher wird aber geopfert. Die Spenden kommen aus aller Welt. Jede Schlachtung wird per Video aufgenommen und den Spendern als Beweismittel für ihre Durchführung vorgelegt. Für die Schlachtung befinden sich vor Ort professionelle Metzger. Nach islamischen Methoden erfolgt sie dann ganz schnell. Mitarbeiter der Schule helfen dann bei der Zerstückelung des Fleischs. Damit gehen dann Freiwillige in die vorgesehenen Viertel und verteilen es an die Familien mit Coupon. Insgesamt 40.000 Familien sollen in diesem Jahr nach diesem System versorgt worden sein. Das Ganze wird ermöglicht durch Menschen, die ihr Geld an verschiedene Hilfsorganisationen spenden, damit diese dann die Gelder in Form einer Schlachtung an die Bedürftigen übergeben.

Für jeden Muslim, der seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und darüber hinaus noch Geld zur Verfügung hat, ist das Schlachten eines Tieres Pflicht. Die Kosten hierfür sind unterschiedlich. In Deutschland kostet ein Rind beispielsweise knapp über 1.300 Euro. Das wäre für einen Otto-Normal-Bürger natürlich schwer machbar. Solch teuren Tiere können sich dann aber bis zu sieben Menschen teilen. So zahlt jeder nur knapp 190 Euro. Oder man schlachtet ein Schaf für knapp 200 Euro. In der Türkei sind die Kosten für die Tiere noch höher, in Tansania wiederum kostet ein Schaf nur 120 Euro.

„Ich möchte kein Bonbon, sondern Mutterliebe“

Viele Menschen wollen auch mehr als nur die Pflicht erfüllen und spenden mehr Geld. Mit diesen Geldern gehen die Hilfsorganisationen vor Ort anders vor. Anstatt diese „freiwilligen Spenden“ sofort einzulösen, verteilen sie diese auf das Jahr. In Daressalam versuchen sie zum Beispiel jeden Monat einem Waisenhaus damit zu helfen. Kinder aus den Waisenhäusern werden abgeholt und man organisiert für sie ein Essen. Hierbei kommt das Fleisch dann aus den „freiwilligen Spenden“.

Für Waisenkinder in Tansania ist das in der Tat eine große Sache. Sie bekommen zwar in den Waisenhäusern täglich Mahlzeiten, aber unter sehr unhygienischen Bedingungen. Mich hat es sehr berührt, als ich beim Besuch eines Waisenhauses die Kinder während der Mahlzeit gesehen habe. Mit tränenden Augen saßen sie auf dem Boden mit ihrem Teller in der Hand. Nach ihrem Essen verteilten wir Spenden aus Deutschland, vor allem Kleidung und Süßigkeiten. Nachdem zwei Kinder neue Kleidung bekamen, stand ein weiterer ungefähr vierjähriger Junge auf und zog sein Hemd aus. Sagen wollte er uns: „Gebt mir auch was!“ Einem weiteren Jungen musste ich zur Hilfe eilen, als er eine Schokoladenpraline fast mit ihrer ganzen Verpackung verschluckt hätte. Vermutlich aß er zum ersten Mal in seinem Leben Schokolade.

Mich persönlich hatte aber ein anderer dreijähriger Junge zu Tränen gerührt. Wir wollten gerade gehen. Er hielt sich am Rock einer der Hilfsarbeiterinnen fest, zog sie und kam mit zu unserem Bus. Dort bekam er neue Kleidung. Er freute sich. Es war aber nun an der Zeit für ihn zu gehen. Doch er wollte nicht. Er hielt sich an jedem Gegenstand, den er im Bus finden konnte, fest. Wir gaben ihm Schokolade, Bonbons. Alles war ihm egal. Er schrie. Er wollte bleiben. Leider konnten wir ihn nicht mitnehmen. Er musste zurück ins Waisenhaus gebracht werden. Das hat in unserem Bus lange für Funkstille gesorgt. Keiner wollte etwas sagen. Keiner konnte etwas sagen. Die Situation war so traurig.

Dies war aber kein Einzelfall. Die meisten Kinder haben Sehnsucht nach der Liebe ihrer Eltern. Einige Kinder kennen das nicht einmal. Entweder sind die Eltern gestorben oder sie sind ihnen nie begegnet. Es soll sehr viel unehelichen Geschlechtsverkehr in Tansania geben, teilt uns ein dort Ansässiger mit, viel davon unter Minderjährigen. Weil sie es dann nicht wollen oder keine finanziellen Mittel haben, lassen sie das Kind einfach auf der Straße liegen. Ihnen ist es vermutlich aber auch egal, in welchen Zuständen ihre Kinder in diesen Waisenhäusern leben. Eines der Waisenhäuser, das wir besucht hatten, stank dermaßen, dass man es keine zwei Minuten dort aushalten konnte. Dort lebten die Kinder mit Schafen in einem Haus! Wohlgemerkt: Die Schafe befinden sich nicht im Garten oder vor der Tür, sondern im Haus. Die Mitarbeiterin des Waisenhauses sagte zwar, dass die Schafe nur für ein paar Tage dort seien, aber das machte es nicht besser.

Tansania braucht ein modernes Waisenhaus. Eins, in dem sich die Kinder wohl fühlen. Dafür können wir gemeinsam sorgen. Wenn jeder ein wenig spendet, kann daraus ein Großprojekt werden.

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