Politik
Die 128 Milliarden Dollar-Frage: Erdoğan gerät immer mehr unter Druck
„Wo sind die 128 Milliarden?“ Mit Bannern und Plakaten greift die Opposition Präsident Erdoğan scharf an – und trifft damit einen Nerv. Was steckt hinter dem Vorwurf?
Alles begann Anfang April mit einigen wenigen Plakaten in Istanbul. In roten Lettern prangte auf ihnen eine Frage, die wie eine Anklage klingt: „Wo sind die 128 Milliarden Dollar?“ Adressat der etwas kryptischen Botschaft war Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Gesendet wurde sie von der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP.
Medienwirksam brachte sie den mächtigen Mann in Ankara ins Schwitzen. Denn mittlerweile ist aus den wenigen Plakaten ein Social-Media-Phänomen geworden, das bis in die analoge Welt hineinreicht. Im Netz kursieren Videos, die zeigen, wie Kräne die Banner abnehmen. Wenig später hängen sie allerdings wieder. Die CHP will damit ihren langen Atem demonstrieren.
Immense Geldsumme, wenig Nutzen
Doch was steckt hinter dem Vorwurf? 126 Milliarden Dollar verkauften türkische Staatsbanken, um der türkischen Lira auf den Devisenmärkten Auftrieb zu verleihen. Diese Scharade begann 2019 und soll 2020 mit stetig steigendem Volumen weitergeführt worden sein. Insgesamt sollen – auch wegen der Corona-Pandemie – so 128,3 Milliarden pulverisiert worden sein.
Der Nutzen der unorthodoxen Aktion ist gering. Die türkische Wirtschaft ist am Boden, die Lira schwächelt bedrohlich und das Leben in der Türkei wird immer teurer. Hinzu kommt: die Unberechenbarkeit Erdoğans. Denn mit seiner verfehlten Geldpolitik und der Entlassung des ehemaligen Notenbankchefs Naci Ağbal in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verspielte er den letzten Rest Vertrauen der Finanzexperten.
CHP im Angriffsmodus
Während er versucht, sich zu rechtfertigen, bläst die CHP zum Angriff. Die Istanbul-Vorsitzende der CHP, Canan Kaftancıoğlu, betont „Reuters“ zufolge, dass nur ein Bruchteil dieser 128 Milliarden Dollar ausgereicht hätte, das türkische Volk während des Lockdowns zu unterstützen.
Erdoğan, der sich Fragen zu den Vorgängen verbat, kritisierte sie scharf: „Sie werden uns niemals davon abhalten können, Fragen zu stellen.“ Kaftancıoğlu kündigte an, so lange Poster und Banner aufhängen zu wollen, bis der Präsident Antworten liefere.