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Politik

Erdoğans Wirtschaftsexperiment: Wie geht es weiter mit der Lira?

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Die Lira-Krise belastet die Menschen und die Wirtschaft in der Türkei schwer. Ausgerechnet der Präsident trug immer wieder mit Aussagen gegen Zinserhöhungen dazu bei. Jetzt stemmt sich die Regierung gegen den Wertverfall der Landeswährung. Das zeigt Wirkung – aber wie nachhaltig wird sie sein?

Die türkische Regierung stemmt sich gegen den drastischen Wertverfall ihrer Landeswährung Lira. Wie Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan am Montagabend nach einer Kabinettssitzung ankündigte, sollen unter anderem Ersparnisse der Bürger mit einer faktischen Staatsgarantie vor Wechselkursschwankungen geschützt werden. Die türkische Lira reagierte mit drastischen Kursgewinnen gegenüber US-Dollar und Euro, nachdem sie zuvor wochenlang einen historischen Sinkflug hingelegt hatte.

Stabilisierungspaket soll Situation beruhigen

Sollten die Verluste größer ausfallen als die von Banken versprochenen Zinsen auf die jeweiligen Einlagen, sollen die Verluste ersetzt werden, vermutlich aus Steuergeldern. „Keiner unserer Bürger muss von nun an seine Einlagen von Lira in ausländische Währungen tauschen, weil er befürchtet, dass die Wechselkursschwankungen Gewinne aus Zinszahlungen zunichte machen könnten“, erklärte Erdoğan.

Am Dienstag verkündete das Finanzministerium Details zu dem Stabilisierungspaket. Demnach gilt die Verlustabsicherung gegen Wechselkursschwankungen für Einzelpersonen, die Lira-Einlagen mit einer Laufzeit von drei, sechs, neun oder zwölf Monaten halten. Darüber hinaus hatte Erdoğan weitere Schritte angekündigt.

Dramatische Szenen am türkischen Finanzmarkt

Unter anderem will die Regierung den Exportunternehmen helfen, sich gegen hohe Wechselkursrisiken abzusichern. Die Türkei habe weder die Absicht noch das Bedürfnis, „sich auch nur den geringsten Schritt“ von der freien Marktwirtschaft und dem aktuellen Devisenregime zu entfernen, sagte Erdoğan.

Zuvor hatte es unter Analysten Überlegungen gegeben, dass die Türkei schlimmstenfalls Kapitalverkehrskontrollen zur Abwehr der drastischen Lira-Verluste einführen müsse. In den Stunden vor Erdoğans Ankündigung war es den zweiten Handelstag in Folge zu dramatischen Szenen an den türkischen Finanzmärkten gekommen.

18 Lira für einen Dollar

Ein Dollar war erstmals um die 18 Lira wert, der Euro war auf knapp 20 Lira gestiegen. Am Dienstag kostete ein Dollar dagegen nur noch 13,3 Lira, für einen Euro mussten etwas weniger als 15 Lira gezahlt werden. Auch die türkische Börse hatte zuletzt stark unter der Lira-Abwertung gelitten und war mehrfach so stark eingebrochen, dass der Handel ausgesetzt werden musste.

Bis zu Erdoğans Rettungspaket hatte die Lira im laufenden Jahr deutlich mehr als die Hälfte ihres Werts eingebüßt. Als Hauptproblem der Lira gilt der rapide Glaubwürdigkeitsverlust der türkischen Notenbank. Die Zentralbank befindet sich seit Spätsommer ungeachtet einer hohen Inflation von zuletzt gut 21 Prozent auf striktem Zinssenkungskurs.

Druck auf die Notenbank

Durch die Kursverluste der Lira wird die Teuerung aber nur noch weiter angefacht – ein Teufelskreis. Präsident Erdoğan übt fortlaufend Druck auf die Notenbank aus, um die Zinsen weiter zu senken. Er hat bereits mehrfach ranghohe Notenbanker entlassen, die sich seinem Kurs widersetzt haben.

Hintergrund der Problematik ist Erdoğans Bestreben, das Wirtschaftsmodell der Türkei umzubauen. Ziel ist offenbar eine stark exportorientierte Wirtschaft mit eher niedrigen Löhnen und einem niedrigen Wechselkurs. Beides würde türkische Waren für ausländische Käufer preislich attraktiv machen.

Bleibt der Effekt nachhaltig?

Die Zinsen im Land sollen ebenfalls niedrig gehalten werden, weil sie in den Augen Erdoğans nicht nur eine Wachstumsbremse darstellen, sondern auch – und entgegen dem ökonomischen Konsens – als Inflationsbeschleuniger wirken. Da das Regierungspaket einer staatlichen Einlagengarantie nahe kommt, hat der Schritt zunächst einschlagende Wirkung erzielt.

Die Frage ist, ob der Effekt nachhaltig ist. Denn an den grundlegenden Problemen der Türkei, einer hohen Inflation bei fallenden Zinsen, ändert der Schritt zunächst nichts. „Das Experiment bleibt spannend, Erdoğan hat bereits weitere Zinssenkungen eingefordert“, kommentierten Analysten der Dekabank.

Hinzu kommt, dass das Paket die Wechselkursrisiken zwar dem Privatsektor nimmt, sie aber im Gegenzug dem Staat aufbürdet. Im Extremfall könnte das Paket für die Türkei also sehr teuer werden.

dpa/dtj

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