Türkei-Wahlen 2023: AKP nach 21 Jahren an der Macht auf dem Weg in die „alte Türkei“
Als Newcomer an die Macht gekommen und nie wieder abgegeben. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zieht mit seiner AKP erneut in den Wahlkampf. Kein anderer Politiker hat die moderne Republik so stark geprägt wie er. Doch seine Umfragewerte sinken. Deshalb erweitert die AKP ihr Bündnis und ist dennoch siegessicher. Nur ein Gedicht war ausschlaggebend für die Verhaftung von Recep Tayyip Erdoğan. „Die alte Türkei“, von der Präsident Erdoğan immer wieder spricht, war machiavellistisch. Das Militär war der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft auf den Fersen. Besonders das religiös-konservative Milieu sollte möglichst kontrolliert werden. Die Konservativen würden diese Bestrebungen wohl eher als Unterdrückung bezeichnen. Weil in dem besagten Gedicht von den Minaretten als Bajonette und den Kuppeln als Haube gesprochen wird, wurde der Gründer der AKP als Volksverhetzer hinter Gittern gesteckt. Gülen-Bewegung einst stärkste Befürworterin der AKP Dieses Unrecht war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die konservative Mehrheit wählte den zu unrecht verhafteten Senkrechtstarter, sah in ihm den Hoffnungsträger für eine „neue Türkei“. Trotz vieler Hürden wie einem Parteiverbotsverfahren sowie der ständigen Androhung eines Putsches durch das Militär, konnten Erdoğan und seine AKP bestehen. Wohl auch, weil die Gülen-Bewegung – für viele Beobachter einstiger strategischer Partner der AKP, jedoch heutiger Erzfeind – die bürokratische Hand der AKP personell stärkte. Die für die Bildungsarbeit bekannte islamische Gruppierung lieferte junge Akademiker, die durch die AKP lukrativ platziert wurden. Doch noch wichtiger war dabei, dass Erdoğan nach und nach die zentralen Leitpositionen durch seine eigenen Leute besetzte und so die Kontrolle zunehmend an sich riss. Wer soll noch gegen Erdoğan stehen? Aus der Perspektive der AKP-Gegner haben sich die Wege Erdoğans und der Gülen-Bewegung entzweit, als es um die Frage nach der Teilung der Macht ging. Die Gülen-Bewegung sieht sich aber als das Opfer in diesem Gefüge. Sie habe geglaubt, dass die AKP die ernsthafte Absicht verfolge, die Türkei im Sinne der Europäischen Union zu demokratisieren. Diese Richtung hatte die AKP auch eingeschlagen, so auch die EU größtenteils von ihrer politischen Linie überzeugt. Schließlich fiel immer mehr Beamten auf, dass die Regierung um Erdoğan und ihre Vetter sich im Übermaß bereicherten. Daneben traten ihre kriminelle Machenschaften zu Tage. Zum Teil waren diese so gefährlich, dass sie das Wohl der gesamten Nation hätten riskieren können. Als logische Konsequenz leiteten die Sicherheitsbehörden und der Justizapparat Ermittlungen ein, die schließlich bis an Erdoğan selbst reichten. Korruptionsskandal 2013 rückt Erdoğan ins schlechte Licht Als im Winter 2013 in diesem Zuge bekannt wurde, dass die AKP das internationale Embargo gegen den Iran umging und dadurch Politiker wie Erdoğan selbst und mehrere seiner damaligen Minister zu Oligarchen wurden, schien der Glanz der „neuen Türkei“ zu schwinden. In Erinnerung bleibt, wie Erdoğans Sohn Bilal in einem Telefonat mit dem heutigen Präsidenten spricht: „Papa, ich habe fast das gesamte Geld aus dem Haus geschafft. Es sind nur noch ca. 20 Millionen übrig. Die kriegen wir auch noch weg“. Die türkische Öffentlichkeit fiel in Schockstarre. Von Erdoğan war zunächst nichts zu hören. Doch dann schlug der damalige Ministerpräsident zurück. Nahezu alle Staatsbediensteten, die an den Ermittlungen und Enthüllungen beteiligt waren oder im Verdacht standen, nicht auf Linie zu sein, wurden versetzt, suspendiert oder gar inhaftiert. Neben der Bürokratie wurde auch das Kabinett umgebaut. Fortan musste sich die AKP neu formieren, da sie aus der Not heraus erstmals in unheilige Koalitionen eintreten musste. Perinçek und Erdoğan: Ein unheiliges Bündnis Zunächst ging es um einen Pakt mit Doğu Perinçek und seiner Vatan-Partei. Motiviert durch das gemeinsame Ziel „Fethullah Gülen und dessen Gülen-Bewegung“, wurden aus einstigen Feinden Verbündete. Schließlich war es einst Erdoğan selbst, der sich zum „Oberstaatsanwalt“ der „Ergenekon-Prozesse“ erklärt und den damaligen Staatsanwalt Zekeriya Öz öffentlich gelobt hatte. Der damals wegen anti-demokratischer Bestrebungen inhaftierte Perinçek kam 2014 frei, seine Mitstreiter wurden rehabilitiert. Insbesondere im Militär wurden sie wieder prominent eingesetzt. Im Gegenzug wurde die These der AKP, die Korruptionsermittlungen gegen die Regierung seien durch die Gülenisten erfunden und forciert, die Telefonmitschnitte fingiert worden, unterstützt. Erstmals sprach Erdoğan von einem Putsch gegen ihn und seine Partei. Man wolle die „alte Türkei“ heraufbeschwören und dafür die AKP aufhalten. Die „alte Türkei“ ist Erdoğans „neue Türkei“ Nachdem die Gülenisten durch dieses Bündnis politisch und gesellschaftlich isoliert wurden und ins Abseits gerieten, ging es zunehmend um die pro-kurdischen Kräfte im Lande. Die Wahlergebnisse der HDP im Jahr 2015 und der Zuspruch für den heute noch immer inhaftierten Selahattin Demirtaş führten zu herben Niederlagen für die ultranationalistische MHP. Als auch die Werte der AKP zu sinken begannen, wurde die unheilige Allianz zwischen Erdoğan und Perinçek um Devlet Bahçeli und seine MHP erweitert. Heute bildet die MHP mit der AKP das Cumhur-Bündnis. Mit diesem Grundgerüst zieht die AKP auch in die bevorstehende Wahlen. Neue Bündnisse, neue Gesichter: Quo vadis AKP? Um die Wahlen zu gewinnen, benötigt das Cumhur-Bündnis aber kräftige Unterstützung. Allein kommt es womöglich kaum auf die Hälfte der Stimmen. Deshalb streckt die AKP ihre Hände in neue Richtungen aus. Dabei geht sie sogar so weit, dass sie die Hisbollah-nahe Hüda-Par umgarnt. Die als islamistisch einzustufende Partei widerspricht dieser vermeintlichen Nähe zwar. Dennoch scheint auch sie mittlerweile Teil des Bündnisses zu sein. Losgelöst von dieser Problematik ist die Hüda-Par eine kurdische Partei, die ein grundlegendes Problem mit dem laizistischen Prinzip der türkischen Republik hat. Hüda-Par: „Verfassung ist bindend“ Im Interview mit Ahmet Hakan, einem der bekanntesten pro-AKP Moderatoren der Türkei, gibt sich Hüda-Par-Vorsitzender Zekeriya Yapıcıoğlu verfassungstreu. Doch in seinen Erklärungen sickert die klare Ideologie seiner Partei durch. Alle Belange betrachtet die Hüda-Par klassisch aus der Brille des Islam. So zieht er auf die Frage, wie er zu den Ermordungen durch die Hisbollah in den 90er Jahren stehe, einen Vers aus dem Koran heran. „Im Koran heißt es, wer einen unschuldigen Menschen tötet, gehört in die Hölle“, so Yapıcıoğlu. Auf die Rückfrage eines Journalisten in der Sendung von Ahmet Hakan, was denn „unschuldig“ bedeute und wie in einem laizistischen Rechtsstaat entschieden werden solle, ob jemand „schuldig“ oder „unschuldig“ ist, antwortet Yapıcıoğlu, dass er Koran-treu sei und hier nichts hinzufügen oder wegdenken könne, da es sich … Türkei-Wahlen 2023: AKP nach 21 Jahren an der Macht auf dem Weg in die „alte Türkei“ weiterlesen
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