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Politik

Yeneroğlu: Vom loyalen Diener zum unerwünschten Kritiker

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Mustafa Yeneroğlu tritt auf Wunsch Erdoğans aus AKP aus
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Mustafa Yeneroğlu ist in Deutschland durch seine TV-Auftritte bei Anne Will und Maybritt Illner bekannt. Dort kämpft er meist alleine gegen Türkei-Kritiker. Der ehemalige Milli Görüş Deutschland-Generalsekretär wird in Deutschland zwar als loyaler Diener Erdoğans betrachtet. Doch tatsächlich ist er in der Türkei für seine spitzen Reaktionen auf Mängel im türkischen Rechtssystem bekannt. Jetzt tritt er zurück − wegen seiner offenen Kritik. Ein Portrait.

Der in Deutschland aufgewachsene Politiker Mustafa Yeneroğlu ist am Mittwoch aus der Regierungspartei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ausgetreten. Zu den Gründen sagte Yeneroğlu, er habe es nicht mit seinen Prinzipien vereinbaren können, in manchen Angelegenheiten zu schweigen.

Er galt als einer der engsten Gefährten des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Schon seit ihrer Kindheit sollen sich die beiden kennen. Yeneroğlu war 2011 bis 2014 stellvertretender Generalsekretär und anschließend bis Mitte 2015 auch Generalsekretär der Islam-Bewegung Milli Görüş (İGMG). In Deutschland kennt man Yeneroğlu durch seine Auftritte in unterschiedlichen Talkshows, u.a. bei Anne Will und Maybritt Illner. Dort kämpft Yeneroğlu oftmals alleine gegen Türkei-Kritiker und Politiker aus dem linken Spektrum. Die Türkei werde in den türkischen Medien oftmals falsch dargestellt, ist der in Deutschland aufgewachsene Politiker überzeugt. Im Sommer 2015 trat Yeneroğlu dann bei den türkischen Parlamentswahlen für die regierende AKP an und wurde Abgeordneter in Vertretung für den dritten Istanbuler Bezirk. Auch bei den Neuwahlen am 1. November 2015 wurde er wiedergewählt. Seit 2018 ist er sogar Mitglied des AKP-Parteivorstands.

„Ich habe ein Angebot von der AKP bekommen, nicht von der CDU“

Nach seiner Wahl leitete Yeneroğlu zeitweise auch die parlamentarische Menschenrechtskommission. In einem Interview antwortete der Politiker auf die Frage, warum er sich für „die konservative AKP entschieden [hat] und nicht für die konservative CDU“ folgendermaßen: „Wenn die CDU mich mit meinem Selbstverständnis respektiert hätte, wäre das sicher eine Option gewesen. Es war aber die AKP, die Bedarf gesehen und mir das Angebot gemacht hat. Und das sagt dann auch etwas über die jeweiligen Verhältnisse und Möglichkeiten aus.“ Yeneroğlu bezeichnet sich selber als „Otto-Normal-Verbraucher“, der einen ganz gewöhnlichen Karriereweg beschritten habe: „Schauen Sie: Die absolute Mehrheit der Türkeistämmigen sind Muslime, Muslime wie ich. Ich bin ein klassisches Gastarbeiterkind. Meine Biografie weist keinerlei Besonderheiten auf. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe studiert, zahle Steuern, gehe in die Moschee, habe mir noch nie etwas zu Schulden kommen lassen, bin Familienvater und Bayern München-Fan gemeinsam mit meinem Sohn. Ich bin der klassische Otto-Normal-Verbraucher.“ Dennoch werde aus seiner Mitgliedschaft bei der IGMG „ein Strick gemacht“.

Yeneroğlu für scharfe Zunge bekannt

Wer aus diesen Äußerungen den Schluss zieht, dass Mustafa Yeneroğlu sich hinter einer Opferrolle versteckt, der irrt sich gewaltig. Denn Yeneroğlu ist ein Politiker, der offen sagt, was er denkt. Und das in der Türkei, in der die Meinungsfreiheit derzeit als ein Luxusgut gilt. Der Politiker fiel zum ersten Mal mit einer kritischen Stimme auf, als er auf Twitter einen Beitrag über eine Schülerin schrieb, die in einem Live-Interview gesagt hatte, dass sie aus der Türkei auswandern und studieren wolle. Yeneroğlu übte nach der Aussage der Schülerin Selbstreflexion. „Wenn unser Kind, das mit Hoffnung auf die Welt schaut, in Deutschland studieren und deutsche Staatsbürgerin sein will, dann müssen erstmal wir Politiker uns zusammenreißen und tief nachdenken.“

Erdoğan kritisierte Yeneroğlu indirekt

Für viele war dieser Kommentar in der Türkei nicht denkbar. Er kritisierte damit offen die Lage in der Türkei. Doch damit nahm seine Kritik kein Ende. Vor allem seine Reaktion nach der Entscheidung des hohen türkischen Wahlrats, die Bürgermeisterwahlen in Istanbul zu annullieren, empörte viele seine Parteikollegen und war überraschend. In einem Tweet warnte der Politiker vor den Gefahren der Abkehr vom Rechtsstaat. Daraufhin schrieb eine bekannte türkische Journalistin sogar, dass der Politiker zurücktreten werde. In einem Gespräch, das Yeneroğlu als unter drei [Anm. d. Red.: nur als Hintergrundinformation verwertbar] gesehen hatte, soll er gesagt haben, dass er all seine Bedenken immer mit dem Staatspräsidenten Erdoğan geteilt hätte und die Gesellschaft sich immer weiter spalte. „Ich möchte, dass auch jeder Mensch, der nicht so denkt, lebt und guckt, wie ich, Ruhe hat. Ich handle mit niemandem gemeinsam. Ich will in die Augen meiner Kinder schauen können.“ Nach der Veröffentlichung der Kolumne, in der diese Zitate des Politikers zu lesen waren, gab es erneut Gerüchte über einen Rücktritt von Yeneroğlu. Erdoğan hatte sich zu dieser Kritik persönlich geäußert. Er verstehe nicht, wie seine Freunde in der Partei und sogar dem Parteivorstand solche Tweets absetzen könnten. „Wenn sie so denken, können sie auch zurücktreten“, soll der Staatspräsident gesagt haben.

Doch Yeneroğlu, der in der Türkei geboren wurde und als Einjähriger nach Deutschland kam, blieb. Und auch danach hat er sich regelmäßig öffentlich zu Wort gemeldet, um bestimmte Verhältnisse im Land anzuprangern. So nahm er zuletzt erneut seine Partei in die Pflicht: „Ich suche das Wesen der AKP. In der Politik muss es eine Kultur der Selbstkritik geben. Die AKP muss sich fragen, wo sie Fehler macht“, so der Politiker in einem TV-Interview Ende September. Darin kritisierte der 44-Jährige willkürliche Verhaftungen im Rahmen des Putschversuchs von 2016: „Es ist ein Widerspruch zu den Grundwerten des Rechtsstaats, Menschen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu beschuldigen und zu verurteilen, die eine Sympathie für die Lehren von Fethullah Gülen haben, seine Lesekreise besucht haben, Mitglied einer Gewerkschaft sind oder Geld auf eine Bank eingezahlt haben. Ich glaube, dass diese Anschuldigungen vom Verfassungsgericht oder spätestens vom Europäischen Gericht für Menschenrechte zurückgewiesen werden. Das wird der Regierung schaden.“

Kritik führt zu Rausschmiss

Diese Worte sind ihm nun teuer zu stehen gekommen. In einer Pressekonferenz erklärte der Politiker die Gründe für seinen Rücktritt. In den letzten zwei, drei Jahren habe er vermehrt Kritik wegen Menschenrechtsverstößen oder einer «Schädigung von demokratischen Institutionen» geäußert, so Yeneroğlu. Zuletzt habe er keine Hoffnung mehr gehabt, dass seine Kritik auch gehört werde.

Mit Material von dpa