Grüne in Berlin wollen Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst abschaffen

Symbolfoto: Eine Lehrerin schreibt Sätze auf die Tafel. Foto: dpa
Die Berliner Grünen wollen das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst abschaffen – auch für Richterinnen, Polizistinnen und Justizvollzugsbeamtinnen. Ziel ist mehr Teilhabe für muslimische Frauen. Das Neutralitätsgesetz steht damit erneut auf dem Prüfstand.
Die Fraktion der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus will muslimischen Frauen den Schritt in den öffentlichen Dienst erleichtern. Mithilfe des Bundesverfassungsgerichts war es bereits mehreren Lehrerinnen gelungen, sich ihr Recht auf Kopftuch im Unterricht zu erstreiten. Auch in Kindergärten hat der Fachkräftemangel vielfach schon vollendete Tatsachen und pragmatische Akzeptanz für verschleierte Frauen geschaffen.
Nach dem Willen der Abgeordneten Tuba Bozkurt sollen jene Frauen künftig jedoch auch in einem weiteren Bereich vor Benachteiligungen geschützt sein. Sie sollen auch bei einer Tätigkeit als Beamtinnen im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei keinen Restriktionen mehr unterliegen.
Tuba Bozkurt: „Falsches Signal in Zeiten des Fachkräftemangels“
Diese Personengruppen sind die einzigen, für die das Verbot des Tragens von „sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbolen“ oder „auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen“ noch uneingeschränkt gilt. Zumindest, soweit sie eine hoheitliche Tätigkeit ausüben. Dies bestimmt das seit 2005 in Berlin geltende „Neutralitätsgesetz“.
Bozkurt betont, die Regelung benachteilige in unzumutbarer Weise Frauen, die sich für das Kopftuch entschieden hätten. Es behindere deren Zugang zum öffentlichen Dienst und mache dies teilweise unmöglich. Die Grünen-Abgeordnete sprach von einem „faktischen Berufsverbot“. Ein solches sei weder zeitgemäß noch werde es dem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel gerecht. Gegenüber dem „Tagesspiegel“ kritisiert Bozkurt: „Hoch qualifizierte Frauen dürfen ihren Beruf nicht ausüben, weil sie ein Kopftuch tragen. Das ist ein Problem.“
Kopftuchverbot schrittweise durch Bundesverfassungsgericht zurückgedrängt
Das Neutralitätsgesetz war geschaffen worden, nachdem die muslimische Lehrerin Fereshta Ludin gegen ihre Suspendierung vom baden-württembergischen Schuldienst geklagt hatte. Diese war erfolgt, weil – so die Begründung – das Tragen des Kopftuchs gegen die staatliche Neutralitätspflicht verstoße.
Das Bundesverfassungsgericht hielt diese Ansicht in seinem Urteil von 2003 nicht explizit für verfassungswidrig. Allerdings bedürften Kopftuchverbote einer gesetzlichen Grundlage, weil sie andernfalls die Religionsfreiheit nach Art. 4 Grundgesetz in unverhältnismäßiger Weise einschränkten. Berlin und einige weitere Bundesländer verabschiedeten daraufhin Gesetze, die sich gegen religiöse Symbole im öffentlichen Dienst richteten.
In den Jahren 2015 und 2020 erklärte das Karlsruher Höchstgericht jedoch auch pauschale Kopftuchverbote für eine Lehrerin und eine Schulsozialarbeiterin in NRW sowie eine Rechtsreferendarin in Hessen für verfassungswidrig. Verbote dieser Art seien den Urteilen zufolge nur dann zulässig, wenn eine konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität und den Schulfrieden bestehe.
Neutralitätsgesetz: CDU und SPD kündigen „rechtssichere Anpassung“ an
Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert ein Kopftuchverbot lediglich in Einzelfällen und bei nachweisbarer Störung – etwa einer Beeinträchtigung des Unterrichts. Bei Auszubildenden im öffentlichen Dienst gab Karlsruhe zu bedenken, dass diese nicht die gleiche Repräsentationsfunktion wie verbeamtete Richterinnen hätten.
Auch hier müsse, um ein Kopftuchverbot rechtfertigen zu können, in jedem Fall eine konkrete Gefahr für die Neutralität oder eine Einschränkung des Vertrauens in die Justiz bestehen. Der Berliner Gesetzgeber ist nun am Zug. CDU und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, das Neutralitätsgesetz „gerichtsfest an die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ anzupassen.
Die Grünen wollen das Gesetz nun komplett abschaffen. Ob die Partei damit Erfolg haben wird, ist ungewiss. Noch vor wenigen Jahren reichte, als es um das Neutralitätsgesetz ging, eine Einheitsfront von der Linkspartei über SPD und CDU bis hin zur in Teilen rechtsextremistischen AfD. Auch die FDP zeigt sich in dieser Frage wenig liberal. Auf X äußerte ihr Parteivize Wolfgang Kubicki: „Das staatliche Gewaltmonopol sollte nicht unter dem Zeichen religiöser Symbolik durchgesetzt werden. Die Loyalität aller Polizeibeamten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung sollte so stark sein, dass sie während der Dienstzeit auf das Tragen religiöser Symbole verzichten können.“
Hidschab als Teil der Uniform in vielen Ländern längst etabliert
In Ländern wie Großbritannien, Kanada, Irland, Australien und den USA hat man mit einem Hidschab für Polizistinnen in den meisten Bundesstaaten oder Provinzen keine Probleme mehr. Mehrere Polizeibehörden ermöglichen explizit das Tragen eines in seiner Form angepassten Hidschabs, der zur Uniform passt.
Auch in Schweden und Norwegen erlaubt die Polizei muslimischen Beamtinnen, angepasste Uniformen zu tragen, die ein Kopftuch einschließen. Erlaubt und üblich ist das Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst auch in traditionell multikulturellen Ländern wie Indonesien, den Philippinen oder zumindest regional in stark muslimisch geprägten Gebieten in der Russischen Föderation oder in Israel.
Länder, die in ihrer ethnischen und religiösen Pluralität eine Chance sehen, betrachten das Kopftuch im öffentlichen Dienst als Ausdruck der Diversität und Inklusion. Andere beharren aus ideologischen Gründen auf einem Laizismus, wie er im Europa des 18. bis 20. Jahrhunderts Anklang fand.