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Cevheri Güven unter Polizeischutz: Bedrohung durch Erdoğan-nahe Netzwerke hält an

  • April 22, 2025
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Cevheri Güven unter Polizeischutz: Bedrohung durch Erdoğan-nahe Netzwerke hält an

Obwohl der türkische Investigativjournalist Cevheri Güven in Deutschland politisches Asyl genießt, darf er – wie ein Straftäter – nicht ohne elektronisches Armband außer Haus gehen. Die Maßnahme ist erforderlich, damit er über dieses im Fall einer akuten Bedrohung die Polizei verständigen kann.  

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) hat kürzlich ein aufschlussreiches Interview mit dem türkischen Investigativjournalisten Cevheri Güven veröffentlicht. In diesem schildert der Mitte der 2010er Jahre aus der Türkei geflüchtete 47-Jährige, dass er selbst im deutschen Exil nicht ohne eine Art Handfessel aus dem Haus gehen kann.

Die Polizei habe ihm das Tragen eines elektronischen Armbandes verordnet. Dieses müsse er stetig bei sich führen – aber nicht, weil ihn ein Gericht dazu verurteilt hätte, sondern weil er sich nach wie vor in permanenter Gefahr befinde. Sobald er den Eindruck habe, sich in einer akuten Bedrohungssituation zu befinden, könne er über das Armband die Sicherheitskräfte verständigen.

Cevheri Güven in der Türkei wegen Titelblatts zu langjähriger Haftstrafe verurteilt

Der aus Erzurum stammende Güven hatte an der Gazi Universität studiert und 1999 als Praktikant bei „Star Gazete“ seine journalistische Karriere begonnen. Dort wurde er später Redakteur und 2009 auch Nachrichtenchef. Zudem war er an der Gründung des Portals „Aktif Haber“ beteiligt. Im Mai 2015 übernahm Güven den Posten des Chefredakteurs der wiedergegründeten Zeitschrift „Nokta“.

Ein kritisches Titelblatt im selben Jahr brachte ihm und seinem Mitherausgeber Murat Çapan erst eine Anklage wegen „Aufrufs zum bewaffneten Aufstand gegen die Regierung“ ein. Dieses hatte eine Fotomontage von Präsident Recep Tayyip Erdoğan zum Inhalt, wie dieser ein Selfie vor dem Sarg eines türkischen Soldaten anfertigt. Damit wollte Güven seine Kritik an der Wiederaufnahme der Militäroperationen gegen die PKK durch die türkische Regierung zum Ausdruck bringen. Diese, so seine Überzeugung, habe lediglich den Zweck verfolgt, Erdoğans regierender AKP nach der Wahlniederlage vom Juni 2015 die Wiedererlangung der Mehrheit zu sichern.

„Sabah“ veröffentlichte Wohnadresse des Enthüllungsjournalisten

Nach 58 Tagen Untersuchungshaft gelang es Güven, sich ins Ausland abzusetzen. Çapan wurde beim Versuch, nach Griechenland zu gelangen, festgenommen. Beide wurden im Mai 2017 zu 22,5 Jahren Haft verurteilt.

Güven ist in Deutschland vor deren Vollstreckung sicher, vor dem langen Arm der Führung in Ankara jedoch nicht. Aufgrund seiner Enthüllungen über Verbindungen zwischen der Politik und dem Mafia-Milieu steht er auf Todeslisten türkischer Ultranationalisten. Die deutsche Ausgabe der „Sabah“ betrieb 2022 „Doxxing“ gegen ihn und veröffentlichte seine Wohnadresse. Dies führte zu einem Strafverfahren gegen zwei Redakteure der mittlerweile eingestellten Deutschland-Ausgabe.

Sabah veröffentlicht Adresse des Exil-Journalisten Cevheri Güven

Cevheri Güven lebt nun mit seiner Familie an einer neuen Adresse in Deutschland. Von dort aus betreibt er seinen türkischsprachigen YouTube-Kanal, der aufgrund der Brisanz seiner Analysen fast 720.000 Abonnenten aufweist. Zu seinen Schwerpunktthemen gehören Korruption und Vetternwirtschaft in der Türkei. Außerdem macht er Machtstrukturen in der Türkei sichtbar und analysiert politische Entwicklungen.

Türkische Medien betreiben Fake-News-Kampagne gegen Güven

Regierungsnahe Medien reagieren auf die Enthüllungen mit Fake-News-Kampagnen. So werfen sie Güven vor, bereits 2010 in die Anfertigung kompromittierender Videos gegen den damaligen Chef der Republikanischen Volkspartei (CHP), Deniz Baykal, involviert gewesen zu sein. Dies soll im Auftrag der Gülen-Bewegung geschehen sein, die von der türkischen Führung mittlerweile als „Terrororganisation FETÖ“ stigmatisiert wird.

Auch im Zusammenhang mit anzüglichen Deepfake-Aufnahmen gegen den Präsidentschaftskandidaten Muharrem Ince aus dem Jahr 2023 wurde Güvens Name genannt. Diese will die türkische Regierung ebenfalls der Gülen-Bewegung anlasten. Angeblich hätte Hizmet, so die Eigenbezeichnung der Bewegung, auf einem solchen Wege dem CHP-Kandidaten Kemal Kılıçdaroğlu helfen wollen, damit Ince ihm keine entscheidenden Stimmen wegnehme. Tatsächlich tauchten die Aufnahmen zu einem Zeitpunkt auf, da die Stimmzettel längst gedruckt waren. Ince erhielt 0,43 Prozent der Stimmen – in Umfragen zuvor war unabhängig von seinem Antritt eine klare Mehrheit für den CHP-Kandidaten prognostiziert worden.

Erst jüngst wurde eine Anklageschrift der türkischen Staatsanwaltschaft gegen angebliche Hacker veröffentlicht. Diese sollen nicht nur in die Datennetze von Geheimdienst (MIT) und Verteidigungsministerium (MSB) eingedrungen sein. Sie sollen zudem noch erbeutete Daten an Güven weitergeleitet haben – selbstredend wieder im Auftrag der „FETÖ“.

Abschied der Türkei vom Rechtsstaat „begann mit Korruptionsermittlungen 2013“

Cevheri Güven hingegen hat in mehreren Interviews betont, dass die Regierung Erdoğan vom Dezember 2013 an begonnen habe, systematisch den Rechtsstaat zu demontieren. Damals hatten Staatsanwälte Ermittlungen wegen eines Korruptionsverdachts im Umfeld der Regierung aufgenommen und dabei Razzien durchgeführt.

Die Führung unter Erdoğan trat die Flucht nach vorn an und stellte die Ermittlungen als angebliche Verschwörung eines „Parallelstaats“ dar. Die Gülen-Bewegung habe Justiz, Verwaltung und Medien unterwandert und versuche durch die Korruptionsaffäre, die Regierung zu stürzen. Tatsächlich wurde eine der Schlüsselfiguren der Korruptionsaffäre, der iranische Banker Reza Zarrab, in den USA wegen Geldwäsche, Umgehung des Iran-Embargos und Bankbetrugs angeklagt. Er habe, so heißt es in der Anklageschrift, im Wissen der türkischen Regierung gehandelt.

Das Verfahren der Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen die „Sabah“-Redakteure, die Cevheri Güven gedoxxt hatten, ist noch nicht abgeschlossen. Güven selbst steht unter Polizeischutz. Auf Intervention der türkischen Regierung soll YouTube die Reichweite seines Kanals gedrosselt haben. YouTube bestätigte ihm eine Änderung des Algorithmus. Im Jahr 2017 hat Güven zusammen mit anderen türkischen Exil-Journalisten den Verein „International Journalist Association“ (IJA) gegründet. Dieser will nun Exil-Journalisten die Fortführung ihrer Arbeit ermöglichen. Dazu bietet die IJA publizistische und rechtliche Unterstützung, Weiterbildungs- und Vernetzungsmöglichkeiten an. Unter ihrem Dach erscheinen inzwischen mehrere türkisch- und englischsprachige Onlinemedien.

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