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Gesellschaft

Mit den Gedanken in Deutschland

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Jedes Jahr kehren etwa 40.000 Türken aus Deutschland zurück. Die einen aufgrund von Heirat, manche getrieben von Heimweh und andere, weil sie abgeschoben werden sollen. Foto: Cihan

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Doch eins vereint die Auswanderer: es erwartet sie ein Job als Call Center-Agent. Alles was sie tun müssen, ist, den Deutschen am anderen Ende der Leitung Zeitschriftenabonnements zu verkaufen. Die deutschen Kunden sollen jedoch nicht merken, dass der Agent das Telefonat aus der Türkei führt.
„Am Ende habe ich endlich mit einem Deutschen gesprochen“, sagt die Stimme am anderen Ende der Telefonleitung, die von einem Call Center-Agent für ein Zeitschriftenabonnement angerufen wurde. „Einige der Call Center-Mitarbeiter sprechen ein seltsames Deutsch.“ Und fügt hinzu: „Ich glaube, es war ein Türke.“ Doch der Kunde ahnte nicht, dass die Beschäftigte, die in einem akzentfreien Deutsch das Gespräch geführt hatte, türkischer Herkunft ist. Es handelt sich um die 49-jährige Fatos Yildiz, die den schwäbischen Dialekt tadellos beherrscht und in ihrer Ausdrucksweise von einer Muttersprachlerin kaum zu unterscheiden ist. Vor 26 Jahren ist Frau Yildiz in die Türkei heimgekehrt und arbeitet bereits seit über zehn Jahren in einem Call-Center.
Der Betrieb, indem sie arbeitet, ist einer von unzähligen Firmen, die in diesem Sektor tätig sind. Doch die Antwort auf die Frage, warum die deutschen Kunden aus der Türkei angerufen werden, ist sehr simpel: „Billige Arbeitskraft“, sagt sie. Der Mindestlohn in der Türkei liegt im Vergleich zu Deutschland sehr niedrig und beläuft sich auf umgerechnet 350 €. Mit Prämien kommen die Call Center-Agenten auf mindestens 1500 Lira (umgerechnet ungefähr 750€) und in Deutschland ist es unmöglich, Arbeitskräfte zu finden, die für diesen Mindestlohn arbeiten würden. In der Tat hat ein Hartz-IV-Empfänger unter Umständen pro Monat mehr Geld zur Verfügung. Die Firmen, wissen, dass sie mit dem Gehalt eines Angestellten aus Deutschland gleich fünf Arbeitnehmer in der Türkei beschäftigen können.
Billige Arbeitskräfte wurden von britischen und amerikanischen Firmen entdeckt
Erstmalig wurden billige Arbeitskräfte aus dem Ausland für diesen Sektor von US-amerikanischen und britischen Firmen angeworben. In Indien, den Philippinen, Südafrika und den englischsprachigen Ländern haben Großunternehmen wie British Airways, HSBC, General Electric oder auch Citibank, Call Center aufgebaut, weil sie dort billigere Arbeitskräfte anwerben konnten. In Deutschland sind es Lufthansa, Siemens und Neckermann. Jedoch machen in Deutschland die Call Center, die Zeitschriften- und Zeitungsabonnements verkaufen, den Hauptanteil aus.
Wir fragen: „Wenn ein deutscher Hartz-IV-Empfänger für 750 € dieser Arbeit nicht nachgehen würde, warum kann ein Türke nicht nein sagen?“ Die Antwort auf diese Frage beantwortet Frau Yildiz wie folgt: „Diejenigen Türken, die in die Türkei zurückkehren, sind auf eine gewisse Art und Weise gezwungen, als Call Center-Agenten zu arbeiten.“ Yildiz, die seit zehn Jahren diesen Beruf ausübt, gibt an, dass etwa 80 % aller Call-Center-Agenten Frauen sind. Die Mehrheit dieser Frauen ist aus privaten Gründen, beziehungsweise nach der Heirat in die Türkei gezogen. Diesen Job würden sie zunächst als Einstieg sehen, bis sie eine bessere Stelle fänden. Außerdem merkte sie an, dass ein großer Teil der männlichen Kollegen sich aufgrund einer Abschiebung in der Türkei befänden.
Göksel Akkas, die Inhaberin von Truva Group ist zwar neu in dieser Branche, bestätigt aber die Darstellung von Fatos Yildiz. Auch sie hat festgestellt, dass die Mehrzahl der weiblichen Angestellten nach der Heirat in die Türkei gekommen ist und erzählt von den männlichen Angestellten, die aufgrund einer begangenen Straftat in die Türkei abgeschoben wurden. Auf die Frage, ob die Arbeitgeber bei der Vergabe einer Stelle Bedenken hätten, antwortete sie: „Sie sind gezwungen die Straftätigen einzustellen. Es ist nicht so einfach, deutschsprachige Mitarbeiter zu finden.“
Akkas Firma, die vor einem Jahr gegründet wurde, beschäftigt insgesamt sieben Mitarbeiter. Sie ist glücklich über die Größe ihrer Kleinunternehmens, denn für die großen Firmen, die über 1200 Mitarbeiter beschäftigen, nehmen die Probleme zu. Der Partner von Akkus, Tarik Basoglu, ist vor vier Jahren aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrt. Nachdem er drei Jahre lang in einem Call-Center gearbeitet hatte, entschied er sich dazu, sein eigenes Call Center aufzumachen. Als die wichtigen Eigenschaften seiner Mitarbeiter listet Basoglu auf: „Die Beherrschung der deutschen Sprache wie der Muttersprache, geduldig sein und dem Kunden am anderen Ende der Leitung nicht spüren lassen, dass er mit einem Call Center-Agenten aus der Türkei verbunden ist.“ Auf die Frage, warum es denn so wichtig sei, sich die türkische Herkunft nicht anmerken zu lassen, antwortete Göksel Akkus: „Diese Arbeit erfordert von Anfang an viel Einfühlungsvermögen. Der Kunde reagiert schnell gereizt. Und wenn er dann auch noch merkt, dass der Call Center-Agent ein Abonnement aus der Türkei abschließen will, kann ein Vertrauensproblem auftreten. Rassismus und Misstrauen dominieren die Einstellung gegenüber Türken immer noch sehr stark.“ 

Betrugsfälle haben ihre Arbeit zusätzlich erschwert
Durch die Berichterstattung über Ganoven, die sich als Call Center-Agenten ausgegeben und in den letzten Wochen in der Türkei mehr als 600 Deutsche betrogen hatten, sei ihre Arbeit zusätzlich erschwert worden. Fatos Yildiz erinnert sich nur ungern an diese betrügerischen Aktionen. Seit der Berichterstattung über diese Vorfälle sei sie Beleidigungen seitens der Kunden ausgesetzt, musste sich Beschimpfungen anhören. Die Schwierigkeiten ihrer Arbeit beschreibt sie wie folgt: „Als Call-Center-Agentin müssen Sie immer höflich gegenüber den Kunden bleiben. Ein einziges Mal konnte ich diesen Beschimpfungen und Beleidigungen nicht standhalten und habe etwas entgegnet. Ich wäre fast gefeuert worden.“
Der Eintritt der zweifachen Mutter in diesen Sektor fällt in den Zeitraum nach ihrer Scheidung. Der Lohn, den sie normalerweise verdienen würde, reicht nicht zum Überleben. Deswegen macht sie Überstunden und arbeitet an manchen Tagen bis zu 14 Stunden. Im Monat verdient sie damit ungefähr 2000 Lira. Sie träumt von einer guten Arbeitsstelle, die ihr die Rückkehr in ein Land ermöglichen würde, das ihr Vater sie mit 18 Jahren gezwungen hat zu verlassen: Deutschland. ZEYNEP KILIÇ
Übersetzt von: Funda Karaca