Connect with us

Politik

Terror-Ermittlungen gegen Hürriyet: Feldzug gegen freie Presse erreicht die Doğan-Gruppe

Spread the love

Nach der Razzia gegen die Doğan-Gruppe wurden nun Details zu den Vorwürfen gegen das Medienhaus bekannt. Die Indizien sind mindestens fragwürdig. Auch Journalisten der Tageszeitung Zaman geraten erneut ins Visier.

Published

on

Hürriyet
Spread the love

Nachdem gestern bekannt wurde, dass die Staatsanwaltschaft Bakırköy (Istanbul) Ermittlungen gegen die Doğan-Gruppe eingeleitet hat, wurden nun Details zu den Vorwürfen gegen sie bekannt. Medienberichten zufolge habe die Staatsanwaltschaft einen Bericht in der regierungsnahen Zeitung Güneş vom 10. September als Anzeige gewertet. Die Doğan-Gruppe gibt unter anderem die traditionsreiche Zeitung Hürriyet heraus und ist Besitzer des Fernsehkanals Kanal D sowie der Nachrichtensenders CNN Türk.

Durchschaubare Anschuldigungen und fragwürdige Indizien

Als Grund für die Ermittlungen werden unter anderem genannt:
Die Veröffentlichung von Fotos von gefallenen Soldaten, die am 29. August 2015 in Siirt bei einem PKK-Angriff getötet wurden und deren Gesichter nicht unkenntlich gemacht wurden sowie die Veröffentlichung von Fotos getöteter PKK-Kämpfer, die hingegen unkenntlich gemacht wurden.

Hürriyet berichtete über die Aufnahme der Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft. Die Zeitung behauptet, der Twitter-Account der hauseigenen Nachrichtenagentur Doğan (DHA, Doğan Haber Ajansı) sei gehackt worden, woraufhin Unbekannte einen Tweet zugunsten der prokurdischen Partei der HDP gesendet hätten. Der Tweet lautete „Zieht den Diktator zur Rechenschaft, gebt Eure Stimme der HDP – Nachrichtenagentur Doğan“ und stammte keineswegs aus den letzten Tagen, sondern wurde einen Tag vor den Parlamentswahlen getweetet – am 6. Juni. Später habe man mit dem Twitter-Büro in London Kontakt aufgenommen und den Tweet löschen lassen.

Ein anderer Vorfall, der von der Staatsanwaltschaft als Terror-Unterstützung gewertet wird, ist ein Interview, das der CNN Türk-Journalist Cüneyt Özdemir mit Ayşe Deniz Karacagil geführt hat. Karacagil erlangte im Rahmen der Gezi-Proteste vom Sommer 2013 als „Mädchen mit dem roten Schal“ ungewollte Bekanntheit, nachdem sie in Antalya wegen der Teilnahme an einer Demonstration verhaftet wurde. Der Fall ging durch die Medien, weil die Staatsanwaltschaft ihre Anklage darauf stützte, dass Karacagil bei der Demo einen roten Schal getragen hat. Dies sei Beweis genug für die Anschuldigung, dass sie „sozialistische Propaganda“ betreibe. Sage und schreibe 98 Jahre Haft forderte die Staatsanwaltschaft deshalb für sie, woraufhin sie sich im Sommer 2014 in die Kandil-Berge absetzte und der terroristischen PKK anschloss. Vier Monate vor ihrem Gang in die Illegalität hatte Özdemir sie für die Sendung 5N1K interviewt.

Als weiteres Indiz wurde eine Überschrift der Hürriyet genannt, die schon einmal Auslöser von Ermittlungen gegen sie waren. Im Mai hatte die Zeitung mit der Überschrift „Todesstrafe für mit 52% gewählten Präsidenten“ getitelt. Kurz zuvor war der ehemalige ägyptische Präsident Muhammad Mursi in Kairo zum Tode verurteilt worden, Erdoğan selbst hatte die Aussage, die zur Überschrift gemacht wurde, getätigt. Hürriyet wurde jedoch vorgeworfen, sie hätten dadurch, dass sie die Aussage ohne Kontext als Überschrift abdruckten, eine Drohung gegen Präsident Erdoğan ausgesprochen, der ebenfalls mit 52% zum Präsidenten gewählt worden war. Die Ermittlungen wurden damals jedoch von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Sevgi Akarçeşme: Wegen des Kommentars eines Fremden angeklagt

Unterdessen wird auch gegen den Chefredakteur der englischsprachigen Zeitung Today’s Zaman Bülent Keneş, Redaktionsleiter Celil Sağır sowie Kolumnistin Sevgi Akarçeşme wegen Beleidigung des Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu Anklage erhoben. Die Staatsanwaltschaft fordert für Bülent Keneş und Celil Sağır eine Haftstrafe von 12 bis 28 Monaten, für Sevgi Akarçeşme eine Haftstrafe von bis zu 34 Monaten.

Dabei wird Sevgi Akarçeşme nicht mal eine direkte Beleidigung des Ministerpräsidenten vorgeworfen. Der Grund für die Anklage gegen sie ist ein Kommentar eines anderen Twitter-Nutzers, der Davutoğlu unter einer ihrer Mitteilungen unter anderem als „Abschaum“ und „großen Lügner“ beschimpfte. Es entbehrt nicht einer tragischen Ironie, dass sie in dem Tweet ausgerechnet die Einschränkung der Pressefreiheit kritisierte: „Davutoğlu, den wir für einen demokratischen Akademiker gehalten haben, ist in die Geschichte eingegangen als Premierminister einer Regierung, die Korruption unter den Teppich kehrt und die Pressefreiheit zerstört. Bravo.“

Sevgi Akarçeşme trat am Montag vor den Richter. Danach sagte sie den Reportern: „Ich finde es beschämend, dass der Justizapparat der Türkei mit derart absurden Fällen beschäftigt wird.“