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Vergrault Deutschland seine Fachkräfte? Immer mehr Eingewanderte denken ans Auswandern

  • Juni 17, 2025
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Vergrault Deutschland seine Fachkräfte? Immer mehr Eingewanderte denken ans Auswandern

Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt: Jeder vierte eingewanderte Erwerbstätige in Deutschland denkt über eine Ausreise nach. Besonders betroffen sind gut integrierte und hochqualifizierte Zuwanderer. Bürokratie, hohe Steuern und politische Unsicherheit lassen Zweifel am Standort Deutschland aufkommen.

Vertreibt Deutschland seine Fachkräfte? Einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge denkt mehr als ein Viertel jener Menschen, die zuvor nach Deutschland eingewandert sind, mittlerweile über eine Auswanderung nach. Dies geht aus dem International Mobility Panel of Migrants in Germany (IMPa) hervor. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat diese repräsentative Online-Befragung unter Eingewanderten in Deutschland durchgeführt.

Für die Studie, deren Ergebnisse mittlerweile auch in voller Länge auf der Seite des IAB abrufbar sind, wurden 50.000 Personen befragt. Dabei handelte es sich um Personen, die bis zum 2. April 2024 nach Deutschland eingewandert waren. Sie mussten außerdem erwerbsfähig und in den Daten der Bundesagentur für Arbeit erfasst sein. Künftig sollen alle zwei Jahre neue Erstbefragungen und im Rhythmus von vier Jahren Wiederholungsbefragungen stattfinden.

Einige wollen weiter – einige wollen zurück

Zwar plant mit 57 Prozent immer noch eine Mehrheit der Eingewanderten, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Etwa 12 Prozent streben nur einen temporären Aufenthalt an, 30 Prozent sind unentschlossen. Allerdings haben von allen Befragten 26 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten über eine Ausreise nachgedacht, und rund drei Prozent haben bereits konkrete Auswanderungspläne. Das würde hochgerechnet 300.000 Personen entsprechen.

Die Hälfte der Befragten mit konkreten Abwanderungsabsichten plant eine Rückkehr in ihr Herkunftsland, wobei Polen und Rumänien an erster Stelle stellen, die Türkei folgt an dritter Position. Der Rest der auswanderungswilligen Befragten will in ein Drittland ziehen – wobei am häufigsten die Schweiz, die USA und Spanien genannt wurden.

Bei 13 Prozent der Eingewanderten mit Abwanderungsüberlegungen und 20 Prozent derjenigen mit konkreten Plänen nennen partnerschaftliche oder familiäre Gründe für ihre Erwägungen. Jeweils mehr als ein Fünftel nennt eigene berufliche Gründe, 13 beziehungsweise 24 Prozent äußern, dass zu geringer sozialer Anschluss die Gedanken befeuert.

Wer an Auswanderung denkt – und warum

Allerdings werden vielfach auch Gründe genannt, die Zweifel an der Attraktivität Deutschlands als Zielland selbst wecken. 36 Prozent der Befragten mit Auswanderungsüberlegungen und 37 Prozent jener mit konkreten Plänen nennen die allgemeine wirtschaftliche Lage als Faktor. 39 bzw. 38 Prozent erwähnen die ausufernde Bürokratie.

Weitere 40 und 38 Prozent geben an, die hohe steuerliche Last entfremde sie von Deutschland. 41 bzw. 33 Prozent können sich mit dem Klima oder der allgemeinen Lebensart im Land nicht anfreunden. 44 Prozent der Überlegenden und 33 Prozent der Auswanderungssicheren nennen die politische Lage als Begründung für die Abwanderungsgedanken. Eigene Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung nennen 28 bzw. 29 Prozent als Gründe.

Tendenziell ist die Auswanderungsneigung bei Männern höher als bei Frauen. Besonders hoch ist die Abwanderungsneigung bei EU-Bürgern, Personen mit unbefristetem Aufenthaltsstatus, Höherqualifizierten und Personen mit international anerkannten Abschlüssen. Auch Eingewanderte aus höheren Verdienstgruppen und mit guten Deutschkenntnissen zieht es häufiger ins Ausland – oder es wird zumindest häufiger über Abwanderung nachgedacht. Hingegen gibt es dort weniger Auswanderungsambitionen, wo die Arbeitszufriedenheit höher ist. Die geringsten Abwanderungstendenzen gibt es unter Geflüchteten und Personen, die im Rahmen eines Familiennachzugs nach Deutschland gekommen waren.

IAB fordert Reformen zur Fachkräftesicherung

IAB-Forscher Lukas Olbrich warnt: „Gerade die für Erwerbs- oder Bildungszwecke zugezogenen, besser gebildeten, wirtschaftlich erfolgreicheren sowie sprachlich besser integrierten Migranten denken überdurchschnittlich häufig über eine Ausreise nach oder äußern konkrete Abwanderungspläne.“ Dabei seien dies gerade jene Menschen, die Deutschland dringend für die Fachkräftesicherung benötige.

Seine Kollegin Katia Gallegos-Torres macht deutlich, dass die Abwanderungsabsichten nicht im luftleeren Raum entstünden. Sie seien „das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels individueller Motive, persönlicher Merkmale wie Geschlecht, Alter und Bildung, der sozialen und wirtschaftlichen Integration sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz.“

Mit Anteilen von 30 bis 39 Prozent haben Eingewanderte in Branchen wie IT, Kommunikation, Finanzdienstleistungen und unternehmensnahen Dienstleistungen die höchste Abwanderungsneigung. Zwischen 24 und 28 Prozent äußern Gedanken daran, Deutschland zu verlassen, in besonders engpassgefährdeten Bereichen. Dazu gehören Gesundheits- und Sozialwesen, verarbeitendes Gewerbe sowie Handel, Verkehr und Logistik.

Um der Entwicklung gegenzusteuern, so das IAB, müssten strukturelle Hürden abgebaut werden. Wichtig seien auch schnellere und transparentere Verwaltungsprozesse und gezielte Schritte zur Förderung sozialer Integration und gesellschaftlicher Offenheit.

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