Politik
Hilfe ja, aber: Erdoğan verknüpft Flüchtlingsfrage mit Bedingungen an die EU
Am Montag war der türkische Staatspräsident in Brüssel. Die EU ist in der Flüchtlingsfrage auf die Türkei angewiesen. Dessen ist sich Erdoğan bewusst. Er fordert vor allem mehr Toleranz für den Kampf der Türkei gegen den Terror.
Die EU hat am Montag in Brüssel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan um Möglichkeiten verhandelt, den Flüchtlingsstrom in Richtung Europa bereits in der Türkei zu stoppen. Dazu wollte die EU künftig mit Ankara enger zusammenarbeiten. Im Gespräch waren unter anderem Milliardenhilfen der EU, mit denen die Flüchtlinge in ihren Lagern in der Türkei besser versorgt werden sollten. Erdoğan dagegen forderte von der EU mehr Toleranz beim Vorgehen Ankaras gegen die PKK.
Es sei „traurig zu sehen“, dass einige Staaten die PKK in der Praxis nicht als Terrororganisation behandelten, sagte Erdoğan bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk in Brüssel. Er setzte kurdische PKK-Kämpfer und -Verbände mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gleich. Der Kampf der PKK gegen den IS dürfe der kurdischen Organisation keinen „Mantel der Legitimität“ verleihen. Auch die in Syrien aktive PYD sei eine Terrororganisation. Zu den Forderungen Erdoğans gehörte auch eine Schutzzone in Syrien sowie Visa-Erleichterungen für Türken in der Europäischen Union.
Zum Umgang mit der Flüchtlingsfrage sagte Tusk, die EU müsse ihre Außengrenzen besser schützen. „Wir erwarten von der Türkei das Gleiche.“ Erdoğan wies darauf hin, dass die Türkei seit nunmehr vier Jahren Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs gastfreundlich aufnehme, ohne nach Religion zu unterscheiden. Derzeit befänden sich beinahe 2,5 Millionen Migranten im Land, 2,2 Millionen davon aus Syrien. Die Türkei habe bislang 8 Milliarden US-Dollar ausgegeben und komme langsam aber sicher an ihre Grenzen.
Erster Schritt zu einer intensiveren Zusammenarbeit
Einen ersten Schritt zu einer intensiveren Zusammenarbeit machten beide Seiten. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker habe Erdoğan bei einem gemeinsamen Abendessen mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Tusk einen ersten Aktionsplan für eine stärkere Kooperation übergeben, hieß es aus der EU-Kommission.
In dem Papier geht es den Angaben nach um besseren Grenzschutz zwischen Griechenland und der Türkei und um die Versorgung und Integration von Flüchtlingen in der Türkei. Dazu und für die Einrichtung von sechs Aufnahmezentren könnte die EU erhebliche Finanzhilfen in Aussicht stellen. Die Umsetzung solcher Forderungen könne ein Schritt hin zur Visafreiheit für türkische Bürger sein. Details sollen nun hohe EU-Beamte mit der Regierung in Ankara ausarbeiten; ein Gerüst soll bis zum Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am 15. und 16. Oktober stehen.
Reaktionen der Politiker in Deutschland
Die Grünen warnten im Vorfeld davor, den Flüchtlingsstrom durch einen „schmutzigen Deal“ mit der Türkei begrenzen zu wollen. Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter lehnte eine Übereinkunft ab, wenn sie nach dem Muster laufe: „Erdoğan nimmt einen Großteil der Flüchtlinge, und dafür drücken wir zum Ausgleich beide Augen zu, wenn dort die Menschenrechte zum Beispiel der Kurden in der Türkei verletzt werden.“
Cem Özdemir sah die Politik der Türkei als mitverantwortlich für die Flüchtlingskrise. Die Türkei habe den IS unterstützt und sei deshalb für die Fluchtursachen mitverantwortlich. Özdemir forderte von der Türkei, diejenigen nicht zu bekämpfen, die den IS am erfolgreichsten bekämpfen, nämlich die Kurden. Zur Lösung des Problems schlägt Özdemir eine gemeinsame Strategie unter dem Dach der UN vor.
CDU-Politiker: „Wir haben die Türkei allein gelassen“
Der CDU-Europa-Abgeordneter Elmar Brok sagte im Deutschlandfunk, dass die EU die Türkei mit ihrem Flüchtlingsproblem lange Zeit alleine gelassen habe. Die türkischstämmige CDU-Politikerin Cemile Giousouf verteidigte im ARD-Morgenmagazin die Verhandlungen mit der Türkei. „Wie sollen wir die Flüchtlingsfrage an den Außengrenzen Europas anders lösen?“ Die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi forderte dagegen eine Geberkonferenz, um in bestimmten Krisenregionen Fluchtursachen wie Armut zu lindern. Auch müssten die Lager wie etwa in der Türkei oder dem Libanon stabilisiert werden.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erklärte, sollten türkische und griechische Grenzschutzeinheiten gemeinsam mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex die Seegrenze im Mittelmeer abriegeln, wäre das „eine moralische Bankrotterklärung Europas“.
Frontex-Chef Fabrice Leggeri forderte eine koordinierte Überwachung der Außengrenzen Europas. Frontex könnte den Kern eines schnell aktionsfähigen europäischen Netzwerkes bilden, sagte Leggeri der französischen Regionalzeitung „Dernières Nouvelles d’Alsace“. Von Januar bis Ende September sind nach seinen Angaben an den EU-Außengrenzen etwa 630 000 illegale Einwanderer registriert worden.
Bundesinnenministerium: Migrationsdruck wird sich verringern
Das Bundesinnenministerium stufte unterdessen einen Medienbericht über eine neue Schätzung von bis zu 1,5 Millionen Flüchtlingen in Deutschland in diesem Jahr als zweifelhaft ein. Man könne auf Basis der großen Anzahl Neuankömmlinge im September keine Hochrechnungen anstellen, sagte ein Sprecher des Ministeriums in Berlin. „Wir gehen noch davon aus, dass die Wintermonate dazu führen werden, dass sich der Migrationsdruck verringern wird.“
Die „Bild“-Zeitung berichtete am Montag, in einer internen Prognose einer nicht näher benannten Behörde sei von bis zu 1,5 Millionen Asylbewerbern im laufenden Jahr die Rede. Die offizielle Prognose ging zuletzt von 800 000 aus. (dpa/dtj)