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Panorama

„Corellis Insuline“: So gefährlich leben NSU-Zeugen

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Mögliche Zeugen aus dem Umfeld des NSU leben gefährlich, vor allem, wenn sie Geheimdienstkontakte hatten. Nach einem 21-Jährigen aus der Nähe von Stuttgart, der im Auto verbrannte, starb nun auch Spitzel „Corelli“ jung. (Foto: reuters)

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Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln.
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Thomas Richter aus Halle/Saale war mehr als nur ein gewöhnlicher Rechtsextremist. Einst gehörte er zu den namhaftesten Neonazis Sachsen-Anhalts und soll als „HJ Tommy“ Namensgeber und Initiator der Kameradschaft „Nationaler Widerstand Halle“ gewesen sein. Bereits zuvor war Richter den European White Knights of the Ku Klux Klan (EWK KKK) beigetreten, einem deutschen Ableger des rassistischen Geheimbundes aus den USA.

Er soll die Zeitung „Nationaler Beobachter“ und zahlreiche braune Internetseiten geleitet oder ihnen Webspace zur Verfügung gestellt haben. Eines davon war das neonazistische Musik-Fanzine „Der Weisse Wolf“ (Rechtschreibfehler im Original), das auf dem Server des von Richter selbst betriebenen Magazins „Oikrach“ gehostet wurde.

Der heutige NPD-Abgeordnete im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, David Petereit, war Herausgeber des „Weissen Wolfs“. Die Publikation, zu ihren Lebzeiten außerhalb des harten Kerns der braunen Szene und ihrer geheimdienstlichen Beobachter kaum beachtet, sollte mehr als ein Jahrzehnt später zu später Berühmtheit gelangen. Petereit stellte nämlich im Heft 18 der Publikation, das 2002 erschien, ein Vorwort voran, in dem sich der fett hervorgehobene, kryptische Gruß „Vielen Dank an den NSU“ befand.

Im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Petereit fand die Polizei einen Brief des sog. NSU, der aus dem Jahr 2000 stammen soll. „Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten fortgeführt“, hieß es darin. Textbausteine aus dem Brief tauchten nach dem Bekanntwerden des vermeintlichen Terrornetzwerks auch im bekannten „Paulchen Panther“-Bekennervideo auf.

An den „Weissen Wolf“ sollen die NSU-Terroristen 2500 Euro gespendet haben, bei denen die Polizei davon ausgeht, dass sie aus Banküberfällen stammen. Auch Richter schaltete dort Anzeigen für seine Internetdienstleistungen.

Konzept der „Leaderless Resistance“ in Nazizeitung erörtert

In Ausgabe 20, der letzten erschienenen Ausgabe der Zeitschrift, wurde das in neonazistischen Kreisen der USA ersonnene und in Europa vom „Blood&Honour“-Netzwerk propagierte Prinzip der „Leaderless Resistance“, des führerlosen Widerstands, empfohlen: „Jene die uns beim Erreichen unserer Ziele nicht unterstützen, müssen ausgeschaltet werden“. Der anstehende „Kampf“ sei „eine Angelegenheit von Einzelaktionen“ – eine Angelegenheit konspirativer Zellen. Man müsse, hieß es in der Publikation weiter, „radikal und für unsere Feinde unerkannt“ agieren, sich zur „entscheidenden Schlacht“ rüsten und womöglich zu den Waffen greifen. Dies entspräche weitgehend auch der Strategie des sog. NSU, der zum damaligen Zeitpunkt bereits vier Menschen getötet haben soll.

Im September 2012 wird Thomas Richter als langjähriger Informant des Verfassungsschutzes enttarnt. Er habe die Kameradschaftsszene in Sachsen-Anhalt im Auftrag des Inlandsgeheimdienstes ausgespäht und von Halle aus Details zu geplanten Aktionen und Demonstrationen an die Behörde in Köln weitergegeben. Zudem berichtete der V-Mann, so vermuten zahlreiche Beobachter, über den Ku-Klux-Klan, „Blood & Honour“ und Aufmärsche in Ostdeutschland. In zehn Jahren soll „Corelli“ dabei auf ein Gesamthonorar von insgesamt 180 000 EUR gekommen sein.

Von allen Quellen dem NSU am nächsten gekommen

„Corelli“ war eine von drei Quellen, die das BfV im Umfeld des NSU platzieren konnte. Und er soll als Einziger der Gruppe wirklich nahe gekommen sein: 1995 soll es mindestens ein Treffen zwischen ihm und Uwe Mundlos gegeben haben, zudem fanden sich die Daten Thomas Richters in dessen Telefonliste, die 1998 entdeckt wurde.

Unmittelbar nach seiner Enttarnung wurde „HJ Tommy“ a.D. in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Eines langen Daseins darin vermochte er sich jedoch nicht mehr zu erfreuen. Vor einer Woche, ein Jahr nach seiner letzten Vernehmung, starb „Corelli“, der zuletzt in der Umgebung von Schloß Holte-Stukenbrock gelebt haben soll. „Spiegel online“ zufolge soll das BfV in der vergangenen Woche das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags vom Tod des ehemaligen Spitzels unterrichtet haben.

Sicherheitskreisen zufolge soll „Corelli“ an den Folgen einer zuvor nicht erkannten Diabetes-Erkrankung verstorben sein. Todesfälle in Folge der Unterzuckerung bei Diabetes seien der Diabetes-Zentrale e.V. zufolge heute selten, aber möglich. Todesursache ist dann in der Regel nicht die Diabetes selbst, sondern darauf zurückzuführende Folgeerkrankungen. Meist tritt die Erkrankung jedoch entweder bereits in jüngeren Jahren auf, wo die Wahrscheinlichkeit, dass sie entdeckt wird, hoch ist, oder erst in höherem Alter.

„Corelli“ ist jedoch nicht der einzige Zeuge im Umfeld des sog. NSU und des im Umfeld der neonazistischen Szene aufgebauten Geheimdienstnetzwerkes, das verhältnismäßig jung verstirbt. Am 16. September 2013 fuhr etwa der 21-jährige frühere Mitläufer der rechtsextremen Szene, Florian H., von Eppingen (bei Heilbronn) mit dem Auto seines Vaters nach Stuttgart, um einen Termin um 17 Uhr beim Landeskriminalamt in Stuttgart wahrzunehmen.

Tod auf dem Cannstatter Wasen

Bereits 75 Kilometer von Heilbronn entfernt, in etwas mehr als einem Kilometer Entfernung zum LKA, fand man später sein ausgebranntes Auto auf der Zufahrt zum Campingplatz des Cannstatter Wasens, eines Ortes, an dem sich der sog. NSU auch schon aufgehalten gehabt haben soll. Das Auto war ausgebrannt und H.s Leiche soll sich angeschnallt darin befunden haben. Der Zeuge soll sich nur wenige Stunden vor seiner geplanten Vernehmung aus Liebeskummer selbst getötet haben. Der beim Autobrand ums Leben gekommene 21-Jährige soll Zeitungsberichten zufolge Kenntnisse über die Hintergründe der Ermordung des vermutlich zehnten NSU-Opfers, der Polizistin Michelle Kiesewetter, im April 2007 in der Nähe von Heilbronn, gehabt haben.

Höher als unter den Zeugen ist bis dato nur die Frühablebensquote unter den Terroristen selbst. Wobei es auch hinsichtlich der Theorie des BKA, Uwe Mundlos habe im Wohnmobil zu Eisenach zuerst Böhnhardt getötet und sich danach selbst mit einem Winchester-Gewehr gerichtet, mittlerweile ernsthafte Zweifel gibt. Ein Waffenexperte hatte in einer N24-Doku erklärt, es wäre geradezu unmöglich gewesen, dass Mundlos im Todeskampf noch selbstständig die Waffe nachgeladen hätte. Die zweite Kugel hätte noch in der Waffe stecken müssen.

Anwohner wollen zur Tatzeit eine dritte Person aus dem Wohnmobil springen gesehen haben. Auch wurde das Handy eines bekannten Neonazis in Tatortnähe geortet. Eine DNA-Spur, die im Wohnwagen gefunden wurde, soll nach Litauen führen.