Panorama

Zschäpe will nicht zum Psychiater

  • Mai 21, 2015
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Zschäpe will nicht zum Psychiater

Das Zeugnisverweigerungsrecht ist eine Errungenschaft des bundesdeutschen Rechtsstaates. Demnach hat ein Angeklagter das Recht, vor Gericht zu schweigen. Nimmt er dieses Recht aber tatsächlich in Anspruch, kann dies im Zweifel gegen ihn ausgelegt werden. In jedem Fall erschwert das Schweigen auf der Anklagebank die Arbeit des Gerichts. Einblicke in die Psyche eines Täters sind so fast ausgeschlossen. Fast.

Im Münchener Prozess gegen die sog. Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) sorgte das Schweigen der Hauptangeklagten Beate Zschäpe ­­– im Widerspruch zur Natur der Sache – für Unruhe. Im Oberlandesgericht (OLG) lieferten sich die Bundesanwaltschaft, der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und Zschäpes Verteidiger heftige Wortgefechte. Es ging, wieder einmal, um Zschäpes seelisches Innenleben.

Zschäpe will nicht

Zschäpe ist wütend: Sie will nicht analysiert werden. Im Kern geht es darum, dass sie sich durch den vom Gericht bestellten psychiatrischen Gutachter Henning Saß gestört fühlt. Sie fühlt sich beobachtet. Saß, der an allen Verhandlungstagen als Beobachter teilnimmt, erstellt ein psychologisches Gutachten über Zschäpe – allerdings ohne je ein Wort mit ihr gewechselt zu haben.

Doch wie kann ein Mensch ausschließlich anhand seiner Mimik und Gestik überhaupt umfassend analysiert werden? Diese Problematik begleitet die deutschen Gerichte seit es das Zeugnisverweigerungsrecht gibt. Bei Zschäpe liegt zudem ein besonderer Fall vor. Immerhin lebte sie lange Jahre mit ihren mutmaßlichen Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Untergrund. Auf der Flucht vor den Behörden wird sie sich zwangsläufig anders entwickelt haben, als andere Frauen in ihrem Alter.

Negative Erfahrungen mit Psychiatern

Mit Gerichtspsychologen hatte Zschäpe vor wenigen Wochen schon einmal negative Erfahrungen gemacht; Ende April hatte sie sich dem Gefängnispsychologen Norbert Nedopil anvertraut. Das schriftliche Gutachten des Münchener Therapeuten beschrieb Zschäpe als verzweifelte und narzisstische Persönlichkeit. Außerdem kam er zu dem Schluss, das Zschäpes Schweigen ihr immer schwerer falle, sie gar es als zunehmende Belastung wahrnehme.

Dass die einzige Überlebende der mutmaßlichen Neonazi-Terrorgruppe die Verlesung des Gutachtens von Anfang bis Ende miterleben musste, hat ihr tiefes Misstrauen in Psychologen gefestigt. Trotz oder gerade wegen ihrer zunehmenden Gesundheitsprobleme scheint sie überempfindlich auf Kritik zu reagieren.

Das Zeichen hinter der Absage an den Psychiater: Zschäpe will niemanden zu nah an sich heranlassen. Ob sie wirklich mit sich und dem Schweigen ringt und die neuerliche Episode den Bruch ihres Schweigens katalysieren könnte, weiß nur Beate Zschäpe selbst.

Platzwechsel und zwei Stunden Verzögerung

Ob spezieller Fall oder nicht: Zschäpes Anwälte Wolfgang Heer und Anja Sturm protestierten zuletzt massiv gegen die psychiatrische Begutachtung ihrer Mandatin. Sie forderten im Gericht, dass Saß zumindest weiter als drei Meter von der Anwaltsbank entfernt Platz nehmen müsse. Schließlich könne er durch die geringe Entfernung möglicherweise Unterredung zwischen der Angeklagten und ihren Verteidigern mithören.

Als Götzl die Forderung erfüllt und Saß um einen Platzwechsel bietet, legen die Anwälte erst richtig los und fordern, dass Saß in den Verhandlungspausen den Gerichtssaal verlassen solle. Als Richter Götzl dem einen Riegel vorschiebt, argumentieren Heer und Sturm, das Gericht versuche die Verteidigung vorzuführen. Götzl verbietet sich das.

Am Ende beschäftigt die Causa das Gericht mehr als zwei Stunden. Ein geladener Zeuge kann nicht gehört werden und der bereits 206 Tage währende Prozess wird weiter in die Länge gezogen. Für Saß bleibt, von der Platzwahl abgesehen, alles beim Alten. Der emeritierte Professor aus Aachen darf nun weiterhin Zschäpes Gemütsregungen beobachten, um am Ende sein Gutachten zu verfassen.

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