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Wie deutsche Medien bei Palästina versagen – und wer es besser macht

  • Juli 3, 2025
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Wie deutsche Medien bei Palästina versagen – und wer es besser macht

Seit dem 7. Oktober 2023 steht der Nahost-Konflikt erneut im Fokus deutscher Medien. Doch die Art der Berichterstattung wird zunehmend kritisch betrachtet. Journalist:innen berichten von internem Druck, selektiver Quellenwahl und einem Mangel an Perspektivenvielfalt. Besonders palästinensische Stimmen finden selten Platz. Dabei gibt es Stimmen im deutschen Journalismus, die sich um mehr Ausgewogenheit bemühen und differenzierter berichten.

Deutsche Redaktionen stehen unter einem hohen Druck, wenn es um Israel und Palästina geht. Die Angst vor dem Vorwurf des Antisemitismus, gepaart mit einem emotional aufgeladenen Redaktionsklima, führt zur Selbstzensur. Journalist:innen berichten von Ablehnung sachlicher Recherchen und einer Voreingenommenheit zugunsten israelischer Regierungsquellen. Oft wird mit zweierlei Maß gemessen: Während israelischen Quellen Glauben geschenkt wird, müssen palästinensische Stimmen ihre Legitimität erst beweisen.

In diesem angespannten Klima gibt es jedoch eine Reihe von Journalist:innen, die sich um mehr Differenzierung bemühen. Einer von ihnen ist Daniel Gerlach, Chefredakteur des Magazins „Zenith“. Er gilt als profunder Kenner des Nahen Ostens, insbesondere der arabischen Welt.

Analyse statt Alarmismus: Daniel Gerlach

Gerlach verbindet journalistisches Handwerk mit tiefgreifender wissenschaftlicher Expertise. Als Islamwissenschaftler und Historiker bringt er nicht nur analytische Tiefe in seine Texte, sondern auch ein differenziertes Verständnis für die politischen Dynamiken der Region. Seine Artikel und Auftritte in Talkshows zeichnen sich durch einen klaren Blick auf die Akteure und Strukturen aus, ohne in Schuldzuschreibungen oder plakative Narrative zu verfallen. Er ist eine Stimme, die Komplexität aushält und vermittelt, anstatt sie zu reduzieren.

Cooler Gerlach kontert emotionalen Engel

Im ZDF-Talk bei Markus Lanz kam es neulich zu einer kontroversen Auseinandersetzung zwischen zwei Journalisten mit klar konträren Positionen. Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“, verteidigte das Vorgehen Israels gegen den Iran vehement. Für ihn sei Teheran „dasjenige Regime, das den Weltfrieden gefährdet“. Daniel Gerlach widersprach entschieden und formulierte scharfe Kritik am israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu.

Er sprach von „Erlöser-Fantasien“ des Regierungschefs und unterstellte ihm die Strategie, durch militärisches Vorgehen den Rückhalt des Westens wiederzugewinnen. Die Einschätzung Gerlachs stieß bei Engel auf blankes Unverständnis. „Es fällt mir schwer, ruhig zu bleiben“, erklärte er sichtlich aufgebracht, worauf Gerlach mit einem coolen „Es tut mir leid, dass ich Ihnen das zumuten muss“ reagierte.

Nahost-Kenntnis statt Klischees: Kristin Helberg

Kristin Helberg, ehemalige ARD-Korrespondentin in Syrien, ist eine der wenigen Stimmen im deutschsprachigen Raum, die Nahostpolitik aus jahrelanger Erfahrung in der Region erklären kann. Ihre Texte und Interviews liefern nicht nur geopolitische Einordnungen, sondern thematisieren auch die Auswirkungen internationaler Politik auf die Bevölkerung in Syrien, Gaza oder dem Libanon. Sie fordert journalistische Standards ein und kritisiert einseitige Narrative, wie sie in vielen deutschen Medien anzutreffen sind.

In der Sendung von Markus Lanz im ZDF vom 25. Juni argumentierte Helberg mehrfach mutig gegen Roderich Kiesewetter von der CDU. Auf X schrieb sie über ihren Auftritt zusammenfassend: „Kriegswaffen an einen Staat zu liefern, der damit womöglich Kriegsverbrechen begeht, ist völkerrechtswidrig. Deshalb gilt: Für den Einsatz in Gaza sollte Deutschland keine Munition, Panzerteile, Schnellfeuerwaffen u.ä. mehr an Israel liefern.“

Mit ihrem Satz in Richtung Kiesewetter, man könne nicht jeden Tag eine Schulklasse Kinder gezielt töten; unter anderem durch Kopfschüsse, und dann sagen, die Hamas sei allein schuld am Leid der Palästinenser:innen, sorgte sie für viel Zustimmung.

Satire mit Substanz: Jan Böhmermann

Auch Jan Böhmermann, bekannt durch das ZDF Magazin Royale, trägt zur Aufarbeitung der medialen Debattenkultur bei. In seiner satirischen, aber oft fundierten Auseinandersetzung mit dem Thema hat er mehr als einmal darauf hingewiesen, wie tendenziös und unausgewogen über Palästina berichtet wird. Seine Sendung wird von einem Team journalistisch vorbereitet und bringt komplexe Themen einem breiten Publikum näher – auch mit dem Mut zur Kontroverse. Mit der Sendung Ende Dezember 2023: „Eine Diskursanalyse: Wie Deutschland über den Krieg im Nahen Osten redet“ hat Böhmermann relativ früh ein deutliches Statement gesetzt.

Auf YouTube kommentiert der offizielle Kanal des ZDF Magazin Royale: „Ganz ehrlich Leute, das ist das einfachste Thema der gesamten Staffel! Ach was, der gesamten letzten drei Jahre! Was Entspanntes zum Schluss: nichts Kontroverses, nichts Heikles. Der Krieg im Nahen Osten war noch nie so eindeutig und so leicht zu verstehen. Zumindest in Deutschland.“

Menschenrechte sichtbar machen: Sophia Maier

Sophia Maier, eine junge Journalistin mit Fokus auf Westasien, hat unter anderem für „der Freitag“ über die humanitäre Lage in Gaza berichtet. Ihre Arbeiten zeigen, wie wichtig es ist, palästinensischen Stimmen ein Forum zu geben, ohne sie unter Generalverdacht zu stellen. Maier schreibt über Menschenrechte, internationale Rechtsbrüche und die Sichtweise der Zivilbevölkerung in Gaza – mit Respekt und ohne moralischen Zeigefinger.

Zuletzt trat Maier bei Sandra Maischberger auf und bezog sich auf die vielen Angriffe des israelischen Militärs: „Ich bin in einer Welt groß geworden, in der mir gesagt wurde, Völkerrecht und internationales Recht ist unverhandelbar. Das ist die Basis unserer werteorientierten Zusammenkunft in der Welt.“ Sie sei im Nahen Osten journalistisch sehr viel unterwegs und die aktuellen Angriffe Israels seien eine konstante Fortführung eines Bruchs des Völkerrechts.

Für Vielfalt im Journalismus: Daniel Bax

Daniel Bax, früher Redakteur bei der „taz“ und heute unter anderem im Vorstand der „Neuen deutschen Medienmacherinnen„, setzt sich seit Jahren für mediale Vielfalt ein. In seinen Kommentaren und Redebeiträgen kritisiert er die strukturellen Schieflagen im deutschen Journalismus, insbesondere wenn es um Minderheiten und deren Repräsentation geht. Auch in der Nahost-Berichterstattung fordert er Differenzierung statt Polarisierung.

Den jüngsten Besuch des deutschen Innenministers Dobrindt in Israel kommentierte Bax auf X zynisch: „Bringt Mister „Law and Order“ den vom internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in #Gaza gesuchten Ministerpräsidenten #Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister nach #DenHaag? Oder was genau sucht Dobrindt in #Israel?“

Auch in der „taz“ schreibt Bax unerschrocken, zum Beispiel von „Netanjahus Todesfalle“ nach dessen Angriff auf den Iran. Israels Premierminister möge wirklich hoffen, mit seinem Angriff die iranische Regierung zu stürzen. „Was er erreicht hat: vom Grauen in Gaza abzulenken“, so Bax.

Nah am Geschehen: Sophie von der Tann

Sophie von der Tann ist eine ARD-Korrespondentin, die in der Vergangenheit aus Istanbul und Beirut berichtet hat. Ihre Reportagen zeichnen sich durch Kontextualisierung aus, sie verknüpft politische Entscheidungen mit deren Auswirkungen auf das Leben vor Ort. In ihren Beiträgen kommen Menschen aus der Region zu Wort, nicht nur Politiker:innen oder Militärexperten.

Im Mai kommentierte sie in der Tagesschau die Vorgehensweise des israelischen Militärs. Die Jüdische Allgemeine verurteilte ihre Worte, wie so oft, wenn es ausgewogen wird und das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza in Kritik gerät. Dabei erntete von der Tann von denjenigen, die einen menschlichen Blick auf Gaza werfen, sehr viel Beifall.

Gegen das mediale Wegsehen: Fabian Goldmann

Fabian Goldmann arbeitet als freier Journalist und hat sich durch seine kritische Auseinandersetzung mit dem Diskurs über Israel und Palästina einen Namen gemacht. In Beiträgen für die „taz“ oder „Zenith“ zeigt er auf, wie sehr israelische Regierungsnarrative oft unkritisch übernommen werden, während palästinensisches Leid marginalisiert wird. Seine Arbeiten sind gut recherchiert und zeigen, dass kritischer Journalismus nicht gleich Aktivismus bedeutet, was ihm so manch ein Kritiker vorwirft.

Zwischen Empathie und Analyse: Natalie Amiri

Natalie Amiri, langjährige ARD-Korrespondentin in Teheran und Moderatorin des „Weltspiegels“, gehört zu den wenigen bekannten Gesichtern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die sich für einen empathischen und gleichwohl kritischen Journalismus einsetzen. Sie warnt vor Schwarz-Weiß-Denken, fordert Kontextualisierung und spricht offen über die Schwierigkeit, in deutschen Medien differenzierte Sichtweisen auf den Nahen Osten zu etablieren. Unter anderem ihre Arbeit zeigt: Eine andere Nahost-Berichterstattung ist möglich.

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