Türkischer Whistleblower Muhammed Yakut gestorben – oder doch ermordet?

Am Montag wurde Muhammed Yakut aus einem Hochsicherheitsgefängnis in den Niederlanden entlassen. Nur Stunden später brach er in Düsseldorf, kurz vor einem angeblich vertraulichen Treffen, in Anwesenheit seiner Personenschützer zusammen. Die Todesursache: Herzinfarkt. Doch ob es wirklich ein natürlicher Tod war, ist noch unklar.
Muhammed Yakut war Unternehmer, Provokateur und vor allem eines: ein lautstarker Kritiker der Machtelite in der Türkei. In sozialen Netzwerken wie X (ehemals Twitter) und YouTube veröffentlichte er dutzende Videos unter dem Pseudonym „Delilerin Delisi“ (Verrücktester unter den Verrückten), in denen er schwere Vorwürfe gegen hochrangige AKP-Politiker, Sicherheitskräfte und Beamte erhob. Sein Stil war konfrontativ, der Ton oft vulgär, doch seine Informationen trafen einen Nerv.
Yakut inszenierte sich als Nachfolger von Sedat Peker, der 2021 mit Enthüllungen über Korruption, Drogenhandel und Mordaufträge die türkische Öffentlichkeit erschütterte. Wie Peker positionierte sich auch Yakut als Insider mit gefährlichem Wissen, der bereit war, das Schweigen zu brechen – koste es, was es wolle.
Flucht, Haft, Auslieferungsdrohung
Nach einem Haftbefehl der türkischen Justiz im Frühjahr 2023, der auf den Vorwurf der Verleumdung und weiterer Straftaten folgte, floh Yakut über mehrere Länder. Nach Zwischenstopps in Deutschland und Schweden wurde er schließlich in Spanien festgenommen. Eine Auslieferung in die Türkei wurde diskutiert, aber letztlich nicht vollzogen. Stattdessen tauchte Yakut wenig später wieder in Deutschland auf, gab Interviews und kündigte an, über hundert weitere Enthüllungsvideos veröffentlichen zu wollen.
Sein Weg führte ihn zuletzt in die Niederlande, wo er im Zusammenhang mit einem Treffen mit dem inzwischen ermordeten nordzyprischen Glücksspielmagnaten und mutmaßlichen Geldwäscher Cemil Önal festgenommen wurde. Nur zwei Wochen vor seiner Freilassung war Yakut aus Sicherheitsgründen in ein anderes Gefängnis verlegt worden – angeblich aufgrund eines geplanten Attentats auf ihn.
Ein gefährlicher Mann mit gefährlichem Wissen
Yakut behauptete, Beweise über engste Verbindungen zwischen Politik, Justiz, Medien und Unterwelt zu besitzen. Er beschuldigte u. a. Mustafa Sarıgül, Süleyman Soylu, Melih Gökçek und natürlich den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Aber nicht nur. In seinen letzten Videos ging es oftmals um den inhaftierten Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu.
Das in westlichen Medien übernommene Narrativ der türkischen Opposition, man habe İmamoğlu grundlos verhaftet, mahnten Personen wie Yakut an. Die Korruptionsgerüchte um den inhaftierten Ex-Bürgermeister seien nicht gänzlich unbegründet. „Ich werde eure dreckigen Spielchen auch ans Tageslicht bringen“, versprach Yakut noch lebend. Doch İmamoğlu und sein Umfeld müssen sich vor mutmaßlichen Enthüllungen Yakuts nun nicht mehr fürchten.
In seinen Gedanken stets abschweifend
Seine Videos waren ein toxischer Mix aus Gerüchten, Halbwahrheiten, persönlichen Angriffen und brisanten Behauptungen. Gleichzeitig berichtete Yakut glaubwürdig über staatliche Repressionen: Seine Frau soll in türkischer U-Haft gefoltert worden sein. Auch berichtete er von gezielten Sperrungen seiner Social-Media-Kanäle auf direkte Anweisung des türkischen Staats an Plattformbetreiber.
Trotz seiner chaotischen Rhetorik sahen viele Oppositionelle, wie seinerzeit mit den Enthüllungen von Peker, auch in Yakut einen Hoffnungsträger. Er war unbequem, schlecht kontrollierbar und genau deshalb gefährlich für ein autoritäres System, das Kontrolle über das Gesprochene und Geschriebene behalten will. Seine Ausführungen wurden von regierungskritischen Journalisten wie Erk Acarer und Cevheri Güven aufgegriffen, auch wenn sich einige später von ihm distanzierten.
Ein weiterer Toter in den Niederlanden – ein Muster?
Wenige Wochen zuvor war in den Niederlanden bereits Cemil Önal, der als Buchhalter des ermordeten Zypern-Mafioso Halil Falyalı galt, unter ungeklärten Umständen getötet worden. Beide Männer standen in Verbindung mit transnationalen Netzwerken, die aus Geldwäsche, Glücksspiel und politischer Einflussnahme bestehen sollen.
Der Fall Yakut gibt auf jeden Fall Anlass zu Spekulationen: Starb er tatsächlich an einem natürlichen Herzinfarkt? Oder wurde der Mann, der sich selbst als „Black Box“ der türkischen Machtstrukturen bezeichnete, gezielt zum Schweigen gebracht? Womöglich durch die Opposition? Sicher ist derzeit nur, dass er in Diyarbakır, seiner Heimatstadt, beerdigt werden soll.
Ist Europa noch sicher?
Während Önal in den Niederlanden vor seiner Ermordung warnte, wurde er nicht gehört. Schließlich ist Önal unter Polizeischutz gezielt getötet worden. Und Yakut ist zwar in den Niederlanden verhaftet worden, doch erneut unter Polizeischutz nun in Deutschland gestorben.
Die Umstände seines Todes sind ebenso undurchsichtig wie sein Leben. Was bleibt, ist ein weiterer toter Whistleblower – und die drängende Frage: Stirbt in Europa gerade das letzte bisschen Hoffnung auf unzensierte Wahrheiten aus der Türkei?