Gesellschaft

Ehrenamt ist mehr als Hilfe – sie ist Teilhabe, Gestaltung und gelebte Demokratie

  • Juli 12, 2025
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Ehrenamt ist mehr als Hilfe – sie ist Teilhabe, Gestaltung und gelebte Demokratie

In einer Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht selbstverständlich ist, leistet Freiwilligenarbeit einen unschätzbaren Beitrag. Etwa 29 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich freiwillig – das sind keine Randfiguren, sondern das Herzstück unserer Zivilgesellschaft. Und doch bleibt ein Großteil dieses Engagements unsichtbar – insbesondere das von Migrantinnen und Migranten.

Die Politik erkennt die Bedeutung längst an. Ob Bundesregierung oder Landesparlamente – alle fördern ehrenamtliche Arbeit, bauen rechtliche Rahmen aus und würdigen sie mit Initiativen wie dem „Ehrentag“. Dass Nancy Faeser als damalige Innenministerin das Ehrenamt als „Rückgrat unserer Demokratie“ bezeichnete, war mehr als eine wohlklingende Floskel – es war ein Bekenntnis.

Ehrenamt ist vielfältig – und doch wird nicht jedes gesehen

Freiwilligenarbeit zeigt sich in vielen Formen: im Sportverein, in der Nachbarschaftshilfe, in der Geflüchtetenarbeit oder im Dialog zwischen Religionen. Laut Freiwilligensurvey 2019 engagieren sich rund 40 % der Menschen ab 14 Jahren – Frauen wie Männer, auf dem Land etwas häufiger als in der Stadt. Ein Viertel übernimmt sogar Leitungsfunktionen. Aber: Diese Zahlen erzählen nur die halbe Wahrheit. Denn wer wird gesehen – und wer nicht?

Viele Menschen mit Migrationsgeschichte engagieren sich seit Jahren – in Moscheegemeinden, Kulturvereinen, Heimatsvereinen oder als Nachhilfegeber für Kinder in der Nachbarschaft. Doch dieses Engagement findet selten Eingang in offizielle Statistiken oder wird öffentlich wahrgenommen. Warum? Weil sich das Verständnis von Ehrenamt kulturell unterscheidet. Was in migrantischen Strukturen selbstverständlich ist, gilt im öffentlichen Diskurs oft nicht als „Ehrenamt“, sondern als „Privatsache“.

Ein Berliner Projekt setzt neue Ziele

Genau hier setzt ein vorbildliches Projekt in Berlin an: „Mehr Teilhabe an der Stadtgesellschaft“. Der Name ist Programm. Gefördert vom Berliner Senat für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt, möchte das Projekt Ehrenamtliche aus Migrantenselbstorganisationen stärken und ihre gesellschaftliche Wirkung sichtbar machen.

Getragen wird es vom Kulturzentrum Kubik e. V. in Berlin-Mitte, gemeinsam mit Partnern wie dem Brunnenviertel e. V., der evangelischen Gemeinde Hausotterplatz und dem I-ISIN Verein aus Neukölln. Ziel ist nicht nur Integration im Sinne von „Teilnehmen dürfen“, sondern Teilhabe im Sinne von „mitgestalten können“.

Weg von der Opferrolle – hin zu aktiver Mitgestaltung

Die Haltung ist klar: Migrant:innen und Geflüchtete sollen nicht als passive Empfänger staatlicher Hilfe gesehen werden, sondern als kompetente, engagierte Akteur:innen. Mit Mehrsprachigkeit, Lebenserfahrung und sozialem Einsatz bringen sie genau das mit, was unsere Gesellschaft dringend braucht.

In 27 Seminaren werden über 90 Personen lernen, wie sie sich politisch, gesellschaftlich und medial einbringen können. Dabei geht es nicht nur um Wissen, sondern auch um Selbstbewusstsein und Vernetzung.

Gesellschaftlicher Wandel beginnt in den Köpfen

Natürlich gibt es Herausforderungen: Sprachbarrieren, fehlende Anerkennung, Unsicherheit über Strukturen. Doch Projekte wie dieses zeigen: Mit der richtigen Unterstützung kann Freiwilligenarbeit eine Brücke schlagen – zwischen Herkunft und Ankunft, zwischen Eigeninitiative und gesellschaftlicher Wertschätzung.

Die Frage ist nicht, ob Menschen mit Migrationsgeschichte sich engagieren. Die Frage ist: Wann beginnen wir, dieses Engagement auch als Teil unserer gemeinsamen demokratischen Kultur stärker anzuerkennen?

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