Gesellschaft

Antimuslimischer Rassismus: Wie CLAIM Betroffene stärkt und Sichtbarkeit schafft

  • September 24, 2025
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Antimuslimischer Rassismus: Wie CLAIM Betroffene stärkt und Sichtbarkeit schafft

Seit fast einem Jahr läuft eine bundesweite Kampagne der Organisation CLAIM. Sie will Betroffene von antimuslimischem Rassismus ermutigen, Übergriffe und Diskriminierung zu melden – anonym, vertraulich und niedrigschwellig. Warum gerade jetzt Sichtbarkeit und Unterstützung so entscheidend sind, erklärt Lea Gautsch von CLAIM im Interview.

DTJ: Im vergangenen Oktober ist Ihre Kampagne „Mein Fall zählt!“ gestartet. Frau Gautsch, erzählen Sie uns bitte zu Beginn: Was war der Auslöser für diese Initiative – und warum ist sie gerade jetzt so wichtig?

Lea Gautsch: Die Initiative für die Kampagne „Mein Fall zählt!“ entstand vor dem Hintergrund des damals aktuellen Lagebildes, das die hohe Verbreitung antimuslimischen Rassismus und die große Dunkelziffer verdeutlicht. CLAIM arbeitet seit Jahren daran, antimuslimischen Rassismus einheitlich zu erfassen, zu dokumentieren und sichtbar zu machen, um die Datenlage zu verbessern. Dafür kooperieren wir eng mit Anlauf- und Beratungsstellen.

Viele Betroffene melden ihre Erfahrungen nicht – etwa, weil sie nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Mit der Kampagne informieren wir gezielt in öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Flyern und weiteren Materialien über Beratungs- und Meldemöglichkeiten. Unser Ziel ist es, Betroffene zu unterstützen, sie zu beraten und ihnen zu ermöglichen, ihre Rechte einzufordern.

Menschen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind, fragen sich: „War das, was ich erlebt habe, wirklich schlimm genug?“ Wie gehen Sie mit diesem verbreiteten Zweifel um?

Viele Menschen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind, zweifeln daran, ob das, was sie erlebt haben, „wirklich schlimm genug“ ist, um es als Diskriminierung oder Übergriff zu benennen. Dies geht aus der explorativen Studie „Erfahrungen und Umgangsstrategien von Betroffenen von antimuslimischen Rassismus“ von CLAIM hervor. Dieser Zweifel ist weit verbreitet: 75 % der Befragten waren sich unsicher, ob der Vorfall „schlimm genug“ war, und nur etwa ein Drittel formulierte ihre Erfahrung explizit als Diskriminierung oder Übergriff. Diese Unsicherheit ist eine zentrale Barriere dafür, dass Betroffene Vorfälle melden oder Beratungsangebote nutzen.

CLAIM betont, dass diese Selbstzweifel und die Tendenz, eigene Erfahrungen zu relativieren, Teil des Problems sind. Sie entstehen häufig, weil antimuslimischer Rassismus in der Gesellschaft vielfach bagatellisiert oder nicht ausreichend anerkannt wird. Betroffene werden dadurch zusätzlich verunsichert und fühlen sich mit ihren Erfahrungen allein gelassen.

Aus der Perspektive von CLAIM ist es daher wichtig, Betroffene darin zu bestärken, ihre Erfahrungen ernst zu nehmen – unabhängig davon, wie „schwerwiegend“ sie selbst den Vorfall einschätzen. Jede Form von Diskriminierung ist relevant und verdient Aufmerksamkeit. CLAIM betont die Notwendigkeit von niedrigschwelligen Meldemöglichkeiten und Empowerment-Räume, in denen Betroffene ihre Erfahrungen teilen und Unterstützung finden können. Ziel ist es, die gesellschaftliche Anerkennung für antimuslimischen Rassismus zu stärken und die Hürden für das Melden und die Inanspruchnahme von Beratung abzubauen.

Ein zentrales Ziel der Kampagne ist es, niedrigschwellige Beratung und Meldemöglichkeiten bekannt zu machen. Welche konkreten Angebote gibt es – und was passiert, wenn sich jemand meldet?

Zusätzlich zur Informationsformaten wie der „Mein Fall zählt“-Kampagne bieten wir bspw. Informations- und Empowerment-Workshops an, um Menschen darin zu bestärken, mit ihren Erfahrungen umzugehen. Eine eigene qualifizierte Beratung können wir aus Ressourcengründen derzeit nicht anbieten. Wir verweisen Hilfesuchende Menschen jedoch an spezialisierte Beratungsstellen bundesweit. Es gibt unterschiedliche Wege, wie uns Betroffene erreichen können. Zunächst gibt es das Meldeportal „i-report“.

Dort können Betroffene sowie Zeug*innen antimuslimische Vorfälle melden – anonym und vertraulich. In diesem Fall handelt es sich um eine Meldung. Es erreichen uns aber auch Vorfälle via E-Mail oder auch telefonisch. Grundsätzlich gilt: die ratsuchende Person entscheidet, was die weiteren Schritte sind. Manche Ratsuchenden möchten ihre Vorfälle bei uns melden, andere suchen weiterführende Beratung unterschiedlicher Art. Wir verweisen dann an spezialisierte Beratungsstellen, wie etwa an Gewaltopferberatungsstellen oder Antidiskriminierungsstellen. Wir qualifizieren zudem zum Umgang mit antimuslimischem Rassismus, um vor allem Selbstorganisationen zu schulen und Unterstützungsstrukturen für Betroffene von antimuslimischem Rassismus aufzubauen.

Die Kampagne richtet sich an sehr unterschiedliche Menschen – auch an jene, die bisher wenig Zugang zu solchen Angeboten hatten. Wie stellen Sie sicher, dass etwa auch ältere oder Menschen, die des Deutschen nicht mächtig sind, erreicht werden?

CLAIM legt großen Wert darauf, mit der Kampagne möglichst alle muslimischen Communities zu erreichen, ebenso muslimisch wahrgenommene Menschen und auch Zeugen oder Zeuginnen von Übergriffen.

Um das sicherzustellen, bieten wir unsere Informationsmaterialien – darunter Flyer, Poster und Postkarten – in mehreren Sprachen an, darunter Türkisch, Arabisch, Englisch und Deutsch. Diese Materialien werden gezielt an Orten verteilt, die für unterschiedliche Communities zugänglich sind, zum Beispiel in Moscheen, Gemeinden, Kiosks, Arztpraxen und Schulen. Darüber hinaus wird die Kampagne in verschiedenen Städten im Out-of-Home-Bereich beworben, unter anderen in U-Bahnen. So erreichen wir auch Menschen, die wenig Zugang zu digitalen Angeboten haben oder die deutsche Sprache nicht sicher beherrschen.

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Unsere Kampagne richtet sich ausdrücklich an alle, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind – unabhängig von Herkunft, Sprache, Alter oder Religionszugehörigkeit. Ebenso sprechen wir Menschen an, die Übergriffe beobachtet haben oder solidarisch handeln möchten. Das Ziel ist, Barrieren abzubauen und sicherzustellen, dass jede betroffene oder solidarische Person weiß: Es gibt kostenlose, anonyme Unterstützung und jede Erfahrung zählt.

Mit dieser breiten und inklusiven Ansprache möchten wir die Sichtbarkeit für antimuslimischen Rassismus erhöhen und alle Menschen darin bestärken, Vorfälle zu melden und Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Welche Reaktionen erhoffen Sie sich von der breiten Öffentlichkeit?

Mit der Sichtbarkeit der Kampagne im öffentlichen Raum – etwa in Verkehrsmitteln oder Kiosks in Berlin und Köln – erhoffen wir uns, möglichst viele Menschen so niedrigschwellig wie möglich zu erreichen. Unser Ziel ist, die breite Öffentlichkeit über Beratungsangebote und Meldemöglichkeiten zu informieren, Hemmschwellen abzubauen und Betroffene sowie Zeugen von antimuslimischem Rassismus zu ermutigen, Unterstützung in Anspruch zu nehmen und Vorfälle zu melden. Jede Erfahrung zählt – und jede Person soll wissen, dass sie nicht allein ist.

Zum Schluss: Was wünschen Sie sich ganz konkret von der Community? Wie können Moscheen, Vereine oder auch Medien wie unseres die Kampagne unterstützen?

Moscheen, Vereine und Medien können unser Infomaterial bestellen und weiterverbreiten, um über Melde- und Beratungsangebote zu informieren und möglichst viele Menschen zu erreichen. Ebenso wichtig ist es, Safe Spaces zu schaffen, in denen Betroffene sich austauschen, stärken und Mut fassen können.

CLAIM versendet bundesweit Infomaterial der Mein Fall zählt!-Kampagne. Eine kostenlose Bestellung ist hier möglich.

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Stefan Kreitewolf