EURO2024
Auf dem Platz ein Star, daneben nicht: Arda verzückt nicht nur türkische Fans

Draußen feierten die völlig euphorischen Fans wie bei einem EM-Titel, drinnen saß Matchwinner und Mann des Spiels Arda Güler schüchtern auf dem Podium. Der Auftritt des 19-Jährigen im Presseraum des BVB-Stadions stand im krassen Gegensatz zu den Partys der türkischen Fußball-Anhänger in ganz Deutschland. Mit Autokorsos, bengalischen Fackeln und lauten Gesängen untermauerten die Anhänger in Berlin, Dortmund oder Düsseldorf eindrucksvoll die These ihres Mittelfeldspielers Kaan Ayhan, der in der ARD sagte: „Ich würde sagen, wir sind der zweite Gastgeber hier.“
Mit seinem Traumtor zum 2:1 ebnete Güler der Türkei den Weg zum 3:1-Auftaktsieg gegen Georgien. Das Ausnahmetalent von Real Madrid soll der nächste große türkische Fußball-Held werden. Neben dem Platz fehlt ihm zwar noch sehr viel zur Aura eines Weltstars wie Cristiano Ronaldo, den er als jüngsten Torschützen beim EM-Debüt ablöste und zum fünfjüngsten Schützen bei einer EM überhaupt wurde. Auf dem Rasen bewies Güler jedoch eindrucksvoll, warum er in der Türkei „Goldjunge“ genannt wird.
Tor und Sieg als Geburtstagsgeschenk für Montella
Auf der rechten Außenbahn wirbelte er unermüdlich. Güler flankte immer wieder, zog dynamisch in die Mitte und zeigte bei seinem Treffer seine außergewöhnliche Schusstechnik und -kraft. „Er wird nach dem Turnier zu den besten Spielern des Turniers gehören“, sagte Mitspieler Yusuf Yazıcı.
Von Güler selbst hörte man derart offensive Aussagen nicht. Der Champions-League-Sieger hielt sich mit Kommentaren generell und mit jenen zu seiner eigenen Leistung ganz besonders zurück. „Hoffentlich kann ich noch mehr Tore schießen, um meinem Team zu helfen“, war das angriffslustigste, was der von der UEFA als Spieler des Spiels geehrte Teenager von sich gab. Im Gespräch mit dem türkischen Kommentator von TRT, der ihm nochmal sein Tor und seinen Jubelschrei dazu abspielte, sagte Güler, dass der TRT-Mann hoffentlich weiter so laut Tore bejubeln könne.
Bestes EM-Spiel bisher: Türkei gewinnt Spektakel gegen Georgien
Sein Tor widmete er seinem Trainer Vincenzo Montella zum 50. Geburtstag. Der Coach bedankte sich lächelnd und mit einem väterlichen Griff an die Schulter. Dass Güler gleich in seinem ersten EM-Spiel so auftrumpft, hatten der italienische Trainer und die türkischen Fans vielleicht erhofft. Zu erwarten war es nicht unbedingt.
Ancelotti meldet sich: „Der Ball liebt ihn“
Denn Güler hat eine komplizierte Saison bei Real hinter sich. Nach seinem Wechsel zu den Königlichen im vergangenen Sommer warfen ihn Verletzungen immer wieder zurück. Als Güler wieder genesen war, baute ihn Coach Carlo Ancelotti behutsam auf. Wobei gemunkelt wird, dass Güler gar nicht verletzt war bzw. nicht so lange, sondern Real Güler ganz bewusst aus dem Spielbetrieb genommen habe, damit er an seiner Kraft und Athletik arbeiten könne. Sein erstes Ligaspiel in Spanien bestritt Güler jedenfalls Ende Januar. Es folgten neun weitere Partien in der Primera División, fünf davon als Einwechselspieler. Mit sechs Toren deutete Güler an, was in ihm steckt. In dieser kurzen Spielzeit waren so viele LaLiga-Treffer noch niemandem zuvor gelungen – nicht mal Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi.
Nun zeigte er das auch auf der ganz großen europäischen Bühne und freute sich über die Gratulation seines Vereinscoaches. Ancelotti habe sich bereits bei ihm gemeldet, verriet Güler noch am Abend des Spiels. Zur 65 Jahre alten Trainerlegende, den türkische Fans in der Vergangenheit ob der geringen Einsatzzeiten Gülers nicht selten kritisierten, hat er eine besondere Beziehung. „Arda hat eine Gabe“, fabulierte Ancelotti einmal über seinen Schützling. „Der Ball liebt ihn.“
Und nicht nur der. Türkische und arabische Kommentatoren brüllten ihre Freude über Gülers Tor ins Mikrofon. Der frühere deutsche Nationalspieler und Weltmeister von 2014, Mesut Özil, ließ die Öffentlichkeit via X an seiner Anerkennung für Güler teilhaben und der staatliche Sender „TRT Spor“ schrieb: „Er wird nicht der Spieler des Spiels sein, sondern der Spieler der Euro 2024: Arda Güler.“ Für einige Fans ist das zu viel des Guten. Sie wollen lieber den Ball flach halten und hoffen einfach, dass Arda gesund bleibt und weiter gut performen kann. Die nächste Chance, einen Schritt dahin zu machen, hat Güler am Samstag ab 18 Uhr gegen Portugal.
„Darüber müssen wir sprechen“: Sergen Yalçın gibt den Mahner
Übrigens gibt es in der türkischen Öffentlichkeit nicht nur positive Stimmen nach dem Auftaktsieg. Sergen Yalçın, einst ebenfalls ein Ausnahmespieler und nun Trainer, passte die taktische Ausrichtung Montellas in der Schlussviertelstunde, als die Georgier sehr nah dran am Ausgleichstreffer waren, ganz und gar nicht.
„Er hat ab der 75. Minute mit einer Fünferkette in der Abwehr agiert. Das ist ein absolutes Unding. Die Botschaft an die Spieler war: Lasst euch fallen, steht tief. Wenn dieses Spiel 2:2 geendet hätte, worüber hätten wir jetzt gesprochen? Ja, wir haben gewonnen, aber da war schon Glück dabei. Es ist sehr gut, mit einem Sieg zu beginnen (das erste Mal in der türkischen Turniergeschichte, Anm. d. Red.), aber wir können das Spiel (in den letzten Minuten) nicht ignorieren. Darüber müssen wir sprechen, wir dürfen uns nicht blenden lassen“, so der einstige Mittelfeldstar, der immer wieder auch als türkischer Nationaltrainer gehandelt wird, gegenüber „Kafa Sports“.
Georgien bezeichnete er des Weiteren als schwächste Mannschaft des Turniers, sie werde im weiteren Verlauf des Turniers kein weiteres Tor mehr erzielen. Zumindest im letzten Punkt dürfte es nicht wenige Fans und Experten geben, die ihm widersprechen werden.
dpa/dtj