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Politik

Kritik ist ein Verbrechen gegen Erdoğan

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Bundespräsident Gauck hat bei seiner Türkei-Reise am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, die Politik Erdoğans zu kritisieren. Dabei ist er mit leichten Schrammen davongekommen. Die Kritiker im Lande müssen Schlimmeres befürchten. (Foto: rtr)

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Bundespräsident Gauck im Gespräch mit dem türkischen Premier Erdogan.
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MEINUNG Der türkische Ministerpräsident ist in diesen Tagen nicht gut auf Prediger zu sprechen. Zuerst legte er sich mit dem in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen an.

Nun attackiert er Bundespräsident Joachim Gauck, der bei seiner Türkei-Reise den demokratischen Zustand des Landes zu kritisieren gewagt hat. Er warf ihm vor, sich immer noch wie ein Pastor zu verhalten – ein Hinweis auf die Ausbildung und den ursprünglichen langjährigen Beruf Gaucks – und sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einzumischen.

Dabei ist Erdoğan selbst jemand, der von Hause aus sich mit Predigern verstehen und sich in deren Klage hineinversetzen können sollte. Er hat in seiner Jugend eine sogenannte Imam-Hatip-Schule besucht, gibt sich als Gläubiger aus. Warum stimmt nun die Chemie nicht?

Weiche Macht gegen harte Macht

Nun, Erdoğan hat sich gewandelt. Er ist nicht mehr der, der er mal war. Das Wort „Prediger“ kommt laut Wikipedia aus dem Lateinischen und bedeutet dem Wortsinn nach jemand, der etwas vor dem Publikum verkündet (predicare = öffentlich aussagen).

Unter dem Begriff Prediger versteht man jemanden, der das Wort Gottes verkündet. Ein Prediger ist jemand, der selbst keine, aber dessen Wort Macht hat. Jemand, dem man eine gewisse moralische Autorität zuerkennt, selbst wenn man selbst nicht religiös oder gläubig ist. Der insofern über eine weiche Macht verfügt.

Erdoğan dagegen ist ein Politiker, der über harte Macht verfügt. Aber er ist zugleich ein Politiker, der seit geraumer Zeit mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist und sich in die Ecke gedrängt fühlt. Er ist ein Politiker, der in dieser Situation populistisch argumentiert, nach dem Motto verfährt: Angriff ist die beste Verteidigung.

Kein Respekt vor irgendeiner Instanz

Er reagiert auf Kritik äußerst harsch, kennt dabei keine Instanz, vor der er Respekt hätte. Vor kurzem sagte er, er hätte vor einem Urteil des Verfassungsgerichtes der Türkei keinen Respekt. Er zeigte auch keinen Respekt vor dem Präsidenten des Verfassungsgerichtes, der sich seine Sicht der Dinge nicht zu Eigen gemacht hat.

Bei seinem Besuch in Deutschland sagte er: Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Mittlerweile verdeutlicht er: Eine Kritik seiner Politik ist ein Verbrechen gegen den erhabenen Ministerpräsidenten Erdoğan.  

Von daher ist seine Kritik an Gauck nichts Überraschendes. Er verfügt über eine harte Macht und fühlt sich durch die Inhaber der weichen Macht bedroht. In dieser Lage stellt sich die Frage: Wer behält am Ende die Oberhand? Recht oder Macht? Weiche oder harte Macht?

Gaucks Glück!

An dieser Stelle sollte auch Bundespräsident Gauck Dank und Anerkennung ausgesprochen werden. Zeigte er doch mit seiner Kritik und dem dadurch hervorgerufenen Zorn Erdoğan, unter welchem Druck in der Türkei diejenigen stehen, die sich nicht zum Handlanger Erdoğans machen lassen, die es sogar wagen, ihn zu kritisieren.

Man kann sogar sagen: Gauck ist mit einem blauen Auge davongekommen. Jeden Kritiker erklärt Erdoğans Pressemeute zum Instrument oder Anhänger der Gülen-Bewegung. Und Erdoğan lädt die Betreffenden jeweils dazu ein, ihre Position zu verlassen und sich ihm im politischen Feld als Rivalen zu stellen.

Ersteres hat die Erdoğan-Presse behauptet, Zweiteres ist nicht passiert. Gauck kann von Glück sagen, dass er kein türkischer Staatsbürger ist. Sonst wäre auch ihm diese Einladung bestimmt nicht erspart geblieben.