Deutschland heruntergestuft: Gaza und Umgang mit Israel hat Folgen „in alarmierendem Tempo“
Deutschland galt lange als Referenzmodell liberaler Demokratie. Ein Land mit belastbarer Pressefreiheit, lebendiger Zivilgesellschaft und einem Staat, der Kritik aushält. Doch dieses Selbstbild bekommt Risse. Ein Bericht attestiert der Bundesrepublik nun einen deutlichen Verlust an bürgerlichen Freiheiten – ausgelöst durch den Umgang mit Protesten gegen den Krieg in Gaza.
Die globale Nichtregierungsorganisation Civicus hat Deutschland im aktuellen Jahresbericht zur Lage der Zivilgesellschaft herabgestuft. Der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum gilt demnach nicht mehr als lediglich „beeinträchtigt“, sondern als „beschränkt“. Es ist die dritte von fünf Stufen – und ein Befund, der Deutschland in eine Reihe mit Staaten stellt, deren Demokratien seit Jahren unter Druck stehen.
Bemerkenswert ist vor allem das Tempo. Noch vor zwei Jahren wurde Deutschland im Civicus-Monitor als „offen“ geführt – der höchsten Kategorie. 2023 folgte der erste Abstieg, nun der zweite. Die Forschenden sprechen von einer Entwicklung „in alarmierendem Tempo“.
Der Konflikt im Inneren
Der Monitor bewertet 198 Länder anhand zentraler Freiheitsrechte: Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit. Dass Deutschland innerhalb so kurzer Zeit gleich zwei Stufen verliert, ist in der westeuropäischen Vergleichsgruppe die Ausnahme. Auf derselben Kategorie finden sich nun unter anderem Frankreich, Großbritannien, die USA, Ungarn oder Brasilien. Als wirklich „offen“ gelten in Europa nur noch wenige Staaten, etwa in Skandinavien oder im Baltikum.
Auslöser der Herabstufung ist vor allem das staatliche Vorgehen gegen palästinasolidarische Proteste. Seit Beginn des Gaza-Kriegs kam es bundesweit zu Demonstrationen, Mahnwachen und Kundgebungen – überwiegend friedlich, aber fast durchgehend unter strengen Auflagen. In Berlin allein wurden im Zusammenhang mit solchen Protesten mehrere tausend Strafanzeigen gestellt.
Kritik als Risiko
Civicus dokumentiert ein Muster: Versammlungen werden stark reglementiert, kleinste Auflagenverstöße führen zu polizeilichem Einschreiten. Teilnehmende, Journalistinnen und parlamentarische Beobachter berichten von Einkesselungen, Pfefferspray, Schlägen und Würgegriffen. Der Einsatz von Gewalt sei häufig unverhältnismäßig, so der Bericht.
Wie deutsche Medien bei Palästina versagen – und wer es besser macht
Ein besonders umstrittener Fall ereignete sich Anfang 2025, als eine Kundgebung aufgelöst wurde, weil Teilnehmende Arabisch gesprochen hatten – ein Verstoß gegen eine behördliche Auflage. Auch Veranstaltungen mit der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete wurden nach politischem Druck verlegt und von massiven Polizeiaufgeboten begleitet. Selbst Studierende, die einen Livestream verfolgten, gerieten ins Visier der Sicherheitsbehörden.
Die berüchtigte „Antisemitismus-Keule“
Was den Civicus-Bericht besonders alarmiert, ist nicht allein die Polizeipraxis, sondern das politische Klima, das sie begleitet. Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza werde in Deutschland zunehmend pauschal mit Antisemitismus gleichgesetzt, heißt es. Diese Gleichsetzung wirke einschüchternd, schränke legitime Meinungsäußerung ein und stärke rechte Akteure, die den Diskurs gezielt verengen.
Nicht nur palästinasolidarische Gruppen geraten unter Druck. Auch antifaschistische Proteste – etwa gegen die AfD – werden laut Civicus zunehmend mit Härte beantwortet. Beim AfD-Parteitag im sächsischen Riesa im Januar 2025 wurde ein Landtagsabgeordneter bei einem Polizeieinsatz bewusstlos geschlagen. Der Vorfall steht exemplarisch für eine Eskalation, die über Einzelfälle hinausweist.
Ein Warnsignal
Hinzu kommt der wachsende Druck auf Nichtregierungsorganisationen. Mehrere NGOs berichten von Mittelkürzungen, Durchsuchungen und Überwachung, insbesondere wenn sie sich kritisch zur deutschen Israel-Politik äußern. Politische Forderungen nach „Neutralität“ werden zunehmend genutzt, um zivilgesellschaftliches Engagement zu delegitimieren oder unter Beobachtung zu stellen.
Civicus bewertet diese Entwicklung als gefährliche Verschiebung: Statt die Zivilgesellschaft als demokratisches Korrektiv zu schützen, werde sie zunehmend als Störfaktor behandelt. Der Bericht ist mehr als eine internationale Momentaufnahme. Er ist ein Warnsignal – auch für ein Land, das sich gern als Hort liberaler Werte versteht.



