Gesellschaft

Dialog als Brücke: Ein Abend der Begegnungen im Münchner Künstlerhaus

  • Dezember 4, 2025
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Dialog als Brücke: Ein Abend der Begegnungen im Münchner Künstlerhaus

Gastbeitrag von Kadir Boyacı

Es war einer dieser Abende, an denen die viel beschworene „gesellschaftliche Vielfalt“ nicht nur ein politisches Schlagwort blieb, sondern an runden Tischen, in leisen Gesprächen und in gemeinsamen Momenten tatsächlich erlebbar wurde. Am 27. November lud das Interkulturelle Dialogzentrum IDIZEM e.V. zum traditionellen Dialog-Dinner in das Münchner Künstlerhaus ein – und mehr als 180 Gäste aus Politik, Religionsgemeinschaften, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft folgten dieser Einladung.

Ein Abend mit Geschichte

IDIZEM e.V., gegründet 2001 in München und Mitglied im Bund Deutscher Dialog Institutionen (BDDI), zählt zu den ersten Hizmet-Dialogvereinen in Deutschland (Hizmet ist die Selbstbezeichnung der Gülen-Bewegung, Anm. d. Red.). Seit über zwei Jahrzehnten organisiert der Verein im Wechsel Dialog-Dinner und Dialogpreis – und hat damit ein Format etabliert, das weit über die Stadtgrenzen hinaus Anerkennung findet.

IDIZEM leistet großartige Arbeit für den interreligiösen und interkulturellen Dialog und schafft Räume, in denen echte Begegnung möglich wird“, betonte Karl Straub (CSU), Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, in seiner Begrüßung. „Diese Arbeit ist heute wichtiger denn je.“

Im Zentrum des Abends stand die Festrede von Prof. Dr. Wolfgang Palaver (Universität Innsbruck) unter dem Titel „Die Wahrheit der Gewaltfreiheit als Weg zum Frieden“.

Die Wahrheit der Gewaltfreiheit

Palaver, international bekannt für seine Forschung zu Gewalt, Religion und gesellschaftlicher Versöhnung, führte die Gäste auf eine inspirierende Reise durch die Denkweisen großer Persönlichkeiten wie Mahatma GandhiNelson Mandela und Fethullah Gülen.

Er erinnerte daran, dass Gandhis Satyagraha, das „Festhalten an der Wahrheit“, eine Liebes- und Seelenkraft sei, die aktive Gewaltfreiheit erst möglich mache. Gandhi habe Religionen als „Blumen aus ein und demselben Garten“ verstanden – ein Bild, das sichtbar mache, wie tief verwoben interreligiöser Dialog sein kann.

Palaver knüpfte diesen Gedanken an das Wirken von Fethullah Gülen an, der Gandhi als „unerschütterliches Vorbild der Gewaltfreiheit“ bezeichnete. Mitglieder und Anhänger der Hizmet-Bewegung seien, so Palaver, seit vielen Jahren „verlässliche Partner im christlich-muslimischen Dialog“.

Mit Blick auf Nelson Mandela hob Palaver hervor, dass echter Frieden niemals auf Vergeltung, sondern auf Vergebung aufbaue:Mandela hat verstanden, dass die Erinnerung an das Leid nicht dazu dienen darf, neue Verletzungen zu erzeugen, sondern den Weg zu echter Versöhnung zu öffnen.

Gleichzeitig warnte Palaver vor politischen Amnestiekonzepten, die schwere Verbrechen – wie die Kriegsverbrechen von Butscha – „dem Vergessen überlassen“ würden. Frieden ohne Gerechtigkeit sei ein trügerischer Frieden.

Religiöse Quellen der Vergebung

Besonders eindrücklich war Palavers Blick in die heiligen Schriften der abrahamitischen Religionen. Er zeigte die spirituelle Kraft der Vergebung anhand bekannter Beispiele:

Josef vergibt seinen Brüdern: „Kein Tadel sei auf euch an diesem Tag!“ (Sure 12, 92)
Prophet Muhammads Gebet für jene, die ihn verfolgten: „O Gott, vergib meinem Volk, denn sie wissen es nicht.
Jesu Worte am Kreuz: „Vater, vergib ihnen…

Diese Beispiele, so Palaver, sollten uns daran erinnern, dass „Frieden nie nur politisch, sondern immer auch menschlich und spirituell errungen wird“.

Begegnungen, die bleiben

Moderiert wurde der Abend von Monika Eckert, die seit zwölf Jahren souverän durch das Programm führt und den Gästen Raum gab, nicht nur zuzuhören, sondern auch miteinander in den Dialog zu treten. Musikalisch untermalt wurde das Dinner von Zeki Göçmen, dessen  feinfühlige Performance Atmosphäre und Gespräche miteinander verband.

Während der Pausen mischten sich Stimmen und Sprachen, politische Akzente und persönliche Geschichten. Gäste aus der jüdischen Gemeinde, Vertreter muslimischer und christlicher Vereinigungen, Mitglieder des bayerischen Landtags, Konsulatsvertreter und zahlreiche Multiplikatoren aus München und Umgebung kamen miteinander ins Gespräch.

Das Besondere ist nicht nur das Essen – es ist das Miteinander am Tisch“, sagte eine Teilnehmerin. „Man spricht nicht über Vielfalt, man sitzt mitten drin.“ Ein anderer Gast formulierte es so: „In einer Zeit, in der Spaltungen lauter werden, brauchen wir Orte, die leise verbinden.

Ein leiser, aber wirkungsvoller Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden

Das Dialog-Dinner des IDIZEM e.V. zeigte eindrucksvoll, wie wichtig Räume sind, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Weltanschauung zusammenkommen – nicht im Modus der Debatte, sondern im Geist gegenseitiger Neugier.

In einer Phase, in der gesellschaftliche Polarisierung zunimmt, setzen Veranstaltungen wie diese ein anderes Zeichen: Sie erinnern daran, dass Dialog nicht naiv, sondern notwendig ist – und dass Frieden immer dort beginnt, wo Menschen einander zuhören.

Solche Initiativen sind für unser friedliches und inklusives Zusammenleben von unschätzbarem Wert“, fasste ein Gast den Abend zusammen.

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