Gesellschaft
Die Assimilation der Russlanddeutschen
Vor 250 Jahren wurden die ersten deutschen Siedler in Russland heimisch. Mittlerweile hätten ihre Nachfahren die russische Kultur weitgehend übernommen, sagt der in Südrussland geborene Historiker Prof. Victor Dönninghaus. (Foto: rtr)
Wie und wo leben Deutsche in Russland heute?
Nun, die meisten – 2,5 Millionen – sind wieder nach Deutschland zurückgekommen. Diejenigen, die in Russland geblieben sind, knapp 400 000, werden sehr geachtet. Als fleißige Bauern, als Menschen, die zu ihrem Wort stehen und vor allem als Menschen, die weniger dem Alkohol zugetan sind.
Welche Rolle spielt für Russlanddeutsche die deutsche Kultur heute, und sprechen sie nach so langer Zeit überhaupt noch Deutsch als Muttersprache?
Nur die gut gebildeten. Im Alltag ist das Deutsche nämlich schwierig zu leben, weil überall Russisch gesprochen wird. Anfangs haben die Siedler ihre Kultur und Sprache noch sehr stark bewahrt. Sie hatten ihre eigenen Schulen, sie sprachen miteinander Deutsch, blieben unter sich. Spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg war es damit aber vorbei. Sie galten als Feinde und wurden verfolgt. Viele haben deshalb versucht, ihre Nationalität zu verschleiern und sich anzupassen. Alles, um ihre Familien zu schützen.
Viele Russlanddeutsche sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Die großen Wellen waren in den 1980er und 1990er Jahren. Und heute?
Diese Abwanderungswelle ist zurückgegangen. Das liegt daran, dass Deutschland die Russlanddeutschen in Russland heute viel mehr unterstützt. Wirtschaftlich sieht es in Russland heute ja auch viel besser aus.
Wo leben die Nachfahren der Siedler heute in Russland?
Historisch gibt es zwei große Siedlungsgebiete. Das eine ist die Schwarzmeerregion, das andere das Wolga-Gebiet. Dort gab es bis 1941 sogar eine autonome Republik der Wolgadeutschen. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Deutschen aber nach Sibirien, Kasachstan und in das Uralgebiet deportiert. Stalin dachte, dass diese Menschen mit den Faschisten kollaborieren. Ein trojanisches Pferd sozusagen. Obwohl das natürlich nicht so war.
Sehen Sie heute eine ernsthafte Autonomiebewegung der Deutschen in Russland?
In den 1960er Jahren gab es Wolgadeutsche, die versucht haben, in ihre ursprünglichen Gebiete zurückzukommen. Letztlich haben sie es aber nicht geschafft. Ein Grund, weshalb viele stattdessen nach Deutschland gegangen sind. Außerdem lebten im Wolga-Gebiet in den 1990ern natürlich schon andere Menschen. Deshalb gab es dort eine sehr starke antideutsche Stimmung. Man hatte Angst, dass die Russlanddeutschen ihre alten Ansprüche geltend machen.
Gibt es diese antideutsche Stimmung dort noch heute?
Ja! Das hat mich selber gewundert. Als ich vor einem guten Jahr auf einer Tagung dort war, kamen mir antideutsche Flugblätter in die Hände. Das war für mich als Wissenschaftler im Jahr 2011 sehr überraschend. In der Wolga-Region leben ja heute kaum Deutsche mehr. Die großen Siedlungen sind in Kasachstan, am Ural und in Sibirien. Wer jetzt noch dort lebt, bleibt meistens auch dort. (dpa/dtj)