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Politik

EU verurteilt Zwangsverwaltung türkischer Kommunen

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Die Fahnen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wehen vor dem Gebäude des Europäischen Parlaments. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa
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Das Europäische Parlament hat mit deutlicher Mehrheit eine Resolution verabschiedet, die die Praxis der türkischen Regierung kritisiert, gewählte Bürgermeister durch regierungsnahe Treuhänder zu ersetzen. Besonders betroffen sind prokurdische Parteien, aber auch Vertreter der oppositionellen CHP. 

Am 13. Februar hat das Europäische Parlament mit deutlicher Mehrheit einen Entschließungsantrag angenommen, der die Praxis des Treuhandsystems der türkischen Regierung in Kommunalverwaltungen anprangert. Seit 2016 hat die Führung in Ankara bereits 101 gewählte Bürgermeister abgesetzt und durch regierungsloyale Treuhänder ersetzt. Dazu hat sie 151 gewählten Kommunalvertretern ihre Mandate aberkannt.

Nacho Sanchez Amor, der Berichterstatter des Europäischen Parlaments für die Türkei, hatte im Vorfeld der Resolution diese Praxis deutlich kritisiert. Während der Plenarsitzung in Straßburg sprach er von einem „Beweis für das abgrundtiefe Ausmaß des demokratischen Niedergangs in der Türkei“. Das Land erlebe einen „klaren Angriff auf die Grundfeste der Demokratie“.

Resolution des EU-Parlaments zitiert zehn Fälle seit 2024

Grundlage für das Vorgehen der türkischen Regierung ist ein Gesetz, das nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli jenes Jahres verabschiedet wurde. Es erlaubt der Zentralregierung in Ankara den Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, wenn „nationale Sicherheitsbedenken“ bestehen. In den meisten Fällen reicht die Aufnahme von Ermittlungen nach den sehr weit ausgelegten Terrorismus-Gesetzen aus. Eine rechtskräftige Verurteilung ist nicht erforderlich.

In den meisten Fällen sind Bürgermeister prokurdischer Parteien von den Zugriffen aus Ankara betroffen. Zwei der zehn Fälle, die das EU-Parlament in seiner Resolution zitiert, und die sich seit den Kommunalwahlen 2024 zugetragen hatten, betreffen jedoch Ortschefs der Republikanischen Volkspartei (CHP). Die Entschließung verurteilt die mit der Absetzung einhergehende Inhaftierung der Bürgermeister Mehmet Sıddık Akış (Hakkâri) und Abdullah Zeydan (Van).

„Terrorismus“ als Vorwurf gegen DEM – „Korruption“ gegen CHP

Beide gehören der Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM) an. Die Mitglieder der vom Verbot bedrohten Demokratischen Partei der Völker (HDP) hatten sich 2023 der Grünen Linkspartei (YSP) angeschlossen. Das Gemeinschaftsprojekt trägt nun den Namen DEM.

Türkische Regierung setzt erneut prokurdische Bürgermeisterin ab

Die Regierung in Ankara versucht regelmäßig, Parteien dieser Art als politische Arme der terroristischen PKK darzustellen. Diese führt seit 1984 einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat, will ihn aber nun niederlegen. Die AKP hatte bereits im Jahr 2013 einen Friedensprozess mit dem inhaftierten PKK-Anführer Abdullah Öcalan in die Wege geleitet. Nachdem die Erdoğan-Partei 2015 bei den Parlamentswahlen ihre absolute Mehrheit verloren hatte, vollzog sie jedoch eine Kehrtwende in dieser Frage, um sich mithilfe der Nationalisten strategisch die Macht zu sichern.

Während das EU-Parlament die Terrorismus-Vorwürfe gegen Akış und Zeydan für „unsubstantiiert“ hält, weist die Resolution auch auf andere Fälle politischer Instrumentalisierung der Justiz hin. So sei der zweimal mit deutlicher Mehrheit gewählte CHP-Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, ebenfalls Ziel „mehrfacher rechtlicher Anfechtungen und möglicher politischer Disqualifikation“.

Warum werden keine Treuhänder der siegreichen Partei eingesetzt?

Berichterstatter Sanchez Amor nannte das Gesetz „undemokratisch“. Vor allem sei es aber die Praxis seiner Umsetzung. Es wäre ohne weiteres möglich, dass die Regierung auch auf der Grundlage dieses Gesetzes Treuhänder aus den Reihen der kommunal siegreichen Partei ernenne. Tatsächlich gehören die Regierungskommissäre aber regelmäßig der AKP an, obwohl diese die Wahl verloren habe. Nach den Kommunalwahlen von 2019 wurden nur sechs der 65 Gemeinden, in denen die damalige HDP die Wahl gewann, am Ende von dieser regiert.

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In der Resolution werden auch Sanktionen gegen beteiligte türkische Beamte gefordert, die als Treuhänder in Erscheinung treten. Dazu sollten das Einfrieren von Vermögenswerten und Reiseverbote gehören. Das „Globale Sanktionsregimes der EU für Menschenrechte“ (EU GHRSR) biete dafür auch eine Grundlage.

Die Parlamentarier fordern die Türkei außerdem dazu auf, alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umzusetzen. Dies solle auch für diejenigen gelten, die politische Haftstrafen betreffen. Ob es zu Sanktionen kommen wird, ist ungewiss. In der EU-Kommission ist man bestrebt, in der derzeitigen geopolitischen Lage Konfrontationen mit der Türkei zu vermeiden. Das dürfte dem Vorgehen der Erdoğan-Regierung gegen die Opposition jedoch zusätzliche Handhabe verleihen.