Gesellschaft

Fethullah Gülen und sein Erbe: Vielbeachtete Konferenz ein Jahr nach seinem Tod

  • Oktober 17, 2025
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Fethullah Gülen und sein Erbe: Vielbeachtete Konferenz ein Jahr nach seinem Tod

Knapp ein Jahr nach dem Tod von Fethullah Gülen haben Wissenschaftler, Theologen und zivilgesellschaftliche Akteure im US-Bundesstaat New Jersey dessen Erbe diskutiert. Gülens Ideen über Bildung, interreligiösen Dialog und moralische Verantwortung inspirieren heute Menschen auf mehreren Kontinenten.

Anfang Oktober fand an der Drew University im US-Bundesstaat New Jersey eine vielbeachtete internationale Konferenz zum Thema „Denken und Wirken Fethullah Gülens“ statt. Am 20. Oktober jährt sich zum ersten Mal der Todestag des weltweit geschätzten Islamgelehrten.

Die Respect Graduate School in Pennsylvania und das Peace Islands Institute haben aus diesem Anlass Wissenschaftler, Theologen und Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen. Sie sollten über Bildung, Dialog, Friedensförderung und Identitätsbildung im Lichte des Werks von Fethullah Gülen diskutieren.

Internationales Publikum würdigt Leben und Werk von Gülen

Die Teilnehmer kamen von mehreren Kontinenten, aus Deutschland war unter anderem Dr. Mehmet Evrim Altın vertreten, der über die Stärken von Gülen-Schulen referierte. Dr. Rafeeq Karimpanackal reiste sogar aus Indien an.

Die Präsidentin der Drew University, Hilary L. Link, wandte sich an den Kongress mit einem persönlichen Grußwort. Mit Prof. Suat Yıldırım, Abdullah Aymaz und Naci Tosun waren zudem auch jahrzehntelange enge Weggefährten von Fethullah Gülen unter den Rednern.

Als prominenter Gast wandte sich auch Enes Kanter Freedom, ehemaliger NBA-Profi und Menschenrechtsaktivist, an die Versammelten. Er sprach über die Bedeutung von Gülens Lehren für sein persönliches Leben und für die jüngere Generation.

Wie Gülen den Dschihad versteht

Besondere Aufmerksamkeit fand der Vortrag des Historikers Ori Z. Soltes von der Georgetown University. Er widmete sich Gülens Verständnis des zum Reizwort gewordenen Begriffs des Dschihad. Soltes arbeitete heraus, wie Gülen eine Deutung jenseits politischer und militärischer Bezüge bietet.

Der in der Bewegung als Hocaefendi verehrte Gülen habe ein Verständnis des Dschihad als eines dreifachen Wegs der moralischen Verantwortung entwickelt. Ein Aspekt dabei sei der persönliche Kampf um Selbsterziehung und Integrität. Dazu komme der soziale Einsatz durch Bildung und bürgerschaftliches Engagement. Der dritte Aspekt sei der zivile Widerstand gegen Unrecht – ohne diesen mit eigenem Streben nach Macht zu verbinden.

Soltes betonte, Gülen habe damit eine Theologie des „zivilen Islam“ geschaffen, die Gewalt und Radikalismus widerspreche und Glauben mit Tatkraft und Demut verbinde.

Katholische Stimmen: Gemeinsame Werte als Brücke zwischen Religionen

Neben dem aus der jüdischen Community stammenden Soltes nahmen auch mehrere katholische Theologen an der Konferenz in New Jersey teil. Sie würdigten das Dialogkonzept Gülens als eine bedeutende Grundlage für Verständigung zwischen den Religionen. Zu den Rednern gehörten Scott Alexander von der Catholic Theological Union, Franziskanerpater James Puglisi und der italienische Theologe Antonio Cuciniello.

Sie machten unter anderem die Parallelen zwischen Gülens Friedensverständnis und dem Human Fraternity Document zum Thema. Dieses wegweisende Dokument des interreligiösen Dialogs hatten 2019 Papst Franziskus und der Großimam von Al-Azhar, Ahmed el-Tayeb, unterzeichnet.

Dr. M. Evrim Altın befasste sich mit dem Erfolgsmodell der Gülen-Schulen in Deutschland. Er erklärte, warum diese Einrichtungen nicht nur für türkeistämmige Schüler attraktiv seien. Altın erläuterte, wie die Schulen akademische Exzellenz mit Charakterbildung vereinten. Sie setzten auf mehrsprachige Lehrpläne, individuelle Förderung und einen wertebasierten Unterricht, der auf moralische Entwicklung statt auf reine Leistung ziele. Dies schaffe ein stabiles Bildungsumfeld – unabhängig von politischen oder religiösen Zugehörigkeiten.

Gülens Denken als Synthese von Glaube, Vernunft und sozialer Verantwortung

Die Tagung insgesamt zeigte, dass das Denken Fethullah Gülens auch nach seinem Tod Menschen in aller Welt inspiriert und über nationale und religiöse Grenzen hinausweist. Der Religionshistoriker Paul Weller äußerte in seinem Vortrag, Gülens Methodik biete einen theologischen Rahmen, in dem Menschen verschiedener Glaubensrichtungen ihre Wahrheit leben und sich gegenseitig bereichern können.

Der Konsens unter den Teilnehmenden lautete, dass Gülen für eine Synthese aus Glaube, Vernunft und sozialer Verantwortung stehe. Im Zeitalter von Polarisierung und moralischer Unsicherheit könne dies eine neue Orientierung bieten. Aufgrund der Verfolgungssituation in der Türkei, wo Gülen und seine Anhänger als Staatsfeinde gelten, werden die USA und auch europäische Länder künftig eine noch zentralere Rolle dabei spielen, dieses geistige Erbe weiterzutragen.

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