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Fortschrittsbericht 2025: EU zieht ernüchternde Bilanz für die Türkei

  • November 19, 2025
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Fortschrittsbericht 2025: EU zieht ernüchternde Bilanz für die Türkei

Der neue EU-Fortschrittsbericht für die Türkei zeichnet ein gemischtes, überwiegend jedoch kritisches Bild. Während Ankara in einigen Bereichen moderate Fortschritte erzielt hat, überwiegen massive Rückschritte bei demokratischen Standards, Justizunabhängigkeit und Grundrechten. Ein Wiederaufleben des Beitrittsprozesses ist nicht in Sicht.

Der EU-Fortschrittsbericht für die Türkei, der Anfang November vorgelegt wurde, macht deutlich, dass der Beitrittsprozess weit davon entfernt ist, wiederaufgenommen zu werden. Zwar bleibt sie formal Bewerberland und ihre Rolle als strategischer Partner ist weiterhin bedeutend. Dies gilt vor allem für Bereiche wie Migration, Sicherheit und Handel.

Auch gab es in einigen beitrittsrelevanten Punkten leichte Fortschritte und die marktwirtschaftliche Entwicklung der Türkei bleibt hinreichend ausgeprägt. Allerdings gibt es – wie der Bericht unterstreicht – bei einer Vielzahl an relevanten Faktoren gravierende Rückschritte. Diese attestiert der EU-Bericht der Türkei insbesondere bei demokratischen Standards, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und Grundrechten. Auch bei Themen wie der Eindämmung der Korruption seien keine signifikanten Verbesserungen festzustellen.

Schwere Rückschritte bei Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechten

Verhaftungen von Oppositionspolitikern, Journalisten und zivilgesellschaftlichen Aktivisten haben die Bedenken in Brüssel noch weiter verstärkt. Den Verfassern sind jedoch auch weitere Faktoren aufgefallen, die demokratische Standards untergraben – wie einen erheblichen Einfluss der Regierung auf Medien und eine Benachteiligung der Opposition durch den Staatssender TRT.

Der Bericht attestiert der Türkei erhebliche Defizite und Einschränkung unter anderem in der Benutzung des Internets, bei künstlerischen Freiheiten, bei Sicherheit und Berufsbedingungen für Journalisten und der Versammlungsfreiheit. Auch bei der Gewährleistung von Rechten religiöser Minderheiten gebe es weiterhin Defizite.

Die Türkei habe zwar zahlreiche internationale Dokumente zur Anti-Diskriminierung und gegen Rassismus unterzeichnet. Dennoch komme es immer wieder zu Hassreden oder auch Übergriffen gegen Kurden, Christen, Syrer, Juden oder Angehörige der alevitischen Bevölkerungsgruppe.

Minderheitenrechte bleiben in der Türkei defizitär

In einigen der zahlreichen untersuchten Bereiche gebe es Fortschritte, heißt es weiter. So gebe es teilweise Verbesserungen bei Menschen mit Behinderung oder bei der Inklusion von Kindern aus der Roma-Community. Allerdings gebe es auch dort noch weiter Luft nach oben und Defizite bei der Erhebung und Auswertung von Daten, die bei der Optimierung der Situation hilfreich sein könnten.

Insgesamt sei die Situation von Minderheiten in der Türkei weiterhin angespannt. Schulen, die von Minderheiten betrieben werden, erhielten keine öffentlichen Mittel, auch würden als herabwürdigend empfundene Inhalte nicht aus Textbüchern für die Schulen entfernt. Veranstaltungen zur Erinnerung an die Vertreibung und Ermordung von Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 wurden untersagt. Auch seien Angehörige von Minderheiten nur selten in staatlichen Ämtern vertreten.

Aufseiten der EU erhofft man sich Verbesserungen im Bereich der kulturellen Rechte der kurdischen Bevölkerung durch den wiederaufgenommenen Friedensprozess. Was die Außenpolitik anbelangt, ist die Rede von positiven Signalen gegenüber Zypern und Griechenland – beispielsweise durch das Ausbleiben ungenehmigter Öl- und Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer.

„Selektive Durchsetzung von Anti-Terror-Gesetzen“ gegen Opposition

Auch Bereiche wie die Nachbarschaftspolitik und die Terrorismusbekämpfung seien politisch und ideologisch eingefärbt. Die Türkei unterstütze Westbalkan-Staaten und intensiviere wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen. Auch die militärischen Kapazitäten dieser Länder würden durch türkische Bemühungen verbessert. Insgesamt wirke Ankara stabilisierend auf die Region.

Gleichzeitig verfolge man dort seine eigene Agenda, etwa durch Auslieferungsbegehren gegen mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung und die Schließung von Schulen und Unternehmen, die man diesen zuordne. Ähnliches zeige sich in der Terrorismusbekämpfung. Zwar sei es der Türkei gelungen, den Spielraum von Gruppen wie der PKK oder dem „Islamischen Staat“ einzuschränken.

Gleichzeitig verfolge man die Gülen-Bewegung, die in keinem Staat der EU als terroristisch oder auch nur extremistisch eingeordnet werde. Dabei messe man dem Kampf gegen diese oft mehr Bedeutung zu als der Prävention und der Strategiefindung gegen tatsächliche Terroristen. Außerdem diene die Anti-Terror-Gesetzgebung häufig der Unterminierung von Freiheit und Rechtstaatlichkeit. Die ernüchternde Bilanz des EU-Berichts liest sich so: „Es gibt einen anhaltend wachsenden Trend zur selektiven Durchsetzung von Anti-Terror-Gesetzen, die sich gegen die politische Opposition richten, um abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen und politische Gegner und Journalisten zu inhaftieren.“

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