Politik
Vorerst kein „türkisches Modell“ mehr? Leitzins bleibt unverändert
Lebensmittel, Gas und Strom – das Leben in der Türkei verteuert sich wie in vielen anderen Ländern auch immer weiter. Die Inflation liegt auf einem Rekordniveau von rund 36 Prozent. Experten fordern Zinserhöhungen, die Präsident Erdoğan ablehnt. Die Notenbank lässt den Leitzins nun unverändert.
Die türkische Notenbank hat auf ihrer mit Spannung erwarteten Sitzung den Leitzins stabil gehalten. Er bleibe bei 14 Prozent, teilte die Zentralbank in Ankara am Donnerstag mit. Die Währungshüter hatten den Leitzins zuvor mehrmals gesenkt und waren damit der Linie des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gefolgt, der ein Gegner hoher Zinsen ist und zuletzt ein „türkisches Modell“ bei der Geldpolitik angekündigt hatte.
Experten waren davon ausgegangen, dass die Notenbank den Zinssatz diesmal beibehält, aber an ihrer angesichts der hohen Inflation vergleichsweise lockeren Geldpolitik festhält. Die Lira legte nach der Entscheidung zum Dollar und zum Euro zu und lag am Nachmittag bei rund 15 Lira zum Euro.
Eigenwillige Wirtschaftspolitik
Die Inflation hatte im Dezember einen Rekordwert von offiziell rund 36 Prozent erreicht und ist damit so hoch wie noch nie unter der Führung Erdoğans. Mit der Inflation einher geht ein Kursverfall der türkischen Lira, die innerhalb eines Jahres mehr als 40 Prozent ihres Werts zum Euro verloren hat.
Als Grund für die Situation gilt allgemein die Wirtschaftspolitik des Präsidenten und der Druck, den dieser auf die Notenbank ausübt, um den Leitzins zu senken. Erdoğan ist der Ansicht, dass man eine hohe Inflation mit niedrigen Zinsen bekämpft – entgegen der gängigen Praxis.
Starke Kursverluste
Ende Dezember kam es dann zu starken Kursverlusten – und einer Erholung innerhalb nur eines Tages, nachdem Erdoğan Stützungsmaßnahmen für die Lira angeordnet hatte. Der Präsident wollte damit auch erreichen, dass die Türken ihr Geld in Lira anlegen, statt in den Dollar zu fliehen.
Der Effekt der Maßnahmen war danach teilweise wieder verpufft. Die eigenwillige Wirtschaftspolitik des türkischen Präsidenten stellt Bevölkerung und Unternehmen vor Herausforderungen, auch deutsche Firmen.
Erdoğans Ziel
Der Präsident will mit niedrigeren Zinsen die Wirtschaft vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl 2023 ankurbeln und hofft, damit Arbeitsplätze zu schaffen. Zustimmung hat er dringend nötig. In der jüngsten Umfrage des Instituts Metropoll landete der bald 68-Jährige auf der Beliebtheitsskala nur noch auf dem vierten Platz hinter drei Oppositionspolitikern und potenziellen Präsidentschaftskandidaten.
Erdoğan will die Wirtschaft der Türkei zudem umbauen, hin zu einer exportorientierten Wirtschaft mit niedrigen Löhnen und niedrigem Wechselkurs. So verwies der Präsident Anfang Januar darauf, dass der Export im vergangenen Jahr um rund 33 Prozent zugenommen habe.
„Exorbitante Preissteigerungen und steigende Inflation“
Dass die Bevölkerung zurzeit vor allem unter den hohen Lebensmittel-, Energie- und Spritpreisen leidet, nimmt der Präsident durchaus zur Kenntnis. „Natürlich wissen wir, dass die exorbitanten Preissteigerungen und die steigende Inflation unsere Nation bedrücken“, sagte Erdoğan kürzlich.
Er verweist auf die weltweit gestiegenen Energiepreise und glaubt nicht an ein hausgemachtes Problem. Experten bezweifeln, dass der Umbau hin zu einer exportorientierten Wirtschaft ohne Begleitmaßnahmen schnell zum Erfolg führen wird oder es so möglich ist, die Inflation in den Griff zu bekommen.
Türkei abhängig von Importen
Selva Demiralp, Wirtschaftsprofessorin an der Koç-Universität in Istanbul, weist darauf hin, dass die Türkei davon abhängig ist, Vorleistungsprodukte wie etwa Rohstoffe zu importieren.
Durch die schwache Lira stiegen damit für viele Unternehmen auch die Produktionskosten und der Preisvorteil sei limitiert. „Solch eine Transformation findet nicht in kurzer Zeit statt“, gibt sie zu bedenken. Zusätzlich seien zudem innovationsbasierte Investitionen nötig und eine Spezialisierung, um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen.
Die Bevölkerung könne sich durch eine schwache Lira zudem importierte Produkte weniger leisten. „Wir wollen alle, dass die Türkei mehr im Land produzieren kann, aber die Geldpolitik auf diese Weise einzusetzen, ist riskant und nicht der richtige Weg“, kritisiert sie.
Keine Planungssicherheit
„Das Modell produziert welche, die davon gut leben können und welche, die damit Schwierigkeiten haben“, sagt Thilo Pahl, Geschäftsführer der Deutsch-Türkischen Handelskammer (AHK) in Istanbul. Vom Wertverlust der Lira profitierten einige Branchen sogar, wie etwa einige exportorientierte deutsche Unternehmen in der Türkei.
Noch im Oktober, also vor den jüngsten Währungsturbulenzen, sah eine Mehrheit von der von der AHK befragten Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung ihre Geschäftssituation positiv. Die Volatilität der Währung stelle aber ein Problem dar, weil die Unternehmen keine Planungssicherheit hätten, so Pahl. „Das Wirtschaften ist extrem schwierig, weil es nicht kalkulierbar ist.“
Risiken: Wechselkurs und Wirtschaftspolitik
Es sei etwa schwer, ein Angebot für einen Kunden zu kalkulieren, der erst in zwei Monaten ein Produkt haben wolle, weil man noch gar nicht wisse, welchen Wert die Lira dann überhaupt habe. Für Unsicherheit am Markt sorge zudem eine Anfang Januar veröffentlichte Regulierung wonach Unternehmen 25 Prozent ihrer Exporterlöse in ausländischer Währung zumindest zeitweise in Lira umtauschen müssen.
Gefragt nach den Risiken in der Türkei nannten die befragten deutschen Unternehmen auch schon im Oktober: Wechselkurs und Wirtschaftspolitik.
dpa/dtj