Flucht/Migration Politik

Gerichte stärken Schutz für türkische Dissidenten in Europa

  • September 18, 2025
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Gerichte stärken Schutz für türkische Dissidenten in Europa

Jüngste Gerichtsurteile zeichnen ein klares Bild: Die türkische Regierung nutzt staatlich finanzierte Organisationen in Europa, um Kritiker zu überwachen und einzuschüchtern. Sowohl das Verwaltungsgericht Köln als auch ein österreichisches Gericht stuften die Bedrohungslage für Dissidenten als so gravierend ein, dass Abschiebungen in die Türkei unzulässig seien.

Jüngste Gerichtsurteile aus Deutschland und Österreich lassen eine höhere Sensibilität mit Blick auf die „langen Arme“ der türkischen Führung in ihren Ländern erkennen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Organisation, die regelmäßig quasi-geheimdienstliche Arbeit zum Nachteil von Regierungskritikern betreiben.

In Köln hat das Verwaltungsgericht am 12. Mai gleich zwei wegweisende Urteile zugunsten Asylsuchender aus der Türkei gefällt, deren Begründung aus mehreren Gründen als bedeutungsvoll erscheint. Eines davon betraf einen Antragsteller, der sich in der Türkei für die prokurdische HDP (inzwischen DEM) engagierte und den Wehrdienst verweigert hat. Das andere befasste sich mit einer nicht aktiven Angehörigen des Gülen-Netzwerks, die dort von einer Anklage wegen Mitgliedschaft in der Bewegung freigesprochen worden war.

Verwaltungsgericht Köln erkennt Verfolgungsgefahr für HDP-Anhänger und Gülen-Nähe an

In beiden Fällen waren nach Aktenlage keine akuten Verfolgungshandlungen im Fall einer Rückführung in die Türkei zu befürchten. Das BAMF hatte aus diesem Grund auch den Asylantrag und einen subsidiären Schutzstatus abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hingegen gab dem Begehren der Asylsuchenden statt und verpflichtete die Behörde, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Unter Bezugnahme auf mehrere Einschätzungen deutscher und österreichischer Behörden, Nachrichtendienste und auf Gerichtsurteile kam das Verwaltungsgericht zu dem Schluss, dass von einer drohenden Verfolgung der Betreffenden auszugehen sei. Das Urteil verwies unter anderem auf eine Feststellung des Auswärtigen Amtes. Diesem zufolge „dauert die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung an“.

Im Fall der Zurechnung zur Gülen-Bewegung heißt es, es sei „nach den vorliegenden Erkenntnisquellen davon auszugehen, dass die türkischen Gerichte keine Unabhängigkeit besitzen“. Ein rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendes Verfahren bzw, eine faire Prozessführung seien nicht gewährleistet.

Österreichisches Gericht: Abschiebung wegen türkischer Geheimdienstmethoden unzulässig

Das Verwaltungsgericht zitierte auch eine Länderinformation des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) bezüglich Prozessen wegen Vorwürfen eines vermeintlichen „Terrorismus“ in der Türkei. Dabei komme es regelmäßig zu einer „Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz“. Es komme zu einer „lockeren Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen“.

Dies führe „zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet“. Personen, die einer in der Türkei verbotenen Organisation zugerechnet werden könnten, müssten „bei Einreise in die Türkei mit polizeilichen oder justiziellen Maßnahmen rechnen“. Dies gelte insbesondere bei vermeintlichen PKK- oder Gülen-Bezügen.

In diesem Kontext komme auch zum Tragen, dass die türkische Regierung sich vermeintlich anderen Zwecken gewidmeter Einrichtungen bediene, um Angehörige der türkischen Diaspora auszuspähen. In Bezug darauf beurteilte am 10. Juni auch ein österreichisches Gericht die Abschiebung einer Person in die Türkei als unzulässig.

Diyanet, TİKA, UID und SETA als verdeckte Werkzeuge Ankaras?

Im österreichischen Urteil werden nicht nur Vorgehensweisen der türkischen Ermittlungsbehörden wie das sogenannte „FETÖ-Meter“ zur Ermittlung eines Tatverdachts dargestellt. Das Gericht nennt unter Bezugnahme auf Länderberichte mehrere Organisationen als Akteure, die an der Identifizierung und Überwachung von Regierungskritikern in Europa beteiligt seien.

So seien die Präsidentschaft der Türken im Ausland und verwandte Gemeinschaften (YTB) und die türkische Kooperations- und Koordinationsagentur (TİKA) Akteure „verdeckter Geheimdienstoperationen“. Diyanet helfe, Regierungskritiker unter den Türken im Ausland zu identifizieren. Weitere staatlich finanzierte Gruppen wie UID und SETA sammelten Informationen über Kritiker, auch über angebliche Gülen-Mitglieder hinaus. Im Ergebnis kamen die Gerichte zu dem Schluss, dass die geheimdienstliche Wühlarbeit für türkische Regierungskritiker auch im Ausland eine permanente Gefahrensituation schaffe.

Der Vorsitzende der in Berlin ansässigen Vereinigung von Menschenrechtsverteidigern, Dr. Hüseyin Demir, forderte gegenüber dem DTJ eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber diesen Umtrieben und Konsequenzen. Die Urteile machten deutlich, dass es sich bei den genannten Organisationen mitnichten um kulturelle, religiöse oder zivilgesellschaftliche Vereinigungen handele. Sie seien vielmehr verlängerter Arm der Erdoğan-Regierung und ihrer Geheimdienste.

„Dies bedroht nicht nur einzelne Dissidenten, sondern auch die Meinungsfreiheit, das Recht auf Vereinigung und das Recht auf ein Leben in Sicherheit von ganzen Diaspora-Gemeinschaften“, so Demirs Fazit.

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